Wann kommt endlich Bewegung in die überfällige Umbenennung der Agnes-Miegel-Schule?
(hk) Seit beinahe 10 Jahren befassen wir uns im Gegenwind mit der Namensgeberin der Agnes-Miegel-Schule in Wilhelmshaven. Doch es passiert nichts. Es herrscht immer noch Ruhe. Der Gegenwind möchte noch einmal einige Daten aus dem Leben Agnes Miegels veröffentlichen, damit endlich Bewegung in die Sache kommt.
Wir veröffentlichen nachstehend das Gutachten von Prof. Dr. Hans-J. Dröscher, welches maßgeblich zum Beschluss des Schulausschusses der Stadt Osnabrück beitrug, die Agnes-Miegel-Realschule in „Bertha-von-Suttner-Realschule“ umzubenennen.
Gutachten zur Rolle der Dichterin Agnes Miegel (1879 – 1964) im „Dritten Reich“
Mitgliedschaften, Auszeichnungen, Veröffentlichungen und RezeptionMai 1933: Aus Protest gegen das NS-Regime erklärt Max Liebermann, Ehrenpräsident der Akademie der Künste in Berlin, seinen Rücktritt. Ihm folgen u.a. Alfred Döblin und Thomas Mann. Statt ihrer werden u.a. Hanns Johst und Agnes Miegel in die Akademie berufen.
Juni 1933: Auf Veranlassung des Propagandaministers Goebbels wird der Reichsverband Deutscher Schriftsteller gegründet, um die „Vielheit der Verbände zu beseitigen“. Unter dem Vorsitz von Hanns Johst gehört u.a. Agnes Miegel dem Vorstand der „neugeordneten“ Deutschen Akademie der Dichtung an.
1937: Agnes Miegel wird Mitglied in der NS-Frauenschaft.
1938: Agnes Miegel: Werden und Werk. Mit Beiträgen von Prof. Dr. Karl Plenzat, Leipzig 1938.
Miegel „zeigt ihre freudige und dankbare Bejahung des Drittes Reiches, ihre verehrungsvolle Liebe zu unserem Führer und Helden Adolf Hitler“ in einem Huldigungsgedicht mit dem Titel „Dem Führer!“ (aus: Werden und Werk, Leipzig 1938, S. 79 f.; … ). Völkische, nationalistische und antisemitische Tendenzen kommen in Werden und Werk mehrfach zum Ausdruck (S. 133, 163, 166, 171, 180 f., 188, 191, 206 f.).
8. März 1939: Reichsleiter Martin Bormann, einer der höchsten Repräsentanten der NSDAP, spricht ein Grußwort zum 60. Geburtstag der Dichterin Agnes Miegel im Reichssender Königsberg.
1939: Nach wiederholten Lesungen vor Hitler-Jungen wird Agnes Miegel mit dem Goldenen Ehrenzeichen der HJ ausgezeichnet.
1940: Agnes Miegel wird Mitglied der NSDAP. 1940: Miegels Gedichtband Ostland (Jena 1940) ist voller Pathos zum Feldzug Hitlers gegen Polen:„Übermächtig füllt mich demütiger Dank, dass ich dieses erlebe, Dir noch dienen kann, dienen den Deutschen Mit der Gabe, die Gott mir verlieh!“
Der Band ist nachgewiesen in Hitlers Privatbibliothek in der Reichskanzlei.
April 1942: In der Reihe Zucht und Sitte erscheint Die Neuordnung unserer Lebensgesetze mit Beiträgen von SS-Gruppenführer Hanns Johst, Agnes Miegel u.a.m.
1942: Adolf Bartels, einer der tonangebenden Literaturwissenschaftler des „Dritten Reiches“, charakterisiert Agnes Miegel in seiner Geschichte der deutschen Literatur mit den Worten: „Sie ist jetzt vielleicht die am meisten geschätzte deutsche Dichterin.“ (S. 656)
1945: Im Februar flieht Agnes Miegel aus Königsberg nach Dänemark, wo sie von den Alliierten bis Ende November 1946 interniert wird wegen literarisch-publizistischer Förderung der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP. In der neueren wissenschaftlichen Literatur wird Agnes Miegels Rolle im „Dritten Reich“ wie folgt beurteilt: „Nach dem Ersten Weltkrieg setzte ihre der Heimatdichtung verpflichtete Ostpreußen-Hymnik ein. Ihre nationalistisch-übersteigerte Heimatverbundenheit ließ sie später in das Kielwasser der NS-Ideologie geraten.“ (Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz, 1977, S. 319) „Die beliebte ostpreußische Heimatdichterin Agnes Miegel avancierte im NS-Regime zu einem literarischen Aushängeschild. In ihren zuvor unpolitischen Balladen spiegelte sich ab 1933 eine erkennbare Blut- und Boden-Romantik wider.“ Ihr Werk zeige „Elemente einer mythologisierenden Blut- und Boden-Romantik, die eine Affinität zu nationalsozialistischen Ideen erkennen lassen.“ (Weiß: Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, 1998, S. 319 ff.) „Als ,Droste Ostpreußens‘ gefeiert, zählte sie zu den besonders privilegierten Autoren der NS-Zeit“. (Sarkowicz/Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland, 2002, S. 312) Diese Befunde werden in der 2007 publizierten Dissertation von Kirsten Kearney (Construction of the Nation, S. 152-162) bestätigt und erhärtet.Fazit: Die Auszeichnung einer Schule mit dem Namen einer Autorin hat Identifikations- und Vorbildfunktion. Agnes Miegel hat sich nachweislich zur Herrschaft Hitlers und zur Ideologie des Nationalsozialismus bekannt. Diese Identifikation, von der sie sich nach 1945 öffentlich nicht distanziert hat, steht im Widerspruch zum Bildungsauftrag der Schule gemäß § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes. (1) Die Vorbildfunktion der Dichterin Agnes Miegel ist angesichts ihrer Rolle während des „Dritten Reiches“ umso mehr in Frage zu stellen, als sich die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland aus der Überwindung und Negation des Nationalsozialismus legitimiert.
Quellen und Literatur: Bartels, Adolf: Geschichte der deutschen Literatur, Braunschweig/Berlin/Hamburg 18.1942 Denkler, Horst/Prümm, Karl (Hg.): Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen, Traditionen, Wirkungen. Stuttgart 1976 Düsterberg, Rolf: Hanns Johst. „Der Barde der SS“. Karrieren eines deutschen Dichters. Paderbom 2004 Gassert, Philipp/Mattem, Daniel S.: The Hitler Library. A Bibliography, Westport/ London 2001 Kearney, Kirsten: Construction of the Nation. The role of the ballad in twentieth Century. German national identity. Submitted for the award of doctor of philosophy, University of Stirling 2007 Loewy, Ernst: Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung, Frankfurt am Main 3.1977 Overesch, Manfred: Chronik deutscher Zeitgeschichte, Politik/Wirtschaft/Kultur, Bd. 2/II, Das Dritte Reich 1939-1945, Düsseldorf 1983 Overesch/Saal: Chronik deutscher Zeitgeschichte, Politik/Wirtschaft/Kultur, Bd. 2/I, Das Dritte Reich 1933-1939, Düsseldorf 1982 Sarkowicz, Hans/Mentzer, Alf: Literatur in Nazi-Deutschland, Hamburg 2002 Weiß, Hermann (Hg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 1998, Tb-Ausgabe Frankfurt am Main 2002
Osnabrück, den 6. Februar 2008
(Prof.Dr.phil. Hans-Jürgen Döscher)
(1) §2 – Bildungsauftrag der Schule: (1) 1Die Schule soll im Anschluss an die vorschulische Erziehung die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen weiterentwickeln. 2Erziehung und Unterricht müssen dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Niedersächsischen Verfassung entsprechen; die Schule hat die Wertvorstellungen zu vermitteln, die diesen Verfassungen zugrunde liegen. 3Die Schülerinnen und Schüler sollen fähig werden, – die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen, – nach ethischen Grundsätzen zu handeln sowie religiöse und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten, – ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten, – den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere die Idee einer gemeinsamen Zukunft der europäischen Völker, zu erfassen und zu unterstützen und mit Menschen anderer Nationen und Kulturkreise zusammenzuleben, – ökonomische und ökologische Zusammenhänge zu erfassen, – für die Erhaltung der Umwelt Verantwortung zu tragen und gesundheitsbewusst zu leben, – Konflikte vernunftgemäß zu lösen, aber auch Konflikte zu ertragen, – sich umfassend zu informieren und die Informationen kritisch zu nutzen, – ihre Wahrnehmungs- und Empfindungsmöglichkeiten sowie ihre Ausdrucksmöglichkeiten unter Einschluss der bedeutsamen jeweiligen regionalen Ausformung des Niederdeutschen oder des Friesischen zu entfalten, – sich im Berufsleben zu behaupten und das soziale Leben verantwortlich mitzugestalten. 4Die Schule hat den Schülerinnen und Schülern die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. 5Dabei sind die Bereitschaft und Fähigkeit zu fördern, für sich allein wie auch gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erzielen. 6Die Schülerinnen und Schüler sollen zunehmend selbständiger werden und lernen, ihre Fähigkeiten auch nach Beendigung der Schulzeit weiterzuentwickeln.
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