Burschenschaften
Feb 012005
 

Gefährliche Seilschaften

Ehemaliges Corps-Mitglied referierte über Studentenverbindungen

(iz) “Burschenschaft Normannia Leipzig schließt NDP-Aktivisten aus“, vermeldete vor 4 Jahren die Presse. Werden studentische Verbindungen wie die “Nordia“ an der hiesigen Fachhochschule zu Unrecht dem ultrarechten Spektrum zugeordnet? Dr. Stephan Peters schilderte an Hand eigener Erfahrungen und Studien Geschichte und Rituale von Burschenschaften & Co. Im Publikum saß auch ein Dutzend “alte Herren“. Alle anderen glaubten, sie hören einen Reisebericht von einem anderen Stern jenseits der Zivilisation, von Klingonen oder so.

 Wappen_BurschenKurz vor Weihnachten 2004 war der Nazi Jürgen Rieger zu Gast bei einer Kasseler Burschenschaft. In seiner Rede leugnete er die Vernichtung von Juden, Sinti und Roma im Dritten Reich und forderte dazu auf, Ausländer zu verprügeln. Der Chef des hessischen Verfassungsschutzes befand, das sei “zu beanstanden, aber keine Gefahr für die Verfassung“.
In der Palette der verschiedenen Verbindungsformen ordnet Peters die “Deutsche Burschenschaft“ (etwa 15.000 Mitglieder) ganz rechtsaußen ein. Aus ihren Reihen kommen Köpfe nationaldemokratischer bzw. republikanischer Hochschulbünde und rechtsradikale Zeitungen wie “Junge Freiheit“ oder “Der Republikaner“.
Peters selbst war 4 Jahre in einer katholischen Korporation in Marburg aktiv. Er trat aus, als sein “Weltbild nicht mehr kompatibel zu dem der Verbindung war“, und promovierte später über Corps. Äußerlich wirkt der Politologe, Eliteforscher und Publizist immer noch wie ein Corps-Student, tritt jedoch locker und frech auf. Als erklärter FAZ-Leser ist er sicher nicht der Linken zuzuordnen, was ihn in Verbindung mit seinem persönlichen und wissenschaftlichen Erfahrungsschatz seitens der Rechten beinahe unangreifbar macht.

Ziele

Aufgabe der Corps und Burschenschaften ist es, “national gesonnene Persönlichkeiten in führende Positionen zu entsenden“, so Ex-Innenminister und Verbindungsmitglied Manfred Kanther. Die Elite will sich selbst erhalten, und das ist ihr bis heute ausgezeichnet gelungen. Am Anfang des Weges zu einer sicheren Machtposition steht die widerspruchlose Unterwerfung, die wie folgt begründet wird: “Freiheit ist, zu tun, was man soll, nicht, was man will“. Wichtig ist ihr die Abgrenzung zum “gewöhnlichen Volk“, wozu auch Frauen zählen. Peters: “Das Prinzip funktioniert. Leute aus den höchsten gesellschaftlichen Stufen kommen selbst wieder auf die höchsten Stufen, und führende Positionen bleiben Männern vorbehalten.“

Geschichte

Die ersten Burschenschaften entstanden zur Zeit der französischen Revolution aus Kreisen des Bildungsbürgertums z. B. in Jena, Leipzig, Halle und Göttingen und waren anfangs rein protestantisch. 1848 kam es zur Spaltung. Die Nationalisten überwogen, die Bewegung erstreckte sich bis ins Kleinbürgertum. 1871 wurde Otto Baron von Bismarck mit seinen Bestrebungen für ein “einiges Vaterland“ zur Schlüsselfigur. Die lebenslange Mitgliedschaft wurde eingeführt. Die aufkommende Frauenbewegung provozierte “die Erziehung zum Mann“ (gegen das Weibliche). 1882 schloss der Corps Teutonia Marburg Juden von der Mitgliedschaft aus. 1894 wurde in allen Verbindungen die Aufnahme von Juden, die zwischenzeitlich möglich war, wieder untersagt.
Wappen 11921 legte man eine Abstammungsfolge fest, die 14 Jahre später fast im Wortlaut in die “Nürnberger Rassegesetze“ einfloss. Nur 5 der 120 Corps weigerten sich, Juden auszuschließen. 1935 wurden die Corps aufgelöst und in den nationalsozialistischen Studentenbund überführt.
Nach Ende des 2. Weltkrieges wollten die Alliierten die Neugründung von Corps verbieten, aber die hatten sich schon längst wieder formiert. Zur “Elite“ aus Wirtschaft und Politik, die teilweise schon im Dritten Reich und später wieder Deutschland regierte, gehör(t)en Hanns Martin Schleyer und sein Sohn Hanns Eberhard, der vor 2 Jahren vom Titel der Zeitschrift “Corps“ (1/2002) lächelte, daneben sein Ausspruch “Elite: Verantwortung für die Gesellschaft“. Schleyer ist Generalsekretär der “Suevia Heidelberg“. Zum erlauchten Kreis der “alten Herren“ zählen auch die Chefs von EoN (Klaus Esser) und Allianz (Schulte-Nölle). Thomas Gottschalk war im gleichen Corps wie Franz Josef Strauß.

Erziehungsmethoden

Gehorsam, Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Charakter sind die “Tugenden“, zu denen der Nachwuchs der Verbindungen erzogen werden soll. Die drei Säulen der “Korporierung“ heißen Konvent, Kneipe und Mensur. Regeln und Rituale stehen in einem Normenkatalog, dem “Comment“.
Der Konvent ist eine Versammlung, die nicht nach demokratischen Regeln durchgeführt wird. Es wird sowohl beschlossen als auch gerichtet. Es gibt unterschiedliche Stimmrechte, und eine Diskussion der Beschlüsse ist nicht möglich.
wappen 2Die Kneipe ist eine rituelle Feier, an der neben den Studenten auch die alten Herren teilnehmen, um das “Lebensbundprinzip“ zu unterstreichen. Für das Trinken (Alkohol) gibt es spezielle Regeln. Wer dagegen verstößt, wird mit Biertrinken abgestraft. Daneben wird nach besonderen Regeln gesungen und gesprochen.
Am bekanntesten ist wahrscheinlich die Mensur, das „Schlagen“ (Fechten; es gibt allerdings auch so genannte nicht schlagende Verbindungen). Die mindestens einmalige Teilnahme ist Voraussetzung, um in den Bund aufgenommen zu werden. Der Körper ist durch ein Kettenhemd geschützt, der Kopf nicht, außer Augen und Nase. Führt der Gegner einen Stich, darf der Kopf nicht zurückgezogen werden. Dabei verletzt zu werden, ist keine Pflicht, gilt aber als besondere Ehre, als “Blutopfer für die ritterliche Gemeinschaft“ (Ursprung der Redewendung “den Kopf hinhalten“). Bevorzugt wird die Schläfe verletzt, was einen eindrucksvollen Blutverlust bewirkt. Juristisch heißt das Ganze “Körperverletzung mit Einwilligung“ (Urteil von 1953). Ein Arzt ist immer dabei, der die Wunde ohne Betäubung vernäht. Wer eine deutliche Narbe zurückbehalten will, streut Salz darauf.
Diese Rituale werden als “Geschlechtszuweisung“ eingeordnet, gewissermaßen eine “Beschneidung am Kopf“ oder eine Reminiszenz an die “Kopfgeburt des Zeus“ (der eine Frau geboren haben soll).

Rekrutierung und Hierarchie

Corpsstudenten kommen in der Regel nicht aus dem Arbeitermilieu. Herkunft und “Gesinnung“ sind Kriterien für die Aufnahme.
Oft waren Papa und Opa schon “Füchse“, sind jetzt “alte Herren“ und teilen dem Sprössling unmissverständlich mit, welchem Korps er sich an seinem Studienort anzuschließen hat. So erging es auch Peters. Zusätzlich machen sich die Verbindungen die Wohnungsnot in Universitätsstädten zunutze: Inmitten Hunderter Angebote am Schwarzen Brett, die völlig überteuert und trotzdem Sekunden nach dem Aushang bereits vergeben sind, werden billige bis kostenlose Zimmer in den feinsten Immobilien angeboten, Mittagstisch inklusive, Computer und weitere Annehmlichkeiten gibt’s obendrauf. Voraussetzung: Beitritt zum Corps. Der Übergang von Muttis Schürzenzipfel über die angsteinflößende Massen-Universität hinein in eine schützende Gemeinschaft erfolgt rasch über einen roten Teppich.

Die Anfänger im Verbindungs(un)wesen heißen “Füchse“. Ihre “Ausbildung“ erfordert 1 bis 2 Semester: “Ehemalige Bundeswehrsoldaten haben es leichter.“ In dieser kurzen Zeit müssen sie eine Menge Regeln “pauken“, “inkorporieren“, was (gezielt) keine Zeit zum Reflektieren lässt. Ihnen zur Seite steht ein “Leibbursche“.
Die darauf folgende Zeit als “Bursche“ dient der “Festigung“ und Übung des Erlernten. Daran schließt sich eine inaktive „Angleichungsphase“ an.
Peters hatte ein ganzes Bündel von “Freundschaftszipfeln“ dabei, bunten Hosenbändchen mit Plakette, die als Zeichen der ewigen Freundschaft ausgetauscht werden, mit Gravuren auf der Rückseite (“von xx f. m. lb. Lb. yy“ – “für meinen lieben Leibburschen“ – jeweils mit Namen und Spitznamen, die an berühmte Philosophen u. ä. erinnern).
Nach dem Studium bzw. im Beruf sind die Mitglieder “alte Herren“, die nur noch in Form von Kapitalspritzen aktiv sind. Sie kaufen z. B. die prachtvollen Immobilien, die oft als gemeinnützige Wohnheime betrieben werden.

Gefahrenpotenzial

In den hier genannten und weiteren Verbindungen wie Landsmannschaften sind bundesweit 157.000 Personen korporiert. Einige, wie die “musischen Verbindungen“, nehmen auch Frauen auf. Während die Corps für Peters nur “deutschen Konservatismus in Reinstform“ betreiben, steht vor allem der “übelst rechtsextreme“ Dachverband deutscher Burschenschaften in enger Verbindung zu Nazis. “Sie haben das völkische Prinzip in ihren Statuten.“

Diskussion

Aus dem restlichen Publikum ließen sich die anwesenden “alten Herren“ sofort ausmachen, die in der Diskussion bestens vorbereitet wirkten. Zum Einstieg “outete“ sich einer “als 80jähriger alter Corpsstudent“ und wollte “einiges geraderücken“: “Bei uns wird nicht nach dem Stall geguckt, nicht nach der Hautfarbe oder der politischen Meinung. Wir haben auch einen Koreaner und einen Kroaten dabei. Man muss nur ordentlich, anständig und sauber sein.“ Und wie wird das geprüft? “Der Neue wird einmal unter Alkohol gesetzt, da zeigt sich der Charakter. Der Habitus ist im Milieu verankert und unter Biereinfluss feststellbar.“ So erkennt man also den Arier.
Dass von solchen Zuhörern nicht ohne Häme Personen wie Marx oder Liebknecht als Corpsstudenten angeführt werden, ist Peters gewohnt. Vor allem, dass stets fälschlich Karl Liebknecht genannt wird, der damit gar nichts am Hut hatte, im Gegensatz zum späteren SPD-Gründer Wilhelm Liebknecht.
Ein anderer Teilnehmer zeigte sich den deutschen Burschenschaften zugehörig. “Ich bin nicht rechtsextrem. Bei uns gilt das Toleranzprinzip.“ Bekanntermaßen werden vor allem Faschisten toleriert. Dazu Peters: “Die Selbstreinigung von rechtsextremen Strömungen funktioniert nicht. Da müssen Sie sich schon Vorwürfe gefallen lassen. Es ist nicht witzig, wenn in Ihren Kreisen Heil Hitler gebrüllt wird.“ Weitere Verbindungs-Mitglieder meldeten sich zu Wort und stritten viele von Peters‘ Ausführungen ab. Dessen Schlusswort: “Da sage ich mal ganz dreist: Sie kennen Ihr eigenes Handbuch nicht. Ihr Ziel bleibt, eine Elite zu pflegen.“

Fazit

Zurück blieb die anwesende Linke mit der Frage, warum man sich, knapp ein Jahr nach der Nazi-Demo, überhaupt mit Leuten dieser Couleur unterhält. Ignorieren kann und darf man dieses meist versteckte völkische, rechtskonservative bis faschistische Potenzial auf keinen Fall. Es ist wichtig, sie zu (er)kennen. Sie sind da, unter uns, überall und vor allem in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Schlüsselpositionen. Und wir können sie nicht einfach zurückschicken auf den Planeten Kronos zu den anderen Klingonen.

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