Kommunalwahl 2006 – Grüne
Aug 302006
 

Neue Mittelstandspartei

Die Wilhelmshavener Grünen haben sich von der Idee der sozialen Gerechtigkeit verabschiedet

(noa) In Baden-Württemberg haben die Landesgrünen es vorgemacht und sich zur Mittelstandspartei erklärt. Die Wilhelmshavener Grünen tun es auch. Zwar nicht so ganz explizit in ihrem Kommunalwahlprogramm, doch im Gespräch mit der „WZ“ wohl: „Die Grünen setzen auf den Mittelstand“ („WZ“ vom 03.07.06).

Fangen wir mit der Vorstellung des „grünen“ Programms ganz hinten an: „Wir gehen davon aus, dass ‚Bündnis90/Die Grünen’ das Wahlprogramm im Rat der Stadt am besten in der Opposition vertreten und die folgenden (? – danach folgt nichts mehr) Schwerpunktthemen aufgreifen und bearbeiten können. Auch in diesem Punkt ist unsere Wahlaussage eine deutliche Botschaft an alle Wähler und Wählerinnen.“
In der „WZ“ ist die Ankündigung der Grünen, keine Koalition bilden zu wollen, etwas ehrlicher als hier begründet worden: „Aus den ernüchternden Erfahrungen der vergangenen Jahre ziehen die Grünen die Lehre, nicht wieder als schwacher Juniorpartner mit der SPD zusammengehen zu wollen.“
Inhaltlich spricht eigentlich nichts dagegen, dass die Grünen sich an die SPD, die CDU, die FDP oder die BASU anlehnen – so groß sind die programmatischen Unterschiede nicht.
Zwar überschreiben die Grünen ihr Programm mit „Verändern, was veränderbar ist“, doch in den drei Kapiteln „Eigenverantwortung“, „Soziale Gerechtigkeit“ und „Chancengleichheit bei Arbeit und Bildung“ sucht man vergebens nach den angestrebten Veränderungen.
Eigenverantwortung: „Zur Zeit erleben wir, wie von vielen Menschen Verantwortung einfach abgeschoben wird an das anonyme Gemeinwesen ‚Staat’, an Politik und Verwaltung.“ Und das soll anders werden: „Wir fordern jeden einzelnen Bürger, jede einzelne Bürgerin in unserer Stadt auf, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, Verantwortung für seine Familie, insbesondere für seine Kindern und für alle Familienmitglieder.“
Was soll das heißen? Wissen die Wilhelmshavener und Wilhelmshavenerinnen nicht, dass jeder Mensch für sich selbst verantwortlich ist? Im nächsten Kapitel werden die Grünen etwas deutlicher.
Soziale Gerechtigkeit: „Wenn die Hilfe, die die Solidargemeinschaft Staat zur Verfügung stellt, nur von denen genutzt würde, die sie brauchen, wären die Sozialkassen ausreichend gefüllt, und die soziale Gerechtigkeit gegenüber den Benachteiligten könnte ausgeübt werden.“ Aha. Es geht gegen die „Sozialschmarotzer“, die in regelmäßigen Abständen von der Bundesregierung bemüht werden, um weitere Einschnitte für die Bedürftigen zu rechtfertigen. Noch ein bisschen deutlicher: „Wir werden der Ausbeutung unseres Sozialsystems entgegentreten, wo und wann immer sie uns bekannt wird.“
Gegenwärtig wissen zahlreiche Wilhelmshavener Familien nicht, wie sie über die nächsten Monate kommen sollen. Das neue Schuljahr fängt am 31.08. an, Schulbücher und anderer Schulbedarf werden fällig. Hartz IV (in der vergangenen Legislaturperiode von Rot/Grün beschlossen) sieht dafür keine Hilfe vor. Ja, da ist Eigenverantwortung fällig. Dann eben eine paar Wochen lang nichts essen?
Nicht alles im grünen Programm ist so zynisch. Z.B. „Wir werden in der Wohnungsmarktpolitik, z.B. beim Verkauf von städtischen Wohnungen ‚Menschlichkeit vor wirtschaftlichem Gewinn’ vertreten.“ Und: „Wir fordern daher den Aufbau eines neuen kommunalen Wohnungsbau-Unternehmens.“ (Wie haben sich die Wilhelmshavener Grünen eigentlich damals beim Verkauf der Wobau Jade verhalten?)
Chancengleichheit bei Arbeit und Bildung: In diesem Kapitel steht ganz zutreffend, dass es nicht die Neubürgeragentur ist, die uns eventuell neue MitbürgerInnen bringen wird, sondern „Kita-Plätze, Krippenplätze, Hortplätze“. Der „demographische Faktor“! Auch die Grünen sehen der Tatsache einer schrumpfenden Gesamtbevölkerung in ganz Europa nicht ins Auge, sondern hoffen auf Neubürger, die dann natürlich woanders fehlen.
Auch Aussagen zur Migrationspolitik enthält dieser Abschnitt: MigrantInnen sollen das Recht auf eine Arbeitsstelle haben, aber auch die deutsche Sprache erlernen und unsere Grundordnung anerkennen. Was jedoch auch im grünen Programm fehlt, ist eine Stellungnahme gegen die unmenschliche Abschiebepraxis der Wilhelmshavener Behörden.
Alles in allem stimmt es schon: Die Grünen setzen auf den Mittelstand.

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