OB- und Kommunalwahl
Nov 012011
 

Game over

OB- und Kommunalwahl – eine Nachbetrachtung

(iz) Die OB- und Kommunalwahlen liegen schon einige Wochen zurück, inzwischen hat sich der neue Rat konstituiert. Für die nächsten fünf Jahre, und nach einem sehr ausgedehnten und ungewöhnlichen Wahlkampf. Deshalb wollen wir, etwas verspätet, schlaglichtartig auf das Spektakel zurückblicken.

Sonntag, 11.9.2011, 19 Uhr 30: in der Wahlzentrale im Rathaus herrscht eine Stimmung, als sei gerade das World Trade Center eingestürzt. Oder, sinngemäß, der Rathausturm. Kein Vergleich mit den früheren Wahlpartys im Pumpwerk, das schon ab 18 Uhr gut gefüllt war, wo jedes Zwischenergebnis lautstark begeistert oder auch enttäuscht kommentiert wurde. Hier: Nur ein paar BürgerInnen, Parteigänger und Verwaltungsleute. Fassungslosigkeit in einigen Gesichtern, keine emotionalen Diskussionen, nur geflüsterte Kommentare. Der einzig anwesende OB-Kandidat Nils Böhme macht sich schon wieder auf den Heimweg. Der noch amtierende OB sondert vor laufender NDR-Kamera uninteressante Textbausteine ab. Die Übrigen hocken noch wie die Kaninchen ihren Löchern, um das Ergebnis vorzuverdauen. Das lautet: 36 zu 29,8% der Stimmen für den CDU-Kandidaten Andreas Wagner gegen Thomas Städtler (SPD).

Tabelle Kommunalwahl 2011

Ergebnisse der OB- und Kommunalwahl in Wilhelmshaven 2011

Zuvor lag die Stadt über Monate im Wahlfieber – jedenfalls die halbe, denn die andere Hälfte hat mal wieder nicht mitgewählt. Gegen 20 Uhr sind alle 48 Wahlbezirke ausgezählt, endlich ruft einer “das ist doch mal einen Applaus wert”, pflichtschuldigst wird ein bisschen geklatscht. Kurz darauf betritt der strahlende Sieger den Saal, diesmal Applaus ohne Cheerleader. Die meisten haben sich schon davongestohlen, Teil zwei – die Auszählung der eigentlichen Kommunalwahl – interessiert anscheinend nicht mehr. “Die rote Vorherrschaft ist endlich gebrochen!” lautete der hämische Kommentar einiger “Analysten” am Abend des 11. September. Revolutionär war allenfalls, dass nach 25 Jahren SPD-Menzel ein CDU-OB an der Spitze der Stadt steht.

Doch, Hand aufs Herz: Hat sich wirklich so viel verändert? Tatsächlich war Menzel in den letzten Jahren immer weniger als SPD-OB erkennbar. Er entschied und dirigierte nach eigenem Gutdünken und nicht selten an “seiner” Partei vorbei. Er stand der Wirtschaft näher als den “kleinen Leuten”. Basisdemokratischen Bewegungen begegnete er offensiv aggressiv. Politisch engagierte BürgerInnen, die nicht in sein Kalkül passten – ob Antifa, ob Antiport, ob Anti-Fäkal – diffamierte und beleidigte er. Sich selbst sah er als Ausbund der „Vernunft“, anderen warf er Emotionalität vor – dabei machte er selbst verbal und mimisch das HB-Männchen, wenn ihm was nicht passte. In der inhaltlichen Linie – Wirtschaftsförderung über alles als vermeintliches Allheilmittel – wird es bei Wagner kaum Unterschiede geben, bleibt zu hoffen, dass er anders als sein Vorgänger kritischen BürgerInnen fair und auf Augenhöhe begegnet, ihre Anregungen konstruktiv entgegennimmt und ihr ehrenamtliches Engagement angemessen würdigt.

Aber außer dem OB wurden ja noch 44 Menschen gewählt. Neu ist, dass jetzt neun statt sieben Parteien und Wählervereinigungen im Rat vertreten sind. Die Rechten sind erfreulicherweise gar nicht erst angetreten. Die Piraten sind mit einem und die Freien Wähler und die Wilhelmshavener Bürgervereinigung mit je 2 Sitzen dazugekommen. Die Linken zogen letztes Mal (noch als LAW) mit zwei Herren in den Rat ein, einer meldete sich gleich danach ab – jetzt bleibt es bei einem. Die BASU schließlich, hieß es hämisch, sei von 5 auf jetzt 2 Mandate abgerutscht. Tatsächlich waren es 2006 zunächst auch nur zwei, erst im Laufe der Wahlperiode wurde die BASU als Gruppe zum Auffangbecken für Aussteiger – Barbara Ober-Bloibaum von der SPD, Claus Westerman von den Grünen und der parteilose Gerold Tholen vervollständigten das Quintett. Wirkliche Verlierer sind nur die Freidemokraten, die von fünf Leuten 2006 auf einen einsamen Dr. von Teichman schrumpften.

Bei den beiden “großen“ Parteien hat sich gegenüber 2006 nichts eklatant verändert. Die SPD zog 2006 mit 17 Leuten in den Rat ein. Unterwegs ging ihnen eine Ratsfrau an die BASU verschütt, blieben 16, jetzt wurden 14 reingewählt. Die CDU-Fraktion hatte seit 2006 konstant 14 Köpfe, jetzt ist es einer mehr. Deutliche Zugewinner sind nur die Grünen: 2006 waren es drei, unterwegs nur noch zwei und jetzt sind es sechs im Rat. Die letzte Wahlperiode startete auch nicht mit einer roten Vorherrschaft, sondern mit einer 22köpfigen Jamaica-fast-Mehrheit (CDU-FDP-Grüne), die gelegentlich vom OB auf 23 aufgestockt wurde, aber nicht lange hielt. Nach dem Scheitern wurde es zeitweise wirklich bunt und spannend, wer mit wem wie abstimmte. Eigentlich naheliegend – wenn sich immer dieselben Parteien und Gruppen bei allen Entscheidungen einig wären, bräuchten wir ja gleich nur zwei Wahlalternativen. Demokratisch interessant wird es erst durch unterschiedliche Schwerpunkte – bei einem sozialen Thema stimmt Partei A mit Gruppe B überein, bei einer Entscheidung im Kulturbereich vielleicht eher mit Partei C.

Irgendeine geheime Macht mit dem Codenamen “Vernunft” plädiert jedoch unermüdlich für die übermächtige “Wilhelmshaven-Koalition”, die sich in allem immer einig ist. Vor allem würde von allen erwartet, dass sie nie skeptisch hinterfragen und keine Bedingungen stellen, wenn ein Investor an die Tür klopft. Mal ehrlich: Wer regiert uns wirklich?

Nun ist dieser (Alp-)Traum erst mal wahr geworden: SPD und CDU starten per Koalitionsvertrag mit einer betonierten 2/3-Mehrheit in die neue Wahlperiode. Eine Überraschung? Macht macht süchtig. Hauptsache oben bleiben, auch wenn man eigene Prinzipien und Wahlprogramme dafür aufgeben muss. Einen Tag nach der Wahl beeilte sich SPD-Vorsitzender Volker Block, auf Schmusekurs zu gehen in Richtung große Koalition. Die Kugelschreibertinte auf den Wahlzetteln war kaum getrocknet, da wurde schon das erste Wahlversprechen gebrochen: Für den Bau weiterer Kohlekraftwerke ist die SPD nun offen. Echt pervers: Erst tritt man mit scheinbar unterschiedlichen Zielsetzungen an, und plötzlich ist man sich doch in allem einig. Mal schauen, ob die plötzlich entflammte schwarz-rote Liebe ewig hält, ob den Genossen die garantierte Mehrheit für-was-auch-immer wichtiger bleibt als ihre politischen Wurzeln, für die sie auch die Nagelprobe wagen und die Scheidung riskieren. Dann käme wieder Dynamik in den Ratssaal.

Um zumindest in den Ausschüssen ein Stimmrecht zu haben, müssen die Einzelkämpfer Anschluss suchen. Um so besser sind sie gerüstet, wenn sich in den nächsten 5 Jahren der Wind noch dreht. So haben sich Grüne, WBV und der Pirat mittlerweile zusammengeschlossen.

Die Schuldfrage

Nach der OB-Wahl machten die SPDler lange Gesichter, als wären sie völlig unschuldig daran, dass „ihr“ Kandidat abgeschmiert ist. Über lange Wahlkampfwochen hinweg wagte niemand eine klare Prognose: Wagner oder Städtler? Auch der grüne Kandidat Michael von den Berg wurde, wenn auch nicht als Sieger, aber hoch gehandelt. Die anderen sechs waren nie ernsthafte Konkurrenten, brachten aber Farbe ins Spiel und im Ergebnis jedenfalls neue Wählergemeinschaften in den Rat. Alle Neune waren manchem zu viele, aber gegenüber nur einem einzigen gemeinsamen Kandidaten, wie „die Vernunft“ (= die Wirtschaft) es einforderte, die bessere Alternative.

Von allen sieht Wagner am ehesten so aus, wie Heini Meyer und Liese Müller sich einen OB vorstellen. Ohne sichtbare Ecken und Kanten, seriös, aber nicht humorlos, verbindlicher Händedruck. Nach diesem Eindruck wählen die 95%, die keine Wahlprogramme studieren oder Podiumsdiskussionen besuchen. Zudem ist Wagner “ein Mann der Wirtschaft”, was der breiten Masse von gewissen Meinungsmachern als wichtigstes Kriterium erfolgreich eingetrichtert wird. Deshalb hatten auch fast alle Kandidaten aus der letzten Ecke ihrer Biografie was rausgekramt, das irgendwie mit Wirtschaft zu tun hat. Selbst der Pirat Rainer Büscher gab als Beruf schließlich “Unternehmer” an – was nicht gelogen ist, führt er doch ein Naturkostfachgeschäft. Und der grüne Teehändler hat sogar internationale Wirtschaftsbeziehungen – Tee wächst ja nicht in Deutschland.

Aber wem nützen Beziehungen zur Wirtschaft eigentlich am meisten? Den Bürgern oder der Wirtschaft? Nur weil ein OB weiß, wie die Wirtschaft tickt, wird er einen Unternehmer kaum überreden können, eine garantierte Zahl unbefristeter, sozialversicherungspflichtiger und tariflich bezahlter Arbeitsplätze zu schaffen, wie wir sie brauchen, und seine Ansiedlung nach planerischen und ökologischen Vorgaben der Stadt auszurichten. So lief das schon in der Vergangenheit nicht, so wird es vermutlich auch zukünftig nicht laufen. Man nimmt, was man kriegen kann, Zeitarbeit, prekäre Beschäftigung, hässliche Billigbauten auf der grünen Wiese – egal, Hauptsache, man kann von Arbeitsplätzen schwafeln, Statistiken schönen und bei der Einweihung gibt’s Sekt und alle sind mit auf dem Pressefoto. Ob Wagner da was anders machen wird als Menzel?

Wäre ein erfahrener Verwaltungsfuchs wie Städtler vielleicht sinnvoller gewesen, der die inneren Strukturen im Rathaus erkennen, verstehen und geschickt verändern kann, der mal Kehraus macht? Keine Frage, in der Verwaltung arbeiten engagierte und fähige Leute, die aber oft nicht so können, wie sie wollen, weil sich an der Spitze über 25 Jahre vieles festbetoniert hat – ein mächtiges Paralleluniversum jenseits des Ratssaales. Verwaltungsmitarbeiter sollen keine Untertanen sein, die Zeiten sind zum Glück vorbei (auch wenn einige Leute Bismarck hier wieder ein Denkmal setzen wollen), sie sollen ihre fachliche Meinung beisteuern – aber oft genug fragt man sich, wer hier eigentlich die Fäden zieht.

Aufgaben umverteilen, den Nachwuchs aufrücken lassen – so käme mal frischer Wind ins Rathaus. Nicht aber mit dem Rotstift an der Basis des Personals – auch ein kluger Unternehmer weiß, dass ausgebrannte Mitarbeiter auch ökonomisch eine Katastrophe sind. Personal kürzen ist populistisch der Renner, aber saublöd.

Warum ist Städtler gescheitert? Die Grünen und Stefan Becker sind schuld, räsonieren einige Genossen, weil die wertvolle Stimmen geklaut haben. Ist Städtler selbst schuld? Äußerlich sieht er schon aus wie ein Bürgermeister, zudem ist er auch ein echter und wird das nun weiterhin sein – in Löningen. Von Anfang an trat Städtler überall in Erscheinung, wo er die Basis treffen konnte, ob bei Diskussionen um die Antonslust, wo ein Industriegebiet dräut, oder beim “Plattformfestival”, dem Highlight alternativer Jugendkultur. Bürgerbeteiligung – ein echtes Manko unter Menzel – war Städtlers oberstes Credo. Gegen Ende verblasste er jedoch zusehends in öffentlichen Diskussionen und, so munkelt man, soll schließlich mit seiner “Kneipentournee” unterhalb eines gewissen Niveaus gestrandet sein.

Wer Persönlichkeit zeigt, macht sich angreifbar. Städtlers Gegner führten Krieg auf unterstem Niveau, nicht politisch, sondern persönlich. So: Wo hat Städtler seinen Erstwohnsitz? In WHV, oder tut er nur so? Oder: Er ist in Löningen bis 2014 gewählt – jetzt will er die Leute dort im Stich lassen, wie gemein! Wie schnell lässt er Wilhelmshaven dann im Stich, wenn was Besseres winkt? Oder: die “Anruf”-Gerüchte – da sollen Leute aus Löningen angerufen haben, “wählt den bloß, damit wir den los sind”. (Andere Löninger sollen gesagt haben, Städtler habe dort soviel Gutes auf den Weg gebracht, dass er guten Gewissens ziehen könne.) Man muss Städtler politisch oder persönlich nicht mögen, um festzustellen: Diese Art des “Wahlkampfes” ist unterste Schuhsohle – Provinztheater.

Was hat Wagner, was Städtler nicht hatte? Richtig: geschlossene Unterstützung durch seine Partei. Leute, die ihn gegen doofe Gerüchte abschirmen. Und bis zum letzten Tag hatte Wagner Wahlkampfhilfe von der Wirtschaft, bis hin zu “ich wähle Wagner weil”-Annoncen auf der Titelseite des Tageblatts – die lassen sich ihren Spaß was kosten! Städtler hatte bei seiner Nominierung eine knappe Mehrheit gegenüber Klaus Kottek. Und die große Minderheit der Partei warf Städtler dann Knüppel zwischen die Beine ohne Ende – bei solchen Partei”freunden” braucht man keine Feinde mehr.

Dann kam noch die Umfrage, die der NDR bei Infratest Dimap in Auftrag gegeben und die WZ veröffentlicht hatte. Von da ab ging es nicht mehr um einen von neun Wunschkandidaten, sondern um die rein strategische Entscheidung zwischen zwei Personen, die etwa gleichauf waren: einen wählen, um den andern zu verhindern. War diese Umfrage repräsentativ? Infratest Dimap befragte Leute telefonisch – ausgewählt aus dem örtlichen Telefonbuch. Das sind mit wenigen Ausnahmen Leute mit Festnetzanschluss. Die vielen, vor allem Jüngeren, die nur noch per Handy unterwegs sind oder sich keinen Festnetzanschluss leisten können, blieben außen vor. Auch ein Gegenwind-Redakteur wurde befragt und stellte im Gespräch fest, dass z. B. der Piraten-Kandidat dem Fragesteller unbekannt war. Mehr muss man zur Qualität der Umfrage nicht sagen – ihre Folgen waren erheblich.

Drei Tage nach der Wahl zauberte Stadtrat Klaus Kottek, der als SPD-OB-Kandidat gegen Städtler gescheitert war, ein Kaninchen aus dem Hut. Ein Umschlagplatz für Offshore-Windkraftwerke auf der Schleuseninsel! Der Newcomer war gescheitert, schon bekamen die alten Strukturen wieder Oberwasser. Weitermachen wie bisher: Zwar endlich mal eine ökologisch orientierte Zukunftstechnologie, nur liegt diese Zukunft schon in der Vergangenheit, andere Hafenstädte sind da längst mittendrin, also hier ein Rohrkrepierer, den man mitten in ein touristisch verheißungsvolles Areal setzen will. Glückwunsch.

Fazit

Ob SPD oder CDU, hier einer mehr, da zwei weniger, nun ohnehin in vertraglicher Eintracht – sie waren in den letzten Wahlperioden nicht mutig oder innovativ, und das wird sich auch jetzt nicht wie von Zauberhand ändern. Neue Ideen und andere Sichtweisen sind allenfalls von einigen anderen, vor allem den neu in den Rat eingezogenen Gruppierungen, zu erwarten, aber was nützt es, wenn die übermächtig große Koalition sich selbstzufrieden zurücklehnt. Putzig war schon, dass die SPD-Fraktion jetzt mit Karl-Heinz Föhlinger einen zu ihrem Vorsitzenden gewählt hat, der bislang in den eigenen Reihen und vor allem den Augen der alten Führungskräfte als enfant terrible in Erscheinung trat. Schauen wir mal, wie er sich in neuer Position entwickelt. So wie die SPD kaum noch erkennbar links von der CDU agiert, war auch Menzel schon lange kein linker OB mehr. Unsere ehemalige Arbeiterstadt ist rechts von der Mitte angekommen, da können wir Wagner loslaufen lassen, ohne dass er sich an einem sozial und ökologisch bemerkenswerten Vorbild messen lassen müsste. Eine perfekte Startposition: schlechter kann es kaum noch werden.

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