90 Jahre arbeitslos
Die ALI informierte sich über die Rente
(noa) Die Stiftung Warentest hat ermittelt, dass die Rentenberatung bei den Beratungsstellen der gesetzlichen Rentenversicherung in vielen Fällen schlecht sei. Unsichere und total sachunkundige Berater haben die Tester angetroffen. Wir sind sicher, dass das für die Beratungsstelle der LVA in Wilhelmshaven nicht zutrifft.
Deren Beraterin Silke Ostertag war auf der gut besuchten Versammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland am 14. März als Referentin da. Sie bestätigte das Eingangsstatement des ALI-Vorsitzenden Günther Kraemmer: „Die Rente ist sicher – aber die Höhe nicht.“ Angesichts der jüngsten Vorstöße, die schon beschlossene stufenweise Heraufsetzung des Renteneintrittsalters solle schneller als beschlossen greifen, und angesichts dessen, dass damit unendlich viele Leute in Wirklichkeit nicht länger arbeiten, sondern länger arbeitslos sind, es sich also um eine Rentensenkung handelt, kann man nur so viel sicher sagen: Die Rente wird niedriger.
Frau Ostertag gab zunächst einmal einen Überblick über die verschiedenen Altersrenten. Sie verblüffte damit alle diejenigen, denen nicht bekannt war, dass es überhaupt verschiedene Altersrenten gibt.
Da ist zum einen die Regelaltersrente, für die nach fünf Jahren der Beitragszahlung – etwa aus Beschäftigung, Arbeitslosen- oder Krankengeldbezug oder durch Versorgungsausgleich – eine Anwartschaft entsteht. Die ist natürlich sehr gering, wenn tatsächlich nur 5 Beitragsjahre vorhanden sind; davon betroffen sind bekanntermaßen viele Frauen, die zugunsten der Kindererziehung nur wenige Jahre ihres Lebens erwerbstätig waren.
Dann gibt es die Altersrente für langjährig Versicherte, auf die man nach 35 Versicherungsjahren (bei denen auch Kindererziehungszeiten angerechnet werden), einen Anspruch hat. Die kann, wenn man viel verdient und damit hohe Beiträge gezahlt hat, schon etwas höher ausfallen.
Und schließlich gibt es die Altersrente für Schwerbehinderte, für die ebenfalls 35 Jahre Beitragszahlung, außerdem aber eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 % erforderlich sind (für die Geburtsjahrgänge vor 1951 reicht auch die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit).
Durch Veränderungen im Lohngefüge z.B. durch die zunehmende Zahl geringfügiger Beschäftigungen gehen den Rentenkassen große Summen verloren. Und natürlich erwirbt man sich mit solchen Mini-Jobs auch nur geringe Rentenansprüche. Wer z.B. ein Jahr lang für 400 Euro im Monat gearbeitet hat, hat damit seine spätere Rente mal gerade um 2 Euro monatlich erhöht; und auch für die Berechnung der Anwartschaft zählen diese Arbeitsverhältnisse nur zu einem Viertel. Wer einen Mini-Job hat und es irgendwie schafft (wenn z.B. der Partner eine volle Beschäftigung hat), sollte daher von der Möglichkeit Gebrauch machen, Aufstockungsbeiträge zu zahlen.
„Wenn 30 Euro Beitrag aber nur 5 Euro Rente ergeben, wäre es da nicht schlauer, das Geld lieber zur Bank zu tragen?“, kam es aus dem Publikum. Doch ein anderer Zuhörer kam Frau Ostertag zuvor: „Damit das Arbeitsamt es dir abzieht?!“
Der Hintergrund dieser Antwort: Langzeitarbeitslose müssen ihr Vermögen bis auf eine geringe Summe verbrauchen, bevor sie Arbeitslosengeld II bekommen – wer damit rechnen muss, irgendwann in seinem Leben arbeitslos zu werden und zu bleiben (und wer muss heutzutage damit nicht rechnen?), ist also gar nicht gut beraten, viel Geld auf der Bank zu haben.
Bestimmt hätten viele der Versammlungsteilnehmer gerne genauer gewusst, wie sie ihre zu erwartende Rentenhöhe ermitteln können, doch das trug Frau Ostertag nicht vor. Für die Rentenberechnung sind so viele Faktoren wichtig, dass man es nicht allgemein sagen kann; es ist nur sinnvoll, es in jedem einzelnen Fall zu berechnen. Und so lud Silke Ostertag die Versammelten ein, zu ihr in die Beratung zu kommen – die Beratung ist kostenlos. So kann zum Beispiel die Sichtung der Unterlagen Aufschluss darüber geben, ob es sinnvoll ist, sich arbeitslos zu melden, selbst wenn man keine Leistung bekommt – manchmal bildet die Arbeitslosmeldung eine Brücke zum Rentenanspruch.
Wer sich über seine zu erwartende Rente informieren möchte, kann Frau Ostertag aufsuchen. Sie sitzt in der Paul-Hug-Straße 5. Einen Beratungstermin kann man telefonisch unter 9277-0 vereinbaren.
Wie wirkt sich Arbeitslosigkeit überhaupt auf die Rente aus? Während einer Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug entstehen Pflichtversicherungszeiten. Bei Bezug von Arbeitslosengeld wird ein Rentenversicherungsbeitrag auf der Basis von 80 % der vor der Arbeitslosigkeit erzielten Bruttobezüge eingezahlt. Für Arbeitslosengeld II-BezieherInnen werden Beiträge auf der Basis eines Lohnes von 400 Euro entrichtet. Ernst Taux, früher Sozialberater bei der ALI und auch heute noch ehrenamtlich für die ALI tätig, rechnete vor, dass 90 Jahre Alg II-Bezug erforderlich sind, um Anspruch auf eine Rente in Höhe von Alg II zu erwerben. So ist es jedenfalls im Moment noch. Wenn demnächst, wie beschlossen, die Rentenversicherungsbeiträge nach Hartz IV halbiert werden, dauert es entsprechend länger.
Gegenwärtig beziehen 90 % der Männer und 78 % der Frauen, die älter als 65 sind, Rente. Doch, so Kraemmer: „Die Rente, so wie wir sie kennen, ist ein Auslaufmodell.“ Die Erhöhung des Rentenalters ist nur ein kleiner Teil der Demontage der Rentenversicherung. Die schon erwähnten Veränderungen in der Arbeitswelt senken das Vermögen der Rentenkassen und damit die einzelnen Renten weiter. Heute schon gibt es viele Rentner (und erst recht Renterinnen), deren Bezüge so gering sind, dass sie ergänzend Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen. Ernst Taux war, gelinde gesagt, befremdet darüber, dass sogar Frau Ostertag sagte, eine zusätzliche private Alterssicherung sei empfehlenswert. Junge Leute, denen geraten wird, sich frühzeitig eine zweite, kapitalgebundene „Rente“ neben der gesetzlichen Rente anzusparen, entwickeln die Meinung, die Alten äßen sich auf ihre Kosten satt. Statt auf Riester-, Rürup- oder sonstige Vorsorgeformen zu verweisen, sollte man lieber für die gesetzliche Rentenversicherung streiten. Und das bedeutet natürlich auch, sich gegen die Aushöhlung des Lohnsystems, die immer weitergehende Lockerung des Kündigungsschutzes, gegen die steigende Arbeitslosigkeit zu Wehr zu setzen.
Gesetze, so sagte vor etwa einem Jahr der Leiter des Sozialamtes Varel auf einer Versammlung der Arbeitsloseninitiative, bedürfen der Auslegung und Ausgestaltung durch Gerichtsurteile. In diesem Sinne ermunterte er die Teilnehmer, gegen Bescheide des Job-Centers Widerspruch einzulegen und für den Fall, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen wird, beim Sozialgericht zu klagen.
Alg II-EmpfängerInnen haben nichts zu verschenken. Von 345 Euro im Monat (Regelsatz für eine Einzelperson) kann man keine großen Sprünge machen. Da diese Regelleistung um 49 Euro über dem bis 31.12.2004 gültigen Sozialhilfe-Regelsatz liegt, wird von ihnen jedoch erwartet, dass sie für all die Fälle, in denen es früher eine einmalige Beihilfe gab, Geld beiseite legen. Zahlreiche Anträge auf einmalige Beihilfen werden von den ARGEn abgelehnt mit der Begründung, dies oder jenes müsse aus dem Regelsatz bestritten werden.
Mittlerweile liegen einige Gerichtsbeschlüsse und –urteile vor, die für Hartz IV-Betroffene Erleichterung bringen.
In einem Urteil vom 19.12.2005 sprach das Sozialgericht Oldenburg einem Kläger die Erstausstattung einer Wohnung zu und verurteilte die ARGE Oldenburg zur Zahlung. Die ARGE hatte nur eine darlehensweise Beihilfe gewährt. Der Bedarf des Klägers war durch seine Scheidung entstanden. Hier entschied nun das Sozialgericht, dass der Begriff der „Erstausstattung der Wohnung“ nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu verstehen ist. Es war nicht die erste eigene Wohnung des Klägers, aber es war die erste in seiner neuen Lebenssituation.
Auf dieselbe Festlegung, die übrigens erstmalig in einem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz die Entscheidungsgrundlage bildete, gründet ein Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 06.12.2005. Hier hatte ein Alg II-Empfänger eine Beihilfe für eine Kücheneinrichtung (Herd und Spüle) für seine neue Wohnung beantragt. Sie war ihm nur als Darlehen bewilligt worden. Doch da in seiner vorigen Wohnung eine Einbauküche gestanden hatte, die nicht sein Eigentum war, brauchte er eine Kücheneinrichtung. Das Sozialgericht Oldenburg folgte dem Spruch aus Rheinland-Pfalz und stellte fest, dass auch die Anschaffung einer Kücheneinrichtung eine Erstausstattung ist, die nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen verstanden werden muss.
Auch eine Wilhelmshavener Klägerin bezieht sich in ihrem Begehren auf diese Festlegung. Sie war auf Aufforderung des Job-Centers in eine billigere Wohnung umgezogen. Beim Umzug gingen einige Möbelstücke zu Bruch und konnten nur noch entsorgt werden. Das Job-Center Wilhelmshaven will ihr die Ersatzbeschaffung nur als Darlehen gewähren.
In diesem Fall steht eine Gerichtsentscheidung noch aus. Doch es besteht sehr wohl Aussicht auf Erfolg für die Klägerin. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat am 21.02.2006 einen Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg aufgehoben, demzufolge die Klägerin mangels Erfolgsaussicht keine Prozesskostenhilfe bekommen sollte, und argumentierte im Sinne des Urteils aus Rheinland-Pfalz: Der Begriff der Erstausstattung ist nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu verstehen, und wenn Bett und Schrank den Umzug nicht überstehen, ist Bedarf da. Prozesskostenhilfe ist also zu gewähren.
Diese Fälle zeigen: Es kann sich durchaus lohnen, Ablehnungsbescheide des Job-Centers nicht einfach hinzunehmen, sondern ihnen zu widersprechen und nötigenfalls anschließend dagegen zu klagen.
Ähnliches legt auch eine DPA-Meldung nahe zur Frage, was für ein Auto ein Alg II-Berechtigter fahren darf: So entschied das Sozialgericht Aurich, dass ein Kläger sein Auto, das noch einen Wert von 9900 Euro hatte, nicht verkaufen und den Erlös für seinen Lebensunterhalt verbrauchen musste. „Das Kraftfahrzeug wird nicht als Vermögensgegenstand, sondern als Verkehrsmittel geschützt.“ („WZ“ vom 10.03.06) (noa)
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