Obdachlos
Mrz 302006
 

... von Amts wegen?

(jes) Als der 19-jährige Andreas (Name von der Redaktion geändert) von seinem Stiefvater zu Hause rausgeworfen wurde, ahnte er noch nicht, was es bedeutet, sich mit Behörden auseinanderzusetzen, denn wer sich mit unseren Gesetzen nicht auskennt, den lässt man hierzulande glatt verhungern!

Seine Situation ist folgende: Seine Mutter lebt mit ihrem Mann, seinem Stiefvater, in Trennung. Wegen privater Auseinandersetzungen setzt sein Stiefvater ihn vor die Tür. Seine Mutter hat nicht die finanziellen Mittel, ihn zu unterhalten. Er hat die Schule beendet und wartet nun auf den Musterungstermin der Bundeswehr Anfang Mai. Woraufhin er wahrscheinlich zum 1. Juli eingezogen wird.
Er wohnt nun mal hier, mal dort, bei Freunden, bei entfernten Verwandten. Diese können ihn aber auch nicht auf Dauer mitfinanzieren. Arbeit hat er bislang keine gefunden. Also geht er am 6. März in der Hoffnung auf Unterstützung zur GAQ (gesonderte Stelle für Jugendliche und junge Erwachsene). Diese gibt ihm einen Antrag für Alg II und einen Abgabetermin für diesen, den 4. April. Was noch eine lange Zeit ist, wenn man nicht weiß, wo man morgen was zu essen herbekommen soll.

Ein Sachbearbeiter für alle

Doch der einzige Sachbearbeiter für Leistungen für die gesamte Jugend bis 22 (!) kann den Termin beim besten Willen nicht vorziehen, schickt ihn aber wohlwollend zu RAN/WIWA. Dort kann man in dieser Situation aber auch nichts machen, außer ihm den gut gemeinten Ratschlag zu geben, sich beim CVJM zu melden und sich schon mal dort einzumieten, bis der Antrag bewilligt ist. Denn der CVJM hätte für solche Situationen Verständnis. Dort hätte er ein Dach über dem Kopf und drei warme Mahlzeiten.
Doch ab 1. Juli sollte ein Gesetz in Kraft treten, welches Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 nur noch in Ausnahmefällen eine eigene Unterkunft bewilligt. Was außerdem schon seit fast einem Jahr so gehandhabt wird. Was sind denn nun Ausnahmefälle? Willkür des einzelnen Sachbearbeiters? Keiner kann es ihm so richtig erklären. Im Übrigen wurde dieses Gesetz schon auf den 17. Februar vorgezogen.
Auf Grund dieser Information mietet Andreas sich lieber nicht beim CVJM ein, denn wer weiß, ob man ihm dann eine Unterkunft bewilligen würde oder ob er dann später auf den Mietkosten sitzen bliebe.
Er weiß sich keinen anderen Rat mehr, als direkt zur Geschäftsführung der ARGE zu gehen. Und trifft auf die Sekretärin, der er seine Situation schildert. Woraufhin diese sich kurz mit Herrn Grimminger abspricht und Andreas mitteilt, er solle am nächsten Tag in das Notfallbüro der Leistungsabteilung gehen. Falls es dort dann noch zu Problemen komme, solle er sich wieder bei ihr melden.
Nach wieder einem Tag, den Andreas sich gedulden muss, gibt ihm die Sachbearbeiterin dieses Notfallbüros jedoch die Auskunft, dass ihm sowieso keine Leistungen der ARGE zustehen würden, da er keinen festen Wohnsitz besäße, und verweist auf die Wohnungslosenbetreuung der Diakonie. Er betont darauf noch mal, dass er einen Wohnsitz und eine Postadresse besitzt, sich bloß auf Grund familiärer Konflikte dort nicht aufhalten kann. Und fragt, was denn jetzt diese besonderen Ausnahmefälle des neuen Gesetzes wären, wenn nicht seiner? Und ob sie einen 19-Jährigen jetzt gewissenhaft in die Obdachlosigkeit schicken wolle, anstatt seinen Antrag zu bearbeiten?
Daraufhin gibt sie ihm einen vorgezogenen Termin für den 23. März, betont aber nochmals, dass er sowieso keinen Anspruch auf Alg II hätte.

Mit 19 obdachlos?

Nach diesem enttäuschenden Gespräch geht Andreas wieder zur Geschäftsführung, die heute aber geschlossen in einer Pressekonferenz ist. Durch Zufall trifft er kurz auf Herrn Grimminger, der aber auch keine Zeit hat und ihn an Herrn Schwarz verweist. Dieser bestätigt die Aussage der Sachbearbeiterin des Notfallbüros und verweist ebenfalls auf die Diakonie. Andreas weiß nicht mehr, an wen er sich noch wenden kann, und entschließt sich dazu, das Sozialgericht einzuschalten. Holt sich aber trotzdem einen Termin bei der Diakonie, auch wenn er eigentlich nicht vorhatte, sich mit 19 im Obdachlosenheim zu melden!
Und auch die Mitarbeiter der Diakonie sind sich am nächsten Tag nicht sicher, ob er nun als obdachlos gilt oder nicht, und rufen erstmal bei der GAQ an…
In der Zwischenzeit jedoch hat sich das Sozialgericht schneller als erwartet gemeldet und Andreas telefonisch mitgeteilt, dass er definitiv nicht als obdachlos gelte!
Womit sich das mit dem Diakonischen Werk wohl erledigt haben sollte.
Bei der GAQ wird sein Antrag jetzt plötzlich doch vor dem 4. April angenommen und endlich mit einer Nummer versehen, mit dem er angeblich nur noch zum Arbeitsamt zu gehen braucht…

Stellung beziehen

Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt … denn er bekommt noch in derselben Stunde einen Anruf von der Widerspruchsstelle der ARGE, von der er gebeten wird, Stellung zu dem Vorfall der vergangenen Wochen zu nehmen.
Er geht hin, und es scheint, als wolle man sich nicht mit der Aussage des Sozialgerichtes abfinden, denn man sagt ihm, wenn er keine Schwierigkeiten mit der Durchsetzung seines Antrages haben wolle, solle er einfach sagen, dass er sich bei seiner Wohnadresse, also im Hause seines Stiefvaters aufhält und dort auch überwiegend schläft… Warum, wird dieses ominöse Amt wohl am besten wissen… Letztendlich fragt man ihn noch, ob er seine Beschwerde beim Sozialgericht nicht zurücknehmen wolle, weil es doch nur mit unnötigem Stress verbunden wäre, wenn er sie aufrechterhalten würde. (Stress für wen? Für die ARGE?)
Er willigt zwar ein, jedoch unter dem Vorbehalt, dass man seinen Antrag nun endlich nicht nur mit Nummern versieht, sondern jetzt auch bearbeitet. In beiderseitigem Einverständnis verlässt er mit einem neuen Termin und neuer Hoffnung das Amt.

Wo schlafen, was essen?

Diese Hoffnung sollte aber gleich wieder zerstört werden, denn als er am folgenden Tag mal wieder in der Leistungsabteilung der ARGE erscheint, will man seinen Antrag auch diesmal nicht annehmen…
Die linke Hand weiß dort wohl nicht, was die rechte tut. Kurz darauf findet er sich wieder in der Widerspruchsstelle ein, wo man den Antrag nun annimmt und ihm verspricht, sich darum zu kümmern…
Wieder geht Andreas ohne Erfolg aus dem Arbeitsamt. Ohne zu wissen, wo er heute schlafen wird, ohne zu wissen, wo er heute was zu essen herbekommt…
Irgendwie erinnert Andreas’ Geschichte an den Film, in dem Asterix und Obelix sich in einem römischen Amt vergeblich auf die Suche nach Passierschein A38 machen (natürlich dem grünen und nicht dem gelben)…

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