Abschiebung
Mrz 012006
 

Kein Naturgesetz

WilhelmshavenerInnen kämpfen für Familie Mucaj

(iz) Mitte Januar wurde die Wilhelmshavener Familie Mucaj Opfer eines nächtlichen Abschiebungsversuches. Der konnte zum Glück in letzter Sekunde verhindert werden. Seit der Vorfall und seine näheren Umstände öffentlich wurden, rollt eine eindrucksvolle Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität durch die Stadt. Eine Informationsveranstaltung des Unterstützerkreises beleuchtete neben konkreten Hilfsmaßnahmen die vielfältigen Facetten der geltenden Abschiebepraxis.

 Als Glücksfall erwies sich die Präsenz von Bernd Tobiassen, der sich seit vielen Jahren um Flüchtlinge im Bereich Weser-Ems kümmert. Ohne seine fundierten Kenntnisse der rechtlichen, politischen und sozialen Hintergründe wäre der Abend kaum so zielführend verlaufen. Vor allem verstand er es immer wieder, die (verständlicherweise) sehr emotional geführte Diskussion in zwei wesentliche Kanäle zu trennen:

  • kurzfristig erforderliche Maßnahmen, um Familie Mucaj ein Bleiberecht zu ermöglichen
  • mittel- bis langfristig notwendige Aktivitäten zur Änderung der derzeit geltenden unmenschlichen Abschiebepraxis.
Kein Tribunal

Im Blickfeld des gut gefüllten Saals des Gewerkschaftshauses standen immer wieder der Leiter der städtischen Ausländerbehörde, Ralf Janssen, und sein Mitarbeiter Ralf Pleitz. Wiederholt waren sie in Medienberichten und Leserbriefen scharfer Kritik ausgesetzt, weil Mucajs nach eigener Schilderung nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst worden waren. Im Publikum saß auch Oberbürgermeister Eberhard Menzel – nicht zuletzt, um seinen Mitarbeitern Rückendeckung zu geben. An diesem Abend gab es nur wenige persönliche Angriffe. Es war Tobiassen, der gemeinsam mit Diskussionsleiterin Gudrun Klöpper die tatsächliche von der vermeintlichen Verantwortung der Ausländerbehörde differenzierte: „Dies ist kein Tribunal gegen Herrn Janssen und Herrn Pleitz.“

Politische und soziale Hintergründe

Seit Beginn des Kriegs im Kosovo gab es zahlreiche Übergriffe gegen Roma, Askali (denen Mucajs zugehören) und andere ethnische Minderheiten, die deshalb seit 1999 nicht mehr abgeschoben wurden. 2005 einigte sich der damalige Bundesinnenminister Otto Schily mit der vor Ort tätigen UNMIK (Interimsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo), mit der „Rückführung“ von monatlich etwa 500 Askali und anderen Flüchtlingen zu beginnen.
Laut UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) ist aber die Situation im Kosovo für ethnische Minderheiten immer noch „alles andere als sicher“. Die KFOR-„Schutz“truppen sind nicht in der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen. Zudem ist die medizinische Versorgung völlig unzureichend und die sozialen Verhältnisse sind verheerend: Die Arbeitslosenquote liegt allgemein bei 80%, bei den Minderheiten faktisch bei 100%.
Viele Flüchtlinge aus dem Kosovo sind bereits seit mehr als 10 Jahren in Deutschland, was nicht zuletzt mit der Dauer der Asylverfahren zusammenhängt. Die Kinder sind hier geboren und aufgewachsen und sprechen in der Regel nur deutsch. Die „Rückkehr“ in ein Land, das sie nie kennen gelernt haben, bedeutet für sie Entwurzelung und Identitätsverlust.

Das Rechtsverfahren

Das Landeskriminalamt teilt der UNMIK mit, welche Personen es als nächstes abzuschieben gedenkt. Die UNMIK muss vor Ort überprüfen, ob die Sicherheit der Rückkehrenden gewährleistet ist. Geht innerhalb einer bestimmten Frist kein Widerspruch der UNMIK ein, werden die Flugtickets gebucht und die kommunale Ausländerbehörde muss die Abschiebung durchsetzen. Die Betroffenen erhalten einen Monat Zeit für eine „freiwillige“ Rückkehr. Machen sie davon keinen Gebrauch, werden sie von der Ausländerbehörde mit polizeilicher Unterstützung ins Flugzeug verfrachtet.

Die Welle

Michael Zinn vom Unterstützerkreis beschrieb, wie die Welle der Solidarität für Mucajs ihren Anfang nahm: Nachdem sein Leserbrief in der WZ veröffentlicht worden war, in dem er seine Empörung über den Umgang mit Mucajs zum Ausdruck gebracht hatte, standen diese abends bei ihm vor der Tür: „Könnt ihr uns helfen?“ Weitere Leserbriefe folgten, die Verfasser und andere Gleichgesinnte nahmen Kontakt miteinander auf. Der so entstandene Unterstützerkreis verfasste eine Petition, die mittlerweile von etwa 1000 Menschen unterschrieben wurde und dem Petitionsausschuss des Nds. Landtages übergeben werden soll.
Der Oberbürgermeister erhielt viele Briefe, in denen er um Unterstützung gebeten wurde. „Die wurden umgehend beantwortet“, betonte Günther Kremmer vom Unterstützerkreis. „Mich hat Herr Menzel auch angerufen – er wirkte ehrlich betroffen.“ Von den ebenfalls angeschriebenen Abgeordneten Karin Evers-Meyer und Günther von der Kammer lagen noch keine Antworten vor.

Aus einem Brief an Menzel: „Aus dem Geschichtsunterricht in unserer Schulzeit wissen wir von einer Zeit, in der Menschen bei Nacht aus ihren Wohnungen geholt wurden und verschwanden. Eigentlich hatten wir gedacht, dass nach 1945 so etwas in Deutschland nicht mehr vorkommen könnte. Wir können und wollen uns auch nicht vorstellen, dass Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind und gut integriert sind, des Landes verwiesen werden. Wir bitten Sie, die Familie Mucaj und alle unsere anderen MitbürgerInnen und NachbarInnen ausländischer Herkunft vor Abschiebung zu schützen. Lassen Sie bitte auch nicht zu, dass es ‚formgerecht‘ geschieht, denn auch das ist unmenschlich!“

Auch die ErzieherInnen und LehrerInnen sowie die Elternschaft aus dem Kindergarten bzw. der Schule der Söhne sowie die Spielgefährten und MitschülerInnen zeigen große Solidarität.
Allerdings erhielten einige Unterstützer auch Droh- und Schmähbriefe von Ewiggestrigen. Um so wichtiger sei es, zusammen zu stehen und weiter zu machen, ermutigte Gudrun Klöpper die Anwesenden.

Die Petition

In der Petition wird dargelegt, dass die Familie Mucaj sich in Deutschland integriert hat, und auf dieser Grundlage ein Bleiberecht gefordert. Eine Härtefallkommission gibt es im Petitionsausschuss des Nds. Landtages nicht. Es gibt nur ein Beratergremium, das oft für ein Bleiberecht votiert – und dann im Ausschuss von CDU und FDP überstimmt wird. Von den letzten gut 170 Anträgen wurde, nach Kenntnis von Tobiassen, nur einer positiv beschieden.

Was kann die Ausländerbehörde tun?

Janssen und Pleitz beteuerten, sich an geltende Gesetze bzw. Gerichtsentscheidungen gehalten zu haben: „So bitter das ist, es bleibt nur Abschiebung.“ Dazu ein Teilnehmer: „Es geht hier um Menschlichkeit, und die passt in kein Gesetzbuch.“ Unter der rot-grünen Landesregierung gab es noch einen Erlass, wonach der Abschiebungstermin angekündigt werden musste, wenn Kinder davon betroffen waren; und es gab einen Ermessensspielraum, dass die Kinder zumindest ihr Schuljahr noch in Deutschland beenden durften; seit dem Wechsel zu Schwarz-Gelb gilt das alles nicht mehr.
Tobiassen wusste aber durchaus einige Spielräume zu benennen, die die Ausländerbehörde ausschöpfen kann:
Prüfung der „tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung“ (wenn z. B. ein Familienmitglied erkrankt ist)
Eine Petition kann bis zu 6 Monaten aufschiebende Wirkung besitzen, sofern noch kein Abschiebetermin feststeht UND die betroffenen Personen keine Sozialhilfe beziehen.
Herr Mucaj könnte und würde sofort eine Stelle antreten, die ihm der Arbeitgeber bereits fest zugesichert hat. Dafür braucht er aber eine Arbeitserlaubnis. Die erteilt die Ausländerbehörde – mit Zustimmung der Arbeitsagentur. Die lehnte jedoch ab mit der Begründung, es seien zunächst bevorrechtigte Arbeitssuchende (deutscher Abstammung) zu berücksichtigen. Nach Tobiassens Erfahrungen werden in Nachbarkreisen bzw. seitens der Arbeitsagentur Emden die Spielräume weitgehender zu Gunsten der Flüchtlinge ausgenutzt, als dies in Wilhelmshaven der Fall ist. Andernorts ist es auch „machbar“, auf unangekündigte bzw. nächtliche Abschiebungen zu verzichten. Am Ende schienen Pleitz und Janssen bereit, alle Möglichkeiten für die ihnen anvertrauten Flüchtlinge ausschöpfen zu wollen, statt sich weiter hinter Gesetzen zu verstecken.

Gesetze sind Menschenwerk – und veränderbar

Es bestand Einigkeit im Saal: „Das bestehende Ausländerrecht ist gnadenlos!“ Doch: „Das sind keine Naturgesetze!“ Sondern von Politikern gemacht und von deren Denkweise gefärbt. Tobiassen: „Niedersachsen springt am rigorosesten mit Ausländern um – Innenminister Schünemann ist knallhart.“
Menzel teilt diese Einschätzung: „Seit (der Landtagswahl – red.) 2003 wird in Niedersachsen sehr restriktiv verfahren.“
Mucajs sind kein Einzelfall. In vielen Städten und Gemeinden gibt es Betroffene – wie auch Solidargemeinschaften empörter MitbürgerInnen. Ziel soll es sein, sich überregional zusammenzuschließen und Druck auf die Landesregierung auszuüben. Im Mai findet die nächste Innenministerkonferenz statt. Ob es dann schon bahnbrechende Änderungen geben kann, ist fraglich. Aber über eine Duldung sollten Mucajs wenigstens eine Chance bekommen.

Aus der Geschichte lernen

Viele Menschen fühlen sich durch das Schicksal der Familie Mucaj ans Dritte Reich erinnert. Damals wurden Abertausende ohne Vorankündigung aus ihren Wohnungen verschleppt. Doch sind solche Vergleiche statthaft? Menzel wurde ziemlich ausfallend, als er sich und seine Mitarbeiter gegen entsprechende Vorwürfe verteidigte. Die müssen sicher geklärt werden, aber nicht in diesem Ton und nicht während einer Solidaritätsveranstaltung. Pastor Frank Morgenstern, einer der Köpfe des Unterstützerkreises, holte das Stadtoberhaupt auf ein konstruktives Niveau zurück, indem er um Verständnis bat für die große Emotionalität gerade älterer Menschen, die die Shoah miterlebt haben. Beispielhaft zitierte er einen Anrufer, der Solidarität bekundet hatte: „Ich bin Synagogenvorsteher – Sie wissen, was ich meine?“ Morgenstern forderte Menzel auf, sich „an die Spitze der Bewegung“ zu setzen. Kremmer eröffnete gleich eine Möglichkeit: Ob Menzel gemeinsam mit ihm das Gespräch mit dem Leiter der Arbeitsagentur suchen würde? „Kein Problem“, lenkte Menzel ein.
Nicht vergessen sollte man die Mechanismen, die damals den reibungslosen Ablauf der Vernichtungsmaschine ermöglichten: Das widerspruchs- und bedingungslose Mitläufertum und die bürokratische „Abwicklung“ menschlicher Persönlichkeiten, die auf Formulare reduziert wurden. „Warum ruft ein Polizist, der für eine Abschiebung abgeordnet wird, nicht ‚Moment mal‘? entrüstete sich eine Teilnehmerin. Auch von anderen Anwesenden kam Zustimmung, dass die rechtsstaatliche Demokratie dafür da ist, Gesetze und andere Anordnungen immer wieder zu hinterfragen, Grenzen auszuloten und auch zu überschreiten, kurz: zivilen Ungehorsam zu üben, wenn die Menschlichkeit es gebietet. Und die eigene Bequemlichkeit hintenan zu stellen, wenn es darum geht, dass eine zivilisierte Gesellschaft ihren Namen wirklich verdient.
„Es gibt keine menschliche Abschiebung“, stellte Janssen fest.
Dann müssen wir sie eben abschaffen.

„Die schrecklichste Nacht meines Lebens“
Was der Familie Mucaj (gesprochen: Mukai) in jener Januarnacht und am darauf folgenden Tag widerfuhr, ist durch zahlreiche Medienberichte vielen bekannt – aber vielleicht nicht allen:
Zwischen zwei und vier Uhr morgens erscheint ein Aufgebot aus Mitarbeitern der Ausländerbehörde, uniformierten und zivilen PolizeibeamtInnen mit einem Durchsuchungsbefehl an Mucajs Wohnungstür und begehrt lautstark Einlass. Frau Mucaj soll ihre Kinder wecken und anziehen und die Koffer packen – „ansonsten kommen Sie im Pyjama mit“. Die Kinder stehen bereits mit weit aufgerissenen Augen im Bett. (Der Ältere ist bis heute traumatisiert und deshalb in ärztlicher Behandlung.) Frau Mucaj läuft umher, begreift und akzeptiert nicht, dass sie jetzt und unter diesen Umständen ihre Heimat verlassen sollen, und bittet, sich zumindest telefonisch von ihren Schwiegereltern verabschieden zu dürfen. Dies wird ihr erst nach der Abfahrt gewährt. In einem großen Bus geht es Richtung Düsseldorfer Flughafen.
Zwischenzeitlich haben Familienmitglieder den Rechtsanwalt informiert und dieser das Verwaltungsgericht in Oldenburg. Dieses stellt einen Formfehler fest. Gerade als Mucajs am Flughafen den Bus verlassen sollen, erhalten die begleitenden Beamten das „Kommando zurück“.
Ein neuer Abschiebetermin wurde noch nicht festgelegt. Trotzdem können Mucajs keine Nacht mehr ruhig schlafen. Auch Frau Mucaj wirkt einen Monat danach immer noch traumatisiert. Einige Tage zuvor, bei einem Pressegespräch im kleinen Kreis, versucht sie die Geschehnisse noch einmal zu schildern. Sie beherrscht die deutsche Sprache, aber man fühlt, wie sie feststeckt, gefangen ist in dieser Nacht, in ihrer Wohnung, als würde sie gerade all das nochmal, wieder und wieder, durchleben.

Imke Zwoch

Schünemann kriegt Gegenwind
Aktuell haben öffentliche Proteste, auch von kirchlicher Seite, bewirkt, dass Niedersachsens Innenminister selbst aus den eigenen Reihen für seine Flüchtlingspolitik scharf kritisiert wird. SPD und Grüne nennen sie „erbarmungslose und ungerecht“. Schünemann hält dem entgegen, seine Politik orientiere sich konsequent am Zuwanderungsgesetz. Dessen Ausführungsbestimmungen sind jedoch Ländersache, liegen also in seiner ureigensten Verantwortung.
Der grüne Fraktionsvorsitzende Stefan Wenzel fordert die Einrichtung einer Härtefall-Kommission. Die SPD-Sozialpolitikerin Heidi Merck fordert: „Geben Sie dem Land sein humanitäres Gesicht zurück.“

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