Schlimmes Jubiläum
Seit einem Jahr ist das „Herzstück“ der Arbeitsmarkt„reform“ Hartz IV in Kraft. Der Gegenwind hat in dieser Zeit laufend berichtet. Da gab es gleich zu Beginn den Versuch, die Langzeitarbeitslosen um ein volles Monatseinkommen zu betrügen: Die letzte Arbeitslosenhilfe war Ende Dezember 2004 gezahlt worden, da brauchten die Leute doch nicht gleich Anfang Januar schon wieder Geld, so die Argumentation des damaligen Wirtschaftsministers Clement. Dieser Versuch konnte zum Glück in letzter Minute abgewendet werden. Und trotzdem standen Anfang Januar 2005 zahlreiche Alg II-Berechtigte ohne Geld da: Die Software funktionierte nicht, und da blieben viele Überweisungen aus Nürnberg irgendwo im Datennetz stecken (ein Vorgang, der sich im Laufe des Jahres noch mehrere Male wiederholte).
Die ARGE, diese neu geschaffene Behörde zur Betreuung der Alg II-Empfänger, war mit einer großen Kraftanstrengung von Stadt und Arbeitsagentur gerade eben pünktlich eingerichtet worden und brauchte noch Zeit, sich selber zu organisieren. So ganz ist ihr das offenbar immer noch nicht gelungen. So berichtete die „WZ“ am 9. Januar 2006, dass das Job-Center in der zweiten Januarwoche für zwei Tage geschlossen sein würde, um die Bearbeitung des Alg II weiter zu verbessern. Die Betroffenen haben seither von dieser Wirkung noch nichts gespürt. Im Gegenteil: Uns sind schon wieder einige Pannen zu Ohren gekommen.
Aber zurück zum Jahresrückblick: Bald machte Clement „Missbrauch“ aus. Schon Mitte des Jahres war klar, dass die für Alg II und Sozialgeld geplante Summe nicht reichen würde. Die Erklärung des Ministers: Die Alg II-Empfänger betrügen den Staat und erschleichen sich Leistungen, die ihnen nicht zustehen. Dass die Summe von Anfang an viel zu niedrig angesetzt gewesen war (14,6 Mrd. Euro sollten reichen, während 2004 27,6 Mrd. Euro für die entsprechenden Leistungen ausgegeben worden waren), verschwieg er, und er ließ Arbeitslose durch die ARGEn bespitzeln. Kontrollanrufe bei Alg II-Berechtigten, um sie nach Möglichkeit beim Schwarzarbeiten zu erwischen, und Hausbesuche bei „Verdacht auf eheähnliche Gemeinschaft“ banden (und binden immer noch) Arbeitskraft und damit Geld aus einem Etat, der für und nicht gegen die Arbeitslosen bestehen sollte. Liegt nicht in Wirklichkeit hier der Missbrauch?
In den Fluren des Job-Centers herrscht täglich eine Missstimmung, die mit Händen zu greifen ist. Die Wartenden sind wütend. Wenn die „Kunden“ auch nur einen Bruchteil ihres Zorns mit in die Zimmer nehmen und ihn die SachbearbeiterInnen spüren lassen, ist es mit Sicherheit ein sehr unangenehmer Job. Aber diese MitarbeiterInnen erleben nicht nur Druck von „unten“, sondern auch von oben: Sie müssen ihren Kunden Bescheide erläutern und sie ihnen gegenüber vertreten, von denen sie wissen, dass sie rechtswidrig sind (oder doch jedenfalls sehr wahrscheinlich rechtswidrig sind), bei denen Widersprüche zu erwarten sind und erfolgreiche Klagen vor dem Sozialgericht. Entsprechend hoch ist der Krankenstand bei den Beschäftigten des Job-Centers.
„1 Euro-Jobs“, laut Gesetz Arbeitsgelegenheiten für Menschen, die sich erst wieder in das Berufsleben einfinden und eingewöhnen müssen, die auf jeden Fall nur für gemeinnützige und zusätzliche Arbeiten vorgesehen sind, dienen auch in Wilhelmshaven massenhaft für notwendige Arbeiten, die ansonsten von regulären Arbeitskräften mit Vertrag verrichtet werden müssten. Eine große Zahl solcher Arbeitsgelegenheiten hat sich die Stadt gegriffen. Eine Maßnahme, die momentan läuft, als Beispiel für behördlichen Missbrauch: An mehreren Wilhelmshavener Schulen betreuen Alg II-Berechtigte nachmittags Problemkinder, Kinder, mit denen die ausgebildeten Kräfte der Schule oft schon überfordert sind. Sie sind mit Gruppen dieser Kinder allein im Haus. Die einzigen „Qualifikationen“, die diese Personen für diese Tätigkeit vorweisen müssen, sind ein Alter von mindestens 55 Jahren und Elternschaft! (noa)
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