Hausbesuch bei Toten
War das eine Aufregung am Abend des 16. Januar! Wilhelmshaven im Fernsehen! „Panorama“ berichtete über einen Arzt, der sich von der Krankenkasse Geld geben ließ für Behandlungen an Leuten, die z.T. schon seit Jahren verstorben waren.
„Sabine Stolz und ihr Bruder Peter besuchen das Grab der Mutter. Die alte Dame starb mit 72 Jahren. Vor ein paar Monaten noch hatte sie ihren letzten Arzttermin. Hausbesuch, Blutdruck messen, Untersuchung des ‚Ganzkörperstatus’, wie es hieß. Doch der Arzt konnte Christa Stolz nicht mehr helfen – zwangsläufig, denn sie war zu diesem Zeitpunkt längst verstorben, schon seit über drei Jahren. Der Hausarzt aber hatte nach ihrer Beerdigung munter weiter Behandlungen abgerechnet, die es natürlich nie gegeben hat.“ So hieß es in der „Panorama“-Sendung am 16.1.
Wer mochte das sein? So manch ein Wilhelmshavener dachte kurz darüber nach, ob es wohl der eigene Hausarzt ist, der solchen „makabren Abrechnungsbetrug“, wie „Panorama“ es nannte, begangen hatte. Dann kam aber schnell ein Hinweis: Ein Blick auf die Grenzstraße auf dem Bildschirm, und „hier in der Wilhelmshavener Innenstadt praktiziert der Mediziner, Dr. M.“ aus dem Lautsprecher – aha! Das Ärzteverzeichnis im „Örtlichen“ gab schnell Aufschluss, wer das war – so viele Ärzte mit M. gibt es ja in der Grenzstraße zum Glück nicht, und zur letzten Sicherheit über die Identität des Betrügers konnte man ja im Bekanntenkreis rumfragen, wer die in der Sendung gezeigten Praxisräume erkannt hatte.
Wie kann ein Arzt Behandlungen abrechnen, wenn der Patient nicht tatsächlich in der Praxis war und seine Chipkarte zum Einlesen hergegeben hat? „Die Masche des Arztes – eine scheinbar todsichere Sache. Alles läuft über die Chipkarte. Normalerweise werden die Daten eines Patienten nur einmal pro Quartal eingelesen, danach automatisch wieder weggelöscht. Der Wilhelmshavener Arzt allerdings hat die Patientendaten einfach abgespeichert, mit Hilfe eines speziellen Softwareprogramms: ‚Chiparchiv pro’. So konnte er die Daten über Jahre immer wieder abrufen, um Scheinbehandlungen abzurechnen“, erläuterte „Panorama“. Und er scheint das nicht nur im Fall von Frau Stolz getan zu haben, sondern in seinem Patientenkreis scheint es noch mehr Dahingeschiedene gegeben zu haben.
Wir wissen von einer Patientin des Dr. M., die in den letzten Monaten zweimal dringend einen Hausbesuch ihres Arztes gebraucht hätte. Er kam nicht – na ja, die Dame lebt ja auch noch! Stattdessen schrieb er beide Male eine Krankenhauseinweisung – wie er das abrechnet, wissen wir natürlich nicht. Aber muss man nicht jemanden untersucht haben, bevor man ihn ins Krankenhaus einweist? Die Krankenkasse kann zwar feststellen, ob Behandlungen an Menschen in Rechnung gestellt werden, die nicht mehr Mitglied sind (wg. Ablebens oder aus anderen Gründen), aber um jeden Abrechnungsbetrug festzustellen, dazu müsste sie schon alle ihre Versicherten befragen, wann sie mit welchem Leiden beim Arzt waren.
Am 6. Februar hat „Panorama“ nachgesetzt und gemeldet, dass die Angabe von 140 Abrechnungsbetrugsfällen aus der vorigen Sendung zu niedrig gewesen sei. Die Leute, die jetzt die ganzen Abrechnungen überprüfen müssen, werden bestimmt nicht jeden Betrugsfall aufklären können. Wer weiß, wie viele weitere Ärzte (vielleicht auch in Wilhelmshaven) Behandlungen abrechnen, die nie stattgefunden haben – aber etwas sorgfältiger die Todesanzeigen lesen.
Wann waren Sie das letzte Mal beim Arzt? Sind Sie ganz sicher, dass Sie danach nicht noch mal da waren? (noa)
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