Agenda
Mrz 152000
 

Agenda macht Fortschritte

Sachstandsbericht zum lokalen Agenda-21-Prozess in Wilhelmshaven

(iz) Im GEGENWIND Nr. 155 (November 1999) berichteten wir über Wilhelmshavens Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung im Rahmen der weltweiten AGENDA-21-Kampagne. In diesem ersten Artikel sind Grundlagen-Informationen zur Agenda allgemein und zur Umsetzung an der Jade nachzulesen. Im folgenden kommentierenden Bericht ist zu erfahren, wie es seitdem weitergegangen ist.

Das Agenda-Büro

Zunächst die wichtigste Nachricht: Zum 1. März 2000 wurde im Umweltamt (im Erdgeschoß der Virchowstr. 1 / Ecke Weserstraße) ein lokales Agenda-Büro eingerichtet, das zunächst mit einer ABM-Kraft besetzt ist. Damit ist ein wesentliches Defizit der lokalen Agenda (LA 21) in Wilhelmshaven beseitigt. Diese zentrale Kontakt- und Koordinationsstelle mit einer hauptamtlichen Vollzeit-Fachkraft ist eine wesentliche Voraussetzung für einen effektiven Agenda-Prozess.

Die Arbeitsgruppensitzungen

Zwischenzeitlich ist das letzte von 6 Themen, nämlich „Umwelt und Natur“, wie die anderen Themen in einer Art „brainstorming“ mit lokalen VertreterInnen aus Verwaltung, Politik und Verbänden sowie BürgerInnen bearbeitet worden. Wesentliches Anliegen der meisten TeilnehmerInnen sind demnach Flächennutzung und -verbrauch in unserer Stadt. Flächennutzung war schon Thema einer anderen Sitzung, scheint jedoch so eng mit der ökologischen Qualität der Stadtentwicklung verbunden zu sein, dass auch hier Stärken und Schwächen und, daraus abgeleitet, Ziele und Maßnahmen zur künftigen Flächennutzung im Vordergrund standen.

Das Treffen zu „Umwelt und Natur“ musste zweimal anberaumt werden, da beim ersten Termin viel Zeit für Grundsatzdiskussionen zum bisherigen und weiteren Vorgehen verwendet wurde – gut, dass den TeilnehmerInnen diese Zeit eingeräumt wurde, denn diese Grundlagen sind wichtig für alles Weitere.

Die Gruppe hat sich auf etwa 20 Menschen eingependelt, der „harte Kern“ hat sich über mehr als ein Jahr ganz gut aufeinander eingespielt und ein echtes Gruppengefühl ist spürbar.

Den Prozess begreifen

Neue InteressentInnen sind gern gesehen, auch wenn diesen die Vorgehensweisen und Grundlagen immer wieder neu erläutert werden müssen, was für die Moderatoren und die übrigen TeilnehmerInnen wenig spannend bis anstrengend ist. Daraus entstand die gute Idee, dass Neuzugänge eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn kommen sollten, um von den ModeratorInnen oder anderen TeilnehmerInnen vorab über wesentliche Grundlagen informiert zu werden. Schon diese positiven menschlichen Aspekte sprechen für die Agenda, wenngleich nicht jedem dadurch geholfen wird. So verließ eine neue Teilnehmerin trotz intensiver Zuwendung zur Pause die Sitzung, weil es ihr „zu abstrakt“ war. Und ein anderer, offensichtlich Mitarbeiter eines Großbetriebes im Stadtnorden, konnte oder wollte das Verfahren der Meinungsbildung nicht verstehen. (Zur Erinnerung: Alle TeilnehmerInnen der Themensitzungen hatten ihre Wahrnehmungen, Bedürfnisse und Ideen zu Stärken und Schwächen, Zielen und Maßnahmen städtischer Entwicklungen auf Karteikarten niedergelegt, die in den Protokollen ausnahmslos mit jedem Buchstaben und Ausrufezeichen verewigt sind.) Eine Karte, die den Konflikt zwischen Naturschutz und Großindustrie aufgriff, wollte dieser Teilnehmer (als Mitarbeiter jenes auf der Karte genannten Großbetriebes) unbedingt ausgemerzt wissen. Trotz geduldiger Erklärungen konnte der Moderator ihm kaum begreiflich machen, dass alle Karten (=Ansichten) gleichwertig und ungefiltert Bestand haben, im Sinne eines offenen Diskussionsprozesses von und mit allen BürgerInnen und InteressensvertreterInnen. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Menschen sich von solchen urdemokratischen Prozessen entfremdet haben bzw. dass sie dafür noch nicht reif sind. Der Weg ist das Ziel: Die Agenda kann, neben der Nachhaltigkeit und Ökologie, diese Reifung befördern.

Die Broschüre

Eineinhalb Jahre nach Start der Agenda und nach Abschluss der Themensitzungen ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Eine Broschüre soll die BürgerInnen, aber auch den Rat, der die Lokale Agenda auf den Weg brachte, über die bisher erzielten Ergebnisse informieren. Die Arbeitsgruppe ernannte hierfür eine vierköpfige Redaktion, paritätisch besetzt mit Frauen und Männern bzw. aus Verwaltung und Bürgerschaft. In mehreren Redaktionssitzungen wurde ein inhaltliches und gestalterisches Konzept erstellt und am Beispiel von „Umwelt und Natur“ der gesamten Arbeitsgruppe präsentiert. Keine leichte Aufgabe, die Ergebnisse aus sechs je dreistündigen Sitzungen mit durchschnittlich 20 Teilnehmern so zusammenzufassen, dass es vom Umfang her lesbar bleibt und gleichzeitig kein Aspekt „unter den Tisch fällt“. Deshalb prüften alle TeilnehmerInnen gemeinsam, anhand des Protokolls, ob sämtliche Aspekte (Karteikarten), die zum Thema „Umwelt und Natur“ genannt worden waren, sich in der Zusammenfassung wiederfanden. Da keine wesentlichen Mängel erkennbar waren, wurde die Redaktion beauftragt, in dieser Form – auf je zwei knappen Din-A4-Seiten – auch mit den anderen Themen zu verfahren. Auf der nächsten Gesamtsitzung Anfang / Mitte April soll das Ergebnis dem gesamten Arbeitskreis präsentiert und dort abschließend diskutiert werden, danach geht es in den Druck.

Öffentlichkeitsarbeit

Mit der Broschüre ist es nicht getan, eine regelmäßige Berichterstattung über den Fortgang der Ereignisse und Ergebnisse bleibt Grundvoraussetzung für eine lebendige Lokale Agenda 21, die alle BürgerInnen berührt. Bei der letzten Sitzung war zumindest ein WZ-Redakteur anwesend, was allerdings keinen Bericht nach sich zog. Wir setzen weiter auf Radio Jade, dessen MitarbeiterInnen für solche Themen grundsätzlich aufgeschlossen sind und u. a. im Umweltmagazin geeignete Sendeplätze vorhalten. Das Agenda-Büro sollte hier etwas bewegen können.

…und weiter?

Die in Arbeit befindliche Broschüre soll nicht dazu verleiten, nun erst einmal die Hände in den Schoß zu legen. Diese Ergebnisse sind erst Anfang und Grundlage des Agenda-Prozesses und konkreter Maßnahmen. Das brachten die TeilnehmerInnen des Arbeitskreises deutlich zum Ausdruck und forderten weitere regelmäßige Treffen. Neben ein- bis zweimonatlichen Gesamttreffen in der VHS wären Kleingruppen zu einzelnen Themen und vor allem zu konkreten Einzelprojekten sinnvoll, aber auch der anderswo praktizierte Agenda-Stammtisch – bei einem gemütlichen Tee oder Bier ist schon manche gute Idee geboren worden.

Randnotiz: Im Rahmen ihrer Stellungnahme zu einem gewerblichen Bauvorhaben haben die hiesigen Naturschutzverbände, mit Hinweis auf die Lokale Agenda 21, vorgeschlagen, statt des üblichen bürokratischen Beteiligungsverfahrens einen „Runden Tisch“ einzuberufen, bei dem alle Beteiligten vor Ort gemeinsam mit dem Investor über eine ökologisch wie ökonomisch nachhaltige Planungsvariante beratschlagen. Tatsächlich hat der Planungsträger diesen Vorschlag aufgegriffen. Ob die Planung danach entsprechend abgewandelt wird, bleibt abzuwarten (wir werden zu gegebener Zeit darüber berichten), aber: Ein erster Schritt zu einem neuen Demokratieverständnis ist gemacht, und das ist schon mal auf der Habenseite der Lokalen Agenda 21 zu verbuchen.

Das nächste Treffen des Wilhelmshavener Arbeitskreises zur Lokalen Agenda 2 findet am 5. oder 12. April 2000 (Hinweis in der Tagespresse beachten) ab 17 Uhr in der Volkshochschule statt.

Für Neueinsteiger noch mal die Kernthese der weltweiten AGENDA 21:„Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse einer gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“Aus dem Brundtland-Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, 1987
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