Hartz IV und Recht
Dez 192006
 

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Was bedeuten die jüngsten Urteile des Bundessozialgerichts?

(noa) Nicht mehr lang, und Hartz IV besteht seit zwei Jahren. Sein Namensgeber hat nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr so lange „gehalten“ (auf seinem Posten als VW-Personalchef) und steht demnächst vor Gericht. Das Gesetz brachte von Anfang an sehr viele ARGEn vor Gericht.

So berichtete z.B. die WZ am 8. November auf ihrer Niedersachsenseite über eine „Flut von Hartz-Klagen an Sozialgerichten“. Um ein Drittel sein die Zahl der Prozesse in Niedersachsen gestiegen, mehr als die Hälfte der Verfahren seien Schnellentscheidungen, der Durchschnitt der Wartezeit liege im Land bei 15 Monaten, und bei mündlichen Hauptsacheverfahren müsse man deutlich länger warten. Vielfach beträfen die Klagen die Unterkunftskosten.
Um diese ging es auch am 7. November, als das erste Hartz IV-Verfahren beim Bundessozialgericht entschieden wurde. Die „Tagesschau“ berichtete, durch dieses erste BSG-Urteil in Sachen Hartz IV seien die Rechte von Alg II-EmpfängerInnen gestärkt worden. Im konkreten Fall ging es um die Miete einer vierfachen Mutter, die ihr von der zuständigen ARGE nur in Höhe der Wohngeldtabelle bewilligt wurde, während sie tatsächlich höher liegt.
Für Wilhelmshavener Arbeitslose ist dieses Urteil ein zweischneidiges Schwert. Laut „Tagesschau“ „gaben die Kasseler Richter (den Kommunen) auf, eigene Maßstäbe für die Angemessenheit einer Wohnung zu entwickeln, die den örtlichen Gegebenheiten besser entsprechen.“ Und darin liegt das Problem: Die Stadt Wilhelmshaven hat als Teil der ARGE Wilhelmshaven Maßstäbe entwickelt, die unter den Miethöhen der Wohngeldtabelle liegen, und sie behauptet, es gäbe hier Wohnraum zu so niedrigen Preisen. Gut möglich, dass das Job-Center in Wilhelmshaven das BSG-Urteil nun als Bestätigung seiner Rechtsauffassung betrachtet und weiter die zu niedrigen KdU bewilligt.
Beim Bundessozialgericht dauert es erfahrungsgemäß Monate, bis gesprochene Urteile auch geschrieben werden. Die neuesten auf der Homepage des BSG veröffentlichten Urteile wurden im September gesprochen. Man darf auf den Wortlaut des BSG-Urteils vom 7.11. gespannt sein. Wie klar hat das BSG wohl seine Aufforderung formuliert, die eigenen Maßstäbe der Kommunen müssen den örtlichen Gegebenheiten entsprechen?
Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt, wie ein Mietspiegel beschaffen sein muss, und das Sozialgericht Oldenburg hat sowohl in zahlreichen Eilentscheidungen als auch in einigen Hauptsacheverfahren die Wilhelmshavener Maßstäbe als nicht fundiert bezeichnet. Entsprechend bekamen hier die jeweiligen KlägerInnen eine Miete gemäß der Wohngeldtabelle zugesprochen. Solange die Stadt Wilhelmshaven keinen gesetzlichen Mietspiegel entwickelt, wird es also voraussichtlich weiterhin nötig sein, beim Sozialgericht Klage zu erheben.
Am 23.November gab es ein weiteres Urteil des Bundessozialgerichts in einem Hartz IV-Prozess. Dieses Urteil ist, obwohl es so zu erwarten war, sehr enttäuschend: „345 Euro im Monat müssen reichen“, lautete die „WZ“-Überschrift am nächsten Tag. Schade, dass nicht das Frankfurter Verwaltungsgericht zuständig für diese Frage war! Immerhin erhöhte es den Pensionsanspruch des Ex-Bundesbankpräsidenten Welteke, der in seiner Klage geltend gemacht hatte, „dass man mit 33 Prozent seines Gehalts seinen bisherigen Lebensstandard nicht aufrechterhalten kann“, von 8.000 auf 13.000 €!


 

Ausnutzung und Zurschaustellung

Viele 1 €-Jobs sind rechtswidrig und dürfen abgelehnt werden

(noa) Zur ALI-Versammlung am 14. November war eigentlich ein Referent eingeladen. Herr Richard Kauffunk, der an der Kreisvolkshochschule Friesland die Arbeitsgelegenheiten (so heißen die 1 €-Jobs im Gesetz) koordiniert, wollte genau darüber sprechen. Seine Absage kam so kurzfristig, dass auch Werner Ahrens nicht mehr viel vorbereiten konnte.

Das hat aber nicht geschadet. Im Gegenteil: So eine lebhafte ALI-Monatsversammlung gab es schon lange nicht mehr.
Werner sprach auch über 1 €-Jobs, erheblich kritischer allerdings, als es Herr Kauffunk wahrscheinlich getan hätte. Viele Arbeitsgelegenheiten sind rechtswidrig, sagte Werner und belegte das mit der Frankfurter Rundschau, die am 19.10.06 gemeldet hatte, dass bei einem Viertel der 1 €-Jobs die Förderungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Gemeinnützig und zusätzlich sollen Arbeitsgelegenheiten sein, so sieht das Gesetz es vor; tatsächlich sind sie „eine schamlose Ausnutzung von Leuten, die auf ein paar zusätzliche Euro angewiesen sind“ (Werner Ahrens), „eine Zurschaustellung von Arbeitslosen“ – wenn es um die Straßenreinigung geht – und „eine staatliche Frisierung der Arbeitslosenstatistik“ (Stimmen aus dem Teilnehmerkreis).
Ein ganz aktuelles Beispiel konnte Werner nennen: Ein Wilhelmshavener bekam eine Einladung von der GAQ, um „Fragen Ihrer beruflichen Weiterbildung“ zu besprechen. Diese „Weiterbildung“ bestand dann im Angebot einer Arbeitsgelegenheit, bei der es um Laubfegen und Winterdienst ging. Genau dasselbe hatte der bewusste Arbeitslose aber vor zwei Jahren schon einmal gemacht – damals als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. „Das kann eigentlich nicht zusätzlich sein“, so Werner; Laub und später Schnee müssen auf jeden Fall beseitigt werden, und eisbedeckte Flächen müssen auch auf jeden Fall abgestreut werden. Und was man Neues dabei lernen kann, ist auch fraglich.
Ebenso rechtswidrig sind 1 €-Jobs als Hausmeistergehilfe an Schulen. Die älteren Gegenwind-Leser erinnern sich bestimmt noch an die Zeit, in der jede Schule einen Hausmeister hatte. Heutzutage teilen sich mehrere Schulen eine Hausmeisterstelle, und damit kann nicht mehr die ganze Arbeit geleistet werden. Wenn dafür nun 1 €-Jobber eingesetzt werden, ist das Kriterium der Zusätzlichkeit bestimmt nicht erfüllt.
Solche rechtswidrigen Arbeitsgelegenheiten darf, ja sollte, ein Arbeitsloser ablehnen. Doch der Teilnehmer, der daraus schloss: „Und dann wird das Arbeitslosengeld II nicht gekürzt“, irrte sich. Es ist davon auszugehen, dass das Job-Center einem Erwerbslosen, der eine AGH ausschlägt oder abbricht, das Alg II um 30 %, also um 103,50 €, kürzt. Doch wenn die AGH ganz offensichtlich rechtswidrig ist, wird man auf jeden Fall sein Recht du damit sein Geld bekommen, wenn man gegen die Kürzung klagt.


 

Hartz IV „völlig pfutsch“

– so sieht es ein Rechtsanwalt aus Neubiberg. Wie kommt er darauf? „Mit Urteil 22 Ca 9994/05 der ersten Instanz am 2.3.2006 und Urteil 4 Sa 338/06 vom 11.9.2006 haben Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht München auf einmal einen sehr deutlichen Schlag gegen die Hartz IV-Gesetze, gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung und gegen die gesetzlichen Förderungen des Arbeitsamtes München erteilt“, schreibt er in einer Mitteilung in www.pr-inside.com.

Der Fall: Eine 53-jährige arbeitslose Textilarbeiterin hatte sich, unterstützt von der Arbeitsagentur, auf einen Job in einem Textilbetrieb beworben und war „wegen Überqualifizierung“ vom Personalbüro des Betriebes ausgeschlossen worden. Eine schriftliche Erklärung des Inhalts, dass es sich bei der Absage nicht um eine Diskriminierung wegen ihres Alters handele, wollte der Betrieb nicht abgeben. Dies führte zur Klage beim Arbeitsgericht München, wo die beklagte Firma vortrug, dass die Klägerin vom Auswahlverfahren und dann von den Jobs ausgeschlossen wurde, weil sie „überqualifiziert“ für die angebotenen freien Stellen war; es wäre zu vermuten gewesen, dass sie „unglücklich“ gewesen wäre bei der Verrichtung von Jobs, die sie in der Vergangenheit fast zehn Jahre lang als qualifizierte Mitarbeiterin und am Ende als Abteilungsleiterin durchgeführt hatte.
Eine vermutete Glücklichkeit eines Arbeitsbewerbers ist für Arbeitgeber also vorrangig vor der Zumutbarkeit, wie sie Hartz IV vorsieht, so der bittere Schluss des Anwaltes.
Wer das für Pillepalle hält, möge sich die Anzahl der älteren Langzeitarbeitslosen im Vergleich zur Zahl der verfügbaren Jobs, die Höhe des Alg II, die Zukunftsperspektiven von älteren Langzeitarbeitslosen und die Zumutbarkeitsregelung in Hartz IV vor Augen führen. (noa)

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