Hartz IV und Recht
Nov 082006
 

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Job-Center muss sich an die Wohngeldtabelle halten

(noa) Wie zuvor schon mehrere Male hat Werner Ahrens in der ALI-Versammlung im Oktober darauf hingewiesen, dass alle Erwerbslosen, die vom Job-Center nicht ihre volle Miete erstattet bekommen, in die Beratung der ALI kommen und sich beraten lassen sollten. Wenn sie schon keinen Anspruch auf die vollen Kosten der Unterkunft haben – mehr als der vom Job-Center gewährte Betrag ist auf jeden Fall drin. Denn dieses hat Mietobergrenzen „aus den Wolken abgelesen“, wie Werner sagt.

Auch im Gegenwind haben wir schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Mietobergrenzen, die den Alg II-EmpfängerInnen in Wilhelmshaven zugestanden werden, vor dem Sozialgericht Oldenburg wie auch vor dem Landessozialgericht keinen Bestand haben. Warum wir das Thema noch einmal aufgreifen? Jetzt gibt es endlich einschlägige Urteile!

Deutliche Worte

„… Dies folgt daraus, dass nicht auf die Berechnungen der Stadt Wilhelmshaven, sondern auf die rechte Spalte der Tabelle nach § 8 des Wohngeldgesetzes angestellt werden muss. Denn die Zahlen der Wohngeldtabelle – anders als die der Stadt Wilhelmshaven – werden bundesweit einheitlich erstellt, und zwar von einer unabhängigen Stelle, die selbst kein Interesse an den Ergebnissen der so erstellten Statistik hat. Sofern eine Stadt der Auffassung sein sollte, dass die Wohngeldtabelle unangemessen hohe Kosten der Unterkunft verursacht, steht es ihr frei, einen Mietspiegel zu erstellen, der dann vorrangig herangezogen werden würde. Dies ist aber in der Stadt Wilhelmshaven nicht passiert.“ So steht es in einem Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 31. August 2006 (AZ: S 49 287/05). Am selben Tag erging ein Urteil, in dem es heißt: “Der Bescheid und der Widerspruchsbescheid gehen aber zu Unrecht und zu Lasten des Klägers davon aus, dass die angemessenen Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung der Berechnungen der Stadt Wilhelmshaven zu ermitteln sind. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist stattdessen auf die rechte Spalte der Tabelle nach § 8 des Wohngeldgesetzes abzustellen.“ (AZ: S 49 309/05)

[SCM]actwin,0,0,0,0;Dokument4 - Microsoft Word WINWORD 10.11.2014 , 19:39:43Deutliche Worte an die Adresse der Stadt Wilhelmshaven finden sich auch in einem Urteil vom 14. September 2006. „Dabei ist regelmäßig die rechte Spalte der Wohngeldtabelle nach § 8 WoGG zugrunde zu legen, sofern ein aussagekräftiger örtlicher Mietspiegel nicht vorhanden oder im Einzelfall eine andere Betrachtungsweise angezeigt ist. … Einen qualifizierten Mietspiegel im Sinne der §§ 558c, 558d des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gibt es für die Stadt Wilhelmshaven nicht. Andere gegenüber § 8 WoGG aussagekräftigere Unterlagen existieren ebenfalls nicht. Die von dem Beklagten vorgelegten Zahlen über die Ermittlung des Mietpreisniveaus in Wilhelmshaven sind insoweit nicht ausreichend.“ (AZ: S 49 AS 1100/05)

Besser spät als nie

Man sieht an den Endziffern der Aktenzeichen, dass es sich hier um Fälle handelt, die schon lange anhängig sind. Das hat damit zu tun, dass die Sozialgerichte seit Hartz IV hoffnungslos überlastet sind. Man muss lange warten, bis auch nur ein Eilverfahren in Gang kommt. In zwei der drei Fälle, die jetzt endlich ein Hauptverfahren durchlaufen haben, ging es um Nachforderungen an das Job-Center in eigentlich geringer Höhe. 47,85 € muss der eine Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2005 nachgezahlt bekommen, eine Klägerin bekommt für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2005 eine Nachzahlung in Höhe von 66 € zugesprochen. Wenn diese Kläger mittlerweile umgezogen sind und jetzt mit den Unterkunftskosten auskommen, die das Job-Center ihnen zugesteht – darüber wissen wir nichts – dann ist es für das Job-Center mit diesen Nachzahlungen gut.
Im dritten Fall geht es um die Unterkunftskosten, die rückwirkend, gegenwärtig und künftig zu zahlen sind: „Der Beklagte wird verurteilt, Unterkunftskosten gemäß § 8 Wohngeldgesetz in Verbindung mit der Wohngeldtabelle zu gewähren.“

Alles von vorn

Was ist nun mit Leuten, die schon seit über einem Jahr einen Teil ihres Regelsatzes für die Mietanteile aufwenden, die das Job-Center ihnen verweigert hat, und die nicht rechtzeitig widersprochen haben? Oder mit denen, die zwar einen Widerspruch eingelegt, sich aber dann mit dem Widerspruchsbescheid zufriedengegeben haben? Ist für diese Leute der Zug abgefahren?
Nein. Man kann jederzeit einen Bescheid überprüfen lassen. Das ist in § 44 SGB X geregelt. Wenn man z.B. einen Bescheid aus der ersten Hälfte des Jahren 2005, in dem das Job-Center einem eine geringere Miete als laut Wohngeldtabelle zu beanspruchen zugestanden hat, überprüfen lässt, wird man darüber einen Bescheid bekommen. Und dann fängt alles wieder von vorn an.

Beratung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland
Jever: Jugendhaus, Dr. Fritz-Blume-Weg 2, jeden 1. und 3. Donnerstag im Monat von 14.30 bis 16.30 Uhr
Sande: Jugendzentrum, Hauptstraße 78, jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat von 14.30 bis 16.30 Uhr
Varel: DGB-Büro, Hansastraße 9a, jeden 1. und 3. Dienstag im Monat von 9.00 bis 12.00 Uhr
Wilhelmshaven: Gewerkschaftshaus, Weserstraße 51, jeden Montag und Donnerstag von 9.00 bis 12.00 Uhr
Ab Dezember müssen die Beratungszeiten in Wilhelmshaven wegen Geldmangels reduziert werden. Dann entfallen die Termine montags. Sie werden wieder aufgenommen, sobald die Arbeitsloseninitiative wieder genügend Geld hat.
Dazu, dass das bald der Fall sein wird, kann jeder und jede beitragen: als Mitglied der Arbeitsloseninitiative nämlich. Der (Mindest-) Jahresbeitrag für Einzelpersonen beträgt 15,- €.

Kein Zusammenhang

lässt sich herstellen zwischen Hartz IV und der Kriminalitätsentwicklung. Das stellte Egon Idel, Leiter des Präventionsteams der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland/Wittmund, auf der ALI-Versammlung am 10. Oktober fest, um gleich hinzuzufügen, dass es ihn auch wundern würde. „Wer von Ihnen hätte die Traute, kriminell zu werden, nur weil es Ihnen finanziell schlecht geht?“, fragte er (rhetorisch) die Versammelten – und Günther Kraemmer stellte anhand der Statistik fest: „Arbeitslose sind nicht schlechter als andere Menschen – sie sind nur schlechter dran.“
Idel zeigte einige Schaubilder zur Entwicklung der Straftaten von 2000 bis 2005, aus denen hervorging, dass in Wilhelmshaven in jedem dieser Jahre etwas über 9000 Straftaten begangen worden sind, am meisten 2003. Da sich wirklich kein Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten von Hartz IV zum 1. Januar 2005 und der Kriminalitätsentwicklung ausmachen ließ – hat denn irgendjemand irgendetwas dergleichen behauptet? – wandte Idel sich einem interessanteren Thema zu: Wie können Langzeitarbeitslose vermeiden, Opfer von Straftaten zu werden?
Aufgrund ihrer verzweifelten finanziellen Lage könnten Alg II-EmpfängerInnen nach jedem Strohhalm greifen, und insofern sind sie mit Sicherheit anvisierte Opfer von allerhand Betrügern. Idel warnte: Heimarbeit und sonstige Nebenverdienstmöglichkeiten, in Zeitungsannoncen angeboten, sind seltenst seriös. Früher waren es die Strickmaschine und bergeweise Garn, die vorab zu beziehen und zu bezahlen waren, und oft wurden die gestrickten Teile dann nicht abgenommen, weil sie angeblich fehlerhaft waren. Wann immer bei Nebenverdienstmöglichkeiten irgendwelches Material zunächst gekauft und bezahlt werden muss, sollte man sich auf keinen Fall darauf einlassen.
Auch Kreditvermittlungsbetrug ist eine Gefahr für Menschen, die mit dem geringen Hartz IV-Regelsatz auskommen müssen. Allzu verführerisch sind Versprechungen, dass ohne Schufa-Auskunft und ohne jede Sicherheit Geld zur Verfügung gestellt wird – ein solcher Kredit wird jedoch immer teurer als ein Bankkredit.
Und Haustürgeschäfte: Keinesfalls sollte man jemanden, der an der Wohnungstür klingelt, in die Wohnung lassen – hier stimmte Werner Ahrens schmunzelnd zu, auch wenn er jemand anderen als einen unseriösen Vertreter meinte: „Niemanden reinlassen, das war ein super Tipp!“ (noa)

Niemanden reinlassen

– auch nicht den Prüfdienst des Job-Centers! Das hat Werner Ahrens vermutlich gemeint, als er bei der letzten ALI-Versammlung dem Referenten von der Polizei schmunzelnd zustimmte. So ist auch die Tendenz eines Merkblattes, das man bei der ALI bekommen kann. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung ein Verfassungsgrundsatz ist. „Auch die Polizei braucht einen richterlichen Durchsuchungsbefehl, bevor die Ihre Wohnung durchstöbert“, heißt es im Merkblatt, und: „Grundsätzlich ist zu sagen, dass ein Hausbesuch begründet sein muss. Zum einen darf er nur stattfinden, wenn ernsthafte Zweifel an den für die Zahlung einer Sozialleistung gemachten Angaben bestehen, also ein begründeter Verdacht. (…) Zum anderen muss der Hausbesuch geeignet sein, die Zweifel an den Angaben durch eine Augenscheinnahme der tatsächlichen Situation aufzuklären.“ Und: „Der Hausbesuch muss bei der Aufklärung bzw. Beseitigung der Zweifel als letztes Mittel eingesetzt werden.“
Dies ist der Tenor einiger Gerichtsbeschlüsse, u.a. eines Beschlusses des Hessischen Landessozialgerichts vom 30.01.2006 (AZ: L 7 AS 1/06 ER). So dreist wie die in diesem Verfahren beklagte ARGE, die der Antragstellerin gegenüber behauptet hatte, das Hartz IV-Gesetz sehe grundsätzlich Hausbesuche vor, ist das Job-Center Wilhelmshaven nach unseren Erkenntnissen allerdings nicht. So sind hier auch wohl keine willkürlichen Hausbesuche zu erwarten, zumal der Prüfdienst des Job-Centers Wilhelmshaven personell nicht gut genug ausgestattet ist, um jeden Alg II-Empfänger zu Hause aufzusuchen.
Hausbesuche, um zu überprüfen, ob einE LeistungsempfängerIn in „eheähnlicher Gemeinschaft“ lebt, sind nach neuerer Gesetzeslage nicht notwendig. „Das Amt kann eine eheähnliche Gemeinschaft per Gesetz ‚vermuten’ und die Betroffenen müssen diese Unterstellung widerlegen“, so führt das genannte Merkblatt aus. Dazu muss man nicht auseinanderziehen. „Vielmehr liegt eine eheähnliche Gemeinschaft – bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift – nur vor, wenn zwischen den Partnern so enge Bindungen bestehen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann.“ Dass zwei Menschen „in einer gemeinsamen Wohnung wohnen und in einem gemeinsamen Bett schlafen, rechtfertigt allein noch nicht die Annahme, dass ein gegenseitiges Einstehen … erwartet werden kann“, so heißt es z.B. in einem Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf (AZ: S 35 SO 28/05 ER). Und in einem anderen Beschluss desselben Gerichts steht: „Ob dies (das gegenseitige Einstehen, d. Verf.) tatsächlich gegeben ist, lässt sich sehr viel einfacher ermitteln (gemeinsames Konto etc.) …“ (AZ: S 35 AS 107/05 ER) (noa)

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