Naziaufmarsch
Sep 152005
 

Eine Handvoll Nazis

Beobachtungen und Gedanken zum Naziaufmarsch in Oldenburg

(iz) Oldenburg, 3. September 2005: Feinster Sonnenschein. Tausende Menschen strömen in die City – und kommen nicht mehr heraus. Über Stunden werden sie dort eingekesselt. Wie das? Mitnichten eine PR-Aktion des Einzelhandels. Sondern eine in unserer Region nie dagewesene Strategie der Polizei, um einer Handvoll Nazis ihren peinlichen Aufzug mit dümmlichen „Kundgebungen“ zu ermöglichen.

Jeder Zugang zur Innenstadt ist durch Polizeitransporter versperrt, an den schmalen Durchgängen wird fast jede/r von den Beamten befragt und kontrolliert: Wo wollen Sie hin und warum? Einkaufen? Was denn? Fehlt nur noch: Welche Konfektionsgröße? Nach optischer Einschätzung werden viele „dem linken Spektrum zugeordnet“ und abgewiesen, weil sie „eine potenzielle Gefahr darstellen“. Übereifrige Uniformierte in gepanzerten Schutzanzügen unterstellen Menschen in leichter Sommerbekleidung Gewaltbereitschaft.Logo Nazi Faust
Viele sind wirklich nur zum Einkaufen gekommen. Eine Dame beschwert sich – sie ist solidarisch mit den AntifaschistInnen, aber genervt vom Spießrutenlauf zwischen all den Sperren. Ein Beamter erklärt ihr, sie solle sich bei der Stadt Oldenburg beschweren – „hätte die den Kasperkram nicht genehmigt, wäre Ihnen und uns das hier erspart geblieben.“ Tatsächlich hat der Rat der Stadt zwar eine Resolution gegen den Naziaufmarsch verfasst, in dem es u. a. heißt: „Die Verwaltung wird aufgefordert, den NPD-Umzug hinsichtlich Umfang und Ausgestaltung so restriktiv wie möglich zu behandeln.“ In der Praxis sah das so aus, dass die NPD die gesamte Route gehen und alle Kundgebungen abhalten durfte, die sie beantragt hatte.

„Es darf nicht, wie andernorts oft geschehen, die bizarre Situation eintreten, dass die Polizei als Verteidiger des Rechtsstaates die Gegner der Demokratie schützen muss.“
(aus der Resolution des Oldenburger Stadtrates)

Ein bisschen Statistik? Nazis: Nicht mal ein Drittel der angekündigten 300. PolizistInnen: Etwa 3000. GegendemonstrantInnen: Schwer zu sagen, wer gezielt aus Protest in die Stadt gekommen war und wer sich spontan noch den Gegenaktionen anschloss – insgesamt jedenfalls mehrere Tausend.
Und sonst? Laut Polizeibericht 2-10 leicht verletzte Beamte. Eine mindestens zweistellige Zahl von durch Tränengas und Schlagstöcke verletzten AntifaschistInnen. Nach einer gelungenen Blockade an der Kreuzung Mosle-/Raiffeisenstraße wurden 40-50 GegendemonstrantInnen in Gefangenenbusse gesperrt und dort mehrere Stunden in der sengenden Hitze festgehalten, ohne Wasser oder die Möglichkeit, eine Toilette zu benutzen. Zudem waren sie dabei den spöttischen Blicken der vorbeiziehenden Nazis ausgesetzt. Die nicht ahnten, dass ein Gefangener durchs Fenster Portraitaufnahmen von ihnen machte. 3 verletzte Faschos, die später in einem Vorortbahnhof mit einer Antifa-Gruppe zusammenstießen.

„Die NPD macht Werbung in eigener Sache und wir machen mit. Das ist ein bundesweites Problem, das endlich gelöst werden muss.“
Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen, fordert ein Verbot der NPD

raus„Ohne Bullen habt ihr keine Chance“ sang am Ende noch einmal die in der Kaiserstraße von der Polizei gekesselte Antifa, als das braune Pack zum Bahnhof zurückkam. Stimmt. Keine Chance, nur einen Meter vorwärts zu kommen. Als Repressalien sind allerdings in der Regel nur Sitzblockaden, gut gezielte Eier oder Farbbeutel zu erwarten. Um das zu verhindern, setzt der Staat 30 Hundertschaften Polizei ein, wovon eine pro Tag 100.000 Euro kostet. Wow.
2001 war es den AntifaschistInnen gelungen, so gezielt an jedem Punkt einer möglichen Marschroute der Nazis präsent zu sein, dass diese unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren mussten. Diesmal wollte die Polizei es besser (?) machen und war selbst so zahlreich und frühzeitig (schon am Vortag) an den neuralgischen Punkten, riegelte alles mit Absperrgittern, Fahrzeugen und Einsatzkräften ab, dass es keinerlei Kontakte zwischen den Nazis und der Außenwelt gab – weder mit der Antifa, noch sah oder hörte sonst irgendjemand was von dem braunen Stumpfsinn. Was noch herüberschallte an Parolen, wurde konsequent von Pfiffen und Sprechchören der Nazigegner übertönt.

„Die NPD bedient sich zwar demokratischer Mittel wie einer Demonstration, sie verfolgt aber undemokratische Ziele.“
DGB-Jugendbildungsreferentin Christine Löhmann

Das Ziel des „Forum gegen Rechts“, die Nazis gar nicht erst losmarschieren zu lassen, ließ sich jedoch nicht umsetzen. Hätte etwas anders, besser laufen können? Theoretisch ja: Der Informationsfluss über die Koordinationsstellen, die Lautsprecherwagen, den speziellen Radiosender war stellenweise etwas zäh bis widersprüchlich. Praktisch nein: Was nützen die beste Informationen, die klügste Strategie, wenn der Staat für jeden Nazi 30 bzw. für fast jeden Antifa-Teilnehmer einen Polizisten abstellt? „Dabei steht das Ergebnis der Demonstration nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg vom 15. Juni 2005 vorher fest. Darin heißt es unter anderem, dass das etwaige Ziel von Gegendemonstranten, die Demonstration der NPD zu verhindern, nicht vom Grundgesetz abgedeckt ist“. („Hunte-Report“ vom 31.8.2005)

„Ihr seid nicht hier, weil wir hier sind, sondern weil ihr die NPD schützt. Das ist das Problem.“
DGB-Kreisvorsitzender Manfred Klöpper zur Polizei

So werden sich, unter den herrschenden Verhältnissen, derlei Spektakel immer wieder so oder ähnlich abspielen. „Für den Oldenburger Einsatzstab ist der Auftrag klar definiert. ‚Die NPD ist nicht verboten und hat einen Rechtsanspruch auf die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht, solange sie sich auf den rechtlichen Grundlagen bewegt’.“ („Hunte-Report“, a.a.O.) Ebendieser Einsatzstab lässt die Nazis ungeschoren sämtliche Strophen des Deutschlandliedes absingen. Gleichzeitig werden mehrere für den gleichen Tag am gleichen Ort angemeldete Gegenveranstaltungen mit Tausenden TeilnehmerInnen von links bis Mitte so weit wie möglich per Staatsgewalt behindert, unterdrückt, drangsaliert. Danke, Rechtsstaat.

 

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