Ratssplitter
Jul 052006
 

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vom 14. Juni 2006
Schiedsrichter-Assistentin: Imke Zwoch

Besonders interessante Fußballspiele am frühen Abend beschleunigen erfahrungsgemäß die Diskussion und Entscheidungsfindung im Ratssaal. Leider spielte Deutschland an diesem Abend erst um 21 Uhr. So blieb das Rats-Finale vor der Sommerpause ein zähes, fantasieloses Gekicke, gespickt mit einigen Fouls und Eigentoren. Schieri Norbert Schmidt hat das Ganze zwar wieder souverän gepfiffen, meine Hand zuckte aber gelegentlich zur gelbroten Karte.

Verlängerung

Der Nahverkehrsplan der Stadt Wilhelmshaven wurde erstmals 1998 verabschiedet, mit einer gesetzlichen Laufzeit von fünf Jahren. „Aufgrund fehlender Ressourcen“ schaffte man es nicht, ihn 2003 fortzuschreiben. So ging die alte Fassung in die erste Verlängerung. Bis zum 30. Juni dieses Jahres sollten die Stadtwerke die Überarbeitung erledigt haben. Statt dessen wird aber nun ein externes Büro in die Bresche springen und einen gemeinsamen Plan für die Verkehrsregion Nahverkehr Ems-Jade erarbeiten. Bis der regulär in Kraft tritt (2008), wird der Plan von 1998 nochmals verlängert.
Die viele Arbeit im Rathaus und bei den städtischen Töchtern ist kaum noch zu schaffen. Trotzdem schlug der neue externe Sparberater der Stadt unlängst vor, weiter Personal abzubauen. Vermutlich werden dann weitere Aufgaben an Unternehmen vergeben, die nicht an öffentliche Tarifverträge gebunden sind. Die verbleibenden städtischen Beschäftigten müssen, neben der verdichteten Arbeit, die externen Projekte natürlich trotzdem vorbereiten und begleiten. So dreht die Stadt fleißig an der Schraube mit, die den Druck auf die Arbeitnehmer erhöht.
Der Rat stimmte diskussionslos einstimmig für das eingangs beschriebene Procedere beim Nahverkehrsplan.

Steilvorlage

Aus dem „Zukunftstdialog Stadtumbau Wilhelmshaven“ haben sich eine Menge Handlungsansätze ergeben. Wo soll man da anfangen? Ohne Zuspiel aus der Städtebauförderung des Landes und dem EU-Strukturfond geht nix, und das fordert eine sorgfältige Analyse und Prioritätensetzung.
Den Stadtteilen Siebethsburg und Fedderwardergroden täte eine Aufwertung gut. Da laufen jedoch bereits Förderungen (2,4 bzw. 0,8 Mio Euro), in F’Groden ist zudem der erforderliche Kooperationspartner abgesprungen. In beiden Fällen spricht auch der hohe Anteil an Modernisierungsbedarf im Wohnungsbestand gegen eine EU-Förderung.
So entschied man sich einstimmig für das Vorrangprojekt Jadestraße / Wiesbadenbrücke, längs der Achse zwischen Nordseepassage und Banter Seedeich. Hier wurden nicht mehr funktionsgerechte bauliche Anlagen, wenig genutzte Grundstücke und mangelhafte Infrastruktur ermittelt. Die Kooperation mit den Eigentümern ist gegeben.
Und jetzt Obacht: Die vierte Option in der Beschlussvorlage galt der Südzentrale. „Hoher Handlungsbedarf in den Bereichen Umnutzung von Gebäuden in für die Gesamtstadt wichtiger Lage.“ Aber: „Der wichtigste Partner für diese Stadtumbaumaßnahme kooperiert nicht.“ Und: „Wegen der attraktiven Lage zwischen maritimer Meile und Südstrand sind die Chancen einer Umnutzung auch ohne öffentliche Unterstützung hoch“. Deshalb „werden diesem Bereich kaum Chancen im Aufnahmeverfahren eingeräumt.“ Was darf man diesem Rumgeeiere entnehmen? Betrachten wir es mal positiv: Hier ist von Umnutzung der Gebäude die Rede, nicht von Abriss. Die Attraktivität wird an touristischen Eckpunkten festgemacht, nicht am Hafengewerbe. Widersprüchlich: Potenzielle Investoren sind derzeit nicht kooperativ, trotzdem soll es ohne öffentliche Zuschüsse gehen. Im Konzept zum Erhalt der Südzentrale, das Fachleute unlängst vorlegten, steht aber genau, wie man an öffentliche Zuschüsse zur Umnutzung des Baudenkmals rankommt. Trotzdem: Dass das umstrittene Objekt – von BürgerInnen geliebt, von Entscheidungsträgern verschmäht – aus den Schubladen in die Vorlage gewandert ist, werten wir mal als gutes Zeichen. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

ball

Ausputzer

„Mit einigen Gegenstimmen“ (Schieri Schmidt) beschloss der Rat, die neue Pflasterung der Marktstraße im Bereich zwischen Mozart- und Grenzstraße fortzusetzen. Knapp 300.000 Euro sollen Tiefbauarbeiten und Beleuchtung kosten. Die Opposition mäkelte ein bisschen, dafür habe die Stadt „zum jetzigen Zeitpunkt“ (aber wann dann?) nun wirklich kein Geld, weshalb auch schon beim ersten Bauabschnitt Bedenken bestanden. Schmidt konterte als Mannschaftskapitän des Bauausschusses, man könne da „nicht mittendrin stehen bleiben“. Da hat er irgendwie Recht: So halb fertig sieht das aus, als sei den Spielern mitten im Lauf die Puste ausgegangen. OB Menzel erinnerte an die Zusage an den Einzelhandel, nach Einrichtung der Nordseepassage auch die Marktstraße aufzuwerten. Neumann meinte, man müsse erst was investieren, ehe man Geld verdienen könnte. Professor Reuter, Trainer der schwarzen Elf, hielt diese „Wirtschaftsvorlesung“ für falsch: Es sei ja nicht mal Geld da, um in Schulen zu investieren.
Einig war man sich, dass man die Sache mit den rabiaten Kehrmaschinen in den Griff bekommen muss, die zwar die Kaugummis nicht von den Steinen pulen, dafür aber den Sand aus den Pflasterfugen.

Fallrückzieher

In der letzten Sitzung gab es Gerangel um den erneuten Verkauf der ehemals städtischen Wohnungsbaugesellschaft Jade. Sollte die Stadt bei dem Vertrag zwischen Cerberus (Verkäuferin) und Babcock & Brown von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen? Gab es, im Interesse von Mietern und Beschäftigten der Jade, dazu einerseits einen Anlass und andererseits überhaupt eine Möglichkeit? Die Verwaltung hat sich auftragsgemäß mit dem Erwerber zusammengesetzt und folgende Ergebnisse erzielt:
Alle bisherigen Rechte und Verpflichtungen sind auch weiterhin „vollinhaltlich“ zu beachten. Die Schutzfrist zur Begrenzung von Mieterhöhungen wird bis zum 13.7.2009 verlängert, die Schutzfrist für betriebsbedingte Kündigungen von Beschäftigten bis zum 1.1.2010. Im Falle von Vertragsverletzungen setzt man auf das Haftungspotenzial der Käuferin („börsennotiert und solvent“). Sicherheitshalber soll das alles vom Notar beurkundet werden. Unter diesen Umständen entschied der Rat einstimmig, auf das Widerspruchsrecht zu verzichten.

Nachgetreten

Trotzdem verlangte FDP-Sturmspitze Michael von Teichman von jenen, die beim letzten Mal mit einer Resolution den Ball ins Rollen brachten, sich bei Mietern und Mitarbeitern zu entschuldigen, die dadurch „in Angst und Schrecken versetzt“ worden seien. Neumann entgegnete, man habe in den Verhandlungen “viel erreicht“. Und dass die WZ behauptete, die Stadt hätte beim Verkauf sowieso nix zu melden, sei „dummes Gequaddel“. BASU-Linksverteidiger Joachim Tjaden gab abschließend zu bedenken, hinsichtlich betriebsbedingter Kündigungen gäbe es „Mittel und Wege“, die erzielten Vereinbarungen zu umgehen.

Penalty shootout

Das niedersächsische Innenministerium hat der Stadt Vorgaben gemacht, die zur Genehmigung des Haushaltes 2006 unbedingt eingehalten werden müssen. Bezüglich der Liquidität ist festgelegt, dass die Stadt maximal 55 Mio. Euro ausgeben darf, ab 48 Mio. ist jedoch eine Einwilligung des Ministeriums erforderlich. Für die städtische Tochter WEB liegen die Grenzen bei 7,5/ 6,0 Mio. Euro, für die SGB bei 3,0 / 2,4 Mio.
Formal muss der Rat den Beitritt zu dieser Haushaltsgenehmigung beschließen. Obwohl es keine Alternative zum Beitritt gibt (außer der Nichtgenehmigung des Haushaltes), wurde diese Begegnung über die Verlängerung hinaus bis zum Elfmeterschießen ausgedehnt. Die üblichen Bedenkenträger hatten wie immer schon geahnt, wo die Probleme liegen würden. Und die bekannten Schönredner hatten für alles eine Begründung. Wir verweisen hierzu auf die Haushaltsreden 2005, 2004, 2003 ff.

Freistoß

Gleich mehrfach vergriff sich CDU-Ratsherr Möhle bei der Verlesung von Beschlussvorlagen. Nicht etwa in der Wortwahl, sondern schlichtweg in dem Zettelhaufen auf seinem Tisch. Zu seiner Entlastung sei gesagt, dass die Ratskollegen einige Sätze lang unbeirrt lauschten, bis der Groschen fiel und der Erste ihn in die Seite stupste. Schieri Schmidt gab dem Ärmsten beim nächsten TOP einen Freistoß: „Haben Sie die richtige Beschlussvorlage, Herr Möhle?“

Auswärtsspiel

Bei fünf Enthaltungen beschloss der Rat, neben den Landkreisen Friesland und Wittmund auch der Wesermarsch eine gleichberechtigte Partnerschaft in der WFG (Wirtschaftsförderung in Wilhelmshaven GmbH) anzubieten. Die Aufsichtsratssitzungen sollen zukünftig bestimmte Themenschwerpunkte erhalten. Gute Idee.

Anstoß

Weder um Fuß- noch um Basketball ging es bei Tjadens Anfrage bezüglich der NBA. Er wollte wissen, warum die Neubürgeragentur erst mit einem halben Jahr Verspätung ihre Arbeit aufgenommen hat, ob sich das auf Laufzeit und Kosten auswirkt und wie die Erfolge ermittelt und bewertet werden. Der Sepp Blatter des Rates beantwortete die Kleine Anfrage persönlich: Die Verhandlungen mit dem Eigentümer der Nordseepassage über die Räumlichkeiten, unter Berücksichtigung weiterer Mieter, zogen sich etwas hin, erklärte OB Menzel. Auf die Kosten und die zeitliche Begrenzung des Pilotprojektes von 12 Monaten hat das keinen Einfluss. Die Ergebnisse werden an Hand von Kennzahlen ermittelt wie im Vorzeigeprojekt Bremen (Art und Häufigkeit von Kontakten und Beratungen, Zugriffe über das Internet). Der monetäre Erfolg ergibt sich daraus, dass die Stadt pro Einwohner und Jahr Zuwendungen aus dem Länderfinanzausgleich erhält sowie steuerliche Mehreinnahmen (Lohnsteuer). Die Bewertung der Erfolge und die Entscheidung über die Fortführung der NBA liegen beim Rat der Stadt.

Fehlpass

Tjaden erkundigte sich nach dem Ankauf einer Fläche im Stadtnorden durch die Stadtwerke. Das hatte folgenden Hintergrund: Derzeit gibt es Gerangel darum, ob für den Voslapper Groden umgehend die Bauleitplanung erstellt werden soll oder nicht. Der Groden ist erst Anfang Juni als Naturschutzgebiet ausgewiesen und der EU als Vogelschutzgebiet gemeldet worden. Und eigentlich soll erst der neu entstehende Hafengroden mit Gewerbe voll gemacht werden, bevor das Hinterland in Anspruch genommen wird. Das Land, wesentlicher Geldgeber für den JadeWeserPort, ist gar nicht entzückt über den städtischen Vorstoß. Die Stadt behauptet, bestimmte Investoren würden Planungssicherheit fordern. Erstens sind die aktuellen Investitionsvorhaben (WRG, INEOS) aber gar nicht von dem Schutzgebiet berührt. Und zweitens sind zukünftige Planungen gerade durch die Schutzsgebietsausweisung gesichert, denn nur so lässt sich eine Umnutzung korrekt abwickeln.
Tjaden wollte also den eigentlichen Grund für die überstürzte Reaktion der Stadt erforschen. Nach Menzels Darstellung handelt es sich um knapp 1 Mio m², deren Erwerb durch Verkauf refinanziert werden soll. Die Vermutung, dass die Stadtwerke nun Druck haben, die Fläche auch loszukriegen, wurde bei einer Podiumsdiskussion zur Kommunalwahl nicht in Abrede gestellt.

U19 im Abseits

Die allseits bekannte wie traurige Tatsache, dass jugendliche Schulabgänger in der Stadt und der Region kaum Aussicht auf einen Ausbildungsplatz haben, packte das rot-grüne Team in eine „Kleine Anfrage“ an den OB. Weil nach dem Anpfiff der Sitzung gerügt wurde, dass die Presse behauptet, bestimmte Themen hätten so kurz vor der Kommunalwahl populistische Tendenzen, sage ich jetzt nicht, dass das Thema Jugendarbeitslosigkeit so kurz vor der Wahl Jungwähler ansprechen soll.
Ist ja auch alles richtig, was in der „Anfrage“ steht: Dass das Defizit zwischen nachgesuchten und angebotenen Ausbildungsplätzen sich seit dem Vorjahr etwa verdoppelt hat. Dass die Warteschleifen in den berufsbildenden Schulen rappelvoll sind. Und gerade jetzt geburtenstarke Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt drängen. Was die „SPD-Fraktion … aus Gesprächen mit Fachleuten erfahren“ hat, lässt sich allerdings auch durch Lektüre geeigneter Medien ermitteln.
Jetzt kommt die programmatische Aussage ins Spiel: „Die SPD hält … zusätzliche Anstrengungen der Wirtschaft in Form von weiteren Ausbildungsplätzen“ (wie sonst) „auch in der betriebsübergreifenden Ausbildung“ (da war doch mal was?) „für erforderlich. Von den Schulen erwartet sie neue, praxisorientierte Ausbildungsangebote, damit jeder Jugendliche eine seinen Fähigkeiten entsprechende Ausbildung absolvieren kann.“
Was gemerkt? Die eingangs in der Aufstellung benannten grünen Mitspieler, vertreten durch Rückraum-As Marianne Fröhling, blieben im weiteren Verlauf des Spiels auf der Ersatzbank.
Nun ging’s aber in die Offensive. Da wurde auf Standardsituationen aufgebaut: „In diesem Zusammenhang sind auch die Chancen, die sich aus der Realisierung des JadeWeserPorts … ergeben, zu nutzen.“
Fehlt da nicht noch was? Richtig: In einer „Kleinen Anfrage“ sollte man auch Fragen stellen. Da schwitzten die Verfasser sich zusammengefasst Folgendes aus dem Trikot: Wie die Verwaltung die geschilderte Situation beurteilt? Welche Maßnahmen zur Verbesserung sie für erforderlich hält? Insbesondere was den JadeWeserPort betrifft? Und ob die Einrichtung eines runden Tisches mit Kreishandwerkerschaft, Wirtschaftsverband, Berufsschulen etc. zur Lösung beitragen könne?
Gute Güte – muss man erst so lange im eigenen Strafraum rumdribbeln, bevor man das Ei zum Elfmeterpunkt trägt? Warum nicht gleich ein Antrag: Die Verwaltung wird beauftragt, einen runden Tisch in die Wege zu leiten? Reichte die Zeit beim Aufwärmtraining nicht? Oder hatte die rote Elf Angst vor einem Eigentor, wenn sich rausstellt, dass der runde Tisch ein Freundschaftsspiel ohne Aufstiegschancen bleibt?
Schlussmann Jens Lehmann-Stoffers nahm den Rückpass gewohnt nervenstark an. In seiner achtseitigen Antwort lieferte der Sozialdezernent im Wesentlichen Details zu den Problemen und Lösungsmöglichkeiten, die Neumanns Team umrissen hatte. Am Ende war er Vorbereiter für das Golden Goal: Die Einrichtung eines „Runden Tisches“, um „verschiedene Akteure am Arbeitsmarkt zu einem aufeinander abgestimmten Integrationssystem zur Förderung von Jugendlichen in Arbeit oder Ausbildung miteinander ins Gespräch zu bringen“, sei – wen überrascht es? – „zu begrüßen.“ Wer jetzt das Runde ins Eckige bringen soll, ließ er dabei offen.

Damit entlassen wir unsere Athleten in die mehr oder weniger verdiente Sommerpause und sind gespannt auf das Pokalfinale um die meisten WählerInnenstimmen im September

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