Ratssplitter
Apr 032007
 

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vom 21. März 2007

eingetütet von Imke Zwoch

♦ Whalewatching in der Südstadt

Männliche Pottwale sind zum Wandern geboren. Jährlich ziehen sie Tausende Kilometer vom kuscheligen Äquator ins kühle und deshalb nahrungsreiche Nordmeer. Auf dem Rückweg kriegen einzelne leider nicht die Kurve und stranden z. B. auf einer Ostfriesischen Insel. Ihre letzte Wanderung führt dann in die Tierkörperbeseitigung oder, sofern Geld und Interesse vorhanden, in ein Museum. In Wilhelmshaven lässt sich jedoch seit einigen Jahren das ungewöhnliche Phänomen der postmortem-Wanderung beobachten. Der „Pottwal von Baltrum“ wanderte zunächst ins ehemalige Zeiss-Gebäude am Südstrand. Einige Jahre darauf sah man ihn auf dem Weg ins Küstenmuseum an der Weserstraße, wo er sich dann im Obergeschoss einnistete. In diesem Jahr wird er sich nun zurück an den Südstrand bewegen und im Wattenmeerhaus sein voraussichtlich endgültiges Quartier beziehen. Welchen Weg er aus dem Dachgeschoss nimmt, behielt Umweltdezernent Jens Graul für sich, befürchtet er doch eine mögliche Blockade durch Umzugsgegner. So ein Wal ist nämlich höchst begehrt als Besuchermagnet für jedes Museum. Während Ursula Aljets (SPD) das Wattenmeerhaus mit diesem Exponat unterstützen möchte, würde Michael von Teichman (FPD) die Attraktion gern an Ort und Stelle belassen. Strittig war auch, ob der tote Riese fester Teil des Konzeptes zum Küstenmuseum sei oder nicht. Graul – laut Ratsvorsitzendem Norbert Schmidt als „Wa(h)lbeamter“ ausgewiesener Experte zum Thema – machte deutlich, dass eine Standortdiskussion im Rat obsolet ist: Der Wal gehört dem Land Niedersachsen, und das hat sich nun mal für die Rückwanderung an den Südstrand entschieden.
Neben dem Skelett gehen auch die plastinierten Organe des Wals erneut auf Wanderschaft. Seit bekannt ist, dass die vom Plastinator Günther von Hagens ausgestellten menschlichen Leichname, entgegen seiner Behauptung, in der Regel nicht von freiwilligen Spendern stammen, haben auch seine sonstigen Prapärate einen unappetitlichen Beigeschmack. Lehrreich ist der Einblick in Herz und Bronchien eines Meeressäugers gleichwohl, im Mittelpunkt steht – im wahrsten Sinne des Wortes – jedoch meist der Penis des Walbullen, der auch in der Ratssitzung für Heiterkeit sorgte – da reckten sich Hände nach oben, um die Dimensionen des Organs zu beschreiben. Im Fachausschuss soll sogar mal diskutiert worden sein, ob die Organe überhaupt ins flache Zwischengeschoss des Wattenmeerhauses passen – denn so einen Penis müsse man doch unbedingt aufrecht präsentieren. Ahauahaua.

♦ Rückzugsgefecht

Eigentlich wollte die Jamaika-Fraktion (CDU, FDP, Grüne) im Rahmen der „Aktuellen Stunde“ über die derzeitigen Probleme bei der Wirtschaftsförderung (WFG) diskutieren. Zur Erinnerung: Der Aufsichtsrat hatte Wolfgang Frank als Geschäftsführer ausgeguckt, die Kritiker dieser Entscheidung wollten jedoch, dass die Stelle ausgeschrieben wird und sahen zudem juristische Probleme, den derzeitigen Chef der Stadtwerke so einfach auf diese neue Position zu hieven. Daraufhin verabschiedete sich die Wirtschaft ideell wie finanziell aus der WFG. Jamaika zog den Antrag auf Erörterung im Rat nun kurzfristig zurück mit der Begründung, das Thema ließe sich derzeit „nicht emotionsfrei“ diskutieren. Wenn es danach ginge, müsste mehr als die Hälfte der Ratsthemen vertagt werden – und ohne diese Emotionen gäbe es wohl kaum so bunte Ratssplitter. Schauen wir mal, wie emotionsfrei das Thema WFG dann in der Aprilsitzung angegangen wird …

♦ Auf ein Neues

Spätestens 12 Monate nach der allgemeinen Kommunalwahl muss die Wahl zum Ausländerbeirat stattfinden. Dafür wurde nun der 9.9.2007 festgelegt.
Auf Vorschlag des amtierenden Ausländerbeirates und mit Zustimmung des Rates wird Sonja Chamkhi jetzt als beratendes Mitglied die Interessen ausländischer Kinder und Jugendlicher im Jugendhilfeausschuss vertreten.

♦ Kein Sinn für Interesse

So genannte „Private-Public-Partnerships“ (ppp-Modelle) wurden im Rahmen der Haushaltsberatungen und auch des öfteren in den Ratssitzungen angesprochen. Wissen unsere LeserInnen, was das ist? Können Sie die Vor- und Nachteile von ppp beurteilen? Eben! Und viele Ratsmitglieder vermutlich auch nicht, vor allem die Ratsneulinge. Deshalb beantragte die LAW (Linke Alternative Wilhelmshaven), dass in einer der nächsten Ratssitzungen je ein Befürworter und ein Gegner von ppp dazu Stellung nimmt. Diese Idee, dass zwei Ratsleute sich für alle anderen in ein komplexes Thema reinknieen und sozusagen dialektisch (also nicht einseitig gefärbt) dazu referieren, ist – unabhängig vom Thema ppp – grundsätzlich pfiffig.  Das fanden aber außer uns nur die Vertreter von LAW und BASU. Alle anderen wollten wohl von so nem modernen Kram nix wissen. Böse gesagt: Reicht ja, wenn der Fraktionsvorsitzende sich auskennt, oder was? 

♦ Schnarchprophylaxe

Die Dauer der letzten Haushalts-Ratssitzung schlug dem Fass den Zacken aus der Krone: Über 11 Stunden sanken alle Anwesenden allmählich in sich zusammen und der Sauerstoffgehalt im Saal auf kritische Werte, daheim weinten Familien schon um vermeintlich verlorene Gatt/innen, Mütter und Väter, die dann kurz vor Mitternacht wankend aus den Abgründen des Rathauses auftauchten. Damit muss jetzt Schluss sein, meint die LAW. Sie schlägt vor, dass Rats- und Ausschusssitzungen nicht länger als sechs Stunden dauern sollten. „Wenn der Arbeitsplan in dieser Zeit nicht abgearbeitet werden konnte, wird die Sitzung innerhalb von zwei Tagen fortgesetzt“, so Johann Janssen. „Nach sechs Stunden lässt die Konzentration bei jedem Menschen deutlich nach. Die Angelegenheiten der Mitbürger aber, für die wir im Rat sitzen, sollten uns so wichtig sein, dass wir sie in voller Konzentration beraten und beschließen wollen.“ Solche bestechend kurz und prägnant formulierten Anträge und Begründungen sind schon fast ein Markenzeichen der LAW. Oft passen sie inhaltlich nicht ins herkömmliche Raster und stellen auch die Verwaltung vor neue Aufgaben. So zog die LAW diesen Antrag vorerst zurück, mit der Bitte an Rechtsdezernent Jens Stoffers, zu prüfen, ob Sitzungen auf einen zweiten Termin vertagt werden können. Der signalisierte gleich, das sei „rechtlich so okay“. Die Tagesordnung müsse bei einer solchen Vertagung nicht neu veröffentlicht werden. Bei so guten Voraussetzungen sollte die LAW zusammen mit Stoffers am Thema bleiben.

♦ Lokal denken – global ausblenden

Die Firma Actanol BioEngineering beabsichtigt die Errichtung einer Biodieselanlage im nördlichen Heppenser Groden. Zu diesem Zweck beschloss der Rat eine Änderung des Flächennutzungsplans für diesen Bereich (bislang als Optionsfläche für die Kläranlage vorgesehen, jetzt „gewerbliche Baufläche“) sowie die Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplanes. Norbert Schmidt räumte ein, dass er „noch keine Einzelheiten“ zu den Actanol-Plänen in Erfahrung bringen konnte, aber es ginge ja erstmal darum, die Sache „auf den Weg zu bringen“. Bürgermeister Werner Biehl (Grüne) interessierte sich schon für Einzelheiten, vor allem Umweltaspekte. „Bio ist nicht gleich Bio … ‚Biodiesel’ klingt erstmal schön, aber wenn es das ist, was wir befürchten …“ Bernhard Rech, Vorsitzender des Bauausschusses, wollte wissen, ob da Rapsöl verarbeitet werden soll oder etwas anderes. Biehl rechnete vor, dass z.B. die 72.000 Hektar, auf denen in Niedersachsen Energiepflanzen angebaut werden, in keinem Verhältnis zum erzeugten „Biodiesel“ stehen: „Das geht nicht aus unserem Raps“. Es werden pflanzliche Öle z. B. aus Palmen oder Zuckerrohr eingesetzt, die auf Monokulturen in Südamerika oder Asien erzeugt werden, mit schwerwiegenden ökologischen und sozialen Folgen. Michael Schadewaldt (FDP) schloss sich der Besorgnis um die Regenwälder an. Ratsherr Helbig wünschte sich auch genauere Angaben von Actanol. In der Antragsbegründung wird als Standortvorteil die Nähe zu bestehenden Umschlagsanlagen und der Mineralölwirtschaft benannt – die Betreiber der Umschlagsanlagen wüssten aber noch gar nichts von ihrem Glück. Eberhard Menzel wischte alle Bedenken vom Tisch: Die geäußerten Aspekte hätten mit Planungsrecht nichts zu tun. „Das Thema Biodiesel ist nicht ganz unschick“, findet das Stadtoberhaupt. Er habe vor vierzehn Tagen mit den Investoren gesprochen, das war „durchaus interessant, um zu sehen, was machbar ist“.
Biehl und andere Bedenkenträger stimmten den Planungsvorschlägen dann doch zu – mit Vorbehalt: „Wenn weitere Infos vorliegen, melden wir uns wieder.“

♦ Schaut auf diese Stadt

Für die Flächen längs der Jadestraße zwischen Weserstraße und Deich einschließlich Banter See, Wiesbadenbrücke und Innenhafen, gibt es umfangreiche Entwicklungsplanungen. Für die Umsetzung sollen jetzt Mittel aus dem Bundesprogramm „Stadtumbau West“ sowie zusätzliche EU-Mittel beantragt werden. Der städtische Eigenanteil soll zwei Drittel der Gesamtkosten umfassen. Im Landeshaushalt wurden Mittel für den Stadtumbau vorerst gestrichen, so dass die Stadt auch die bisherige Drittelförderung aus Hannover mit abdecken muss. Bis 2009 sind jeweils 200.000 Euro jährlich aus dem städtischen Haushalt veranschlagt, bis einschließlich 2016 dann knapp 170.000 Euro.
„Fahren Sie da mal sehenden Auges durch – so kann es nicht weitergehen“, malte Norbert Schmidt aus. Alles Geschmackssache. Die Gehölze auf der Ostseite sind der „Columbia“-Baustelle gewichen, gegenüber stört allenfalls der Zaun den Blick und Zugang auf die große Wiese, an deren Ende der Biotechnologiepark seiner weiteren Entwicklung harrt. Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel, Kleingärten am Banter See platt zu machen (500.000 Euro für Entschädigungen sind eingeplant) und zu überbauen. “Braucht man wirklich Kleingärten?“, fragte Rech und versuchte zu trösten: 10 Jahre könnten die Besitzer ihre Gärten dort noch genießen.
Menzel streute wieder sein Lieblingsthema JadeWeserPort ein: Der am Vortrag erteilte Planfeststellungsbeschluss für den Bau des Containerhafens brächte „große Herausforderungen an Wilhelmshaven“ mit sich und würde „den Fokus Deutschlands und Europas auf diese Stadt lenken“. Er räumte ein, der Valoisplatz sei eine „gepflasterte Wüste“ (unser Reden!) und müsse noch „mit Leben erfüllt werden“. Für die Wiesbadenbrücke plane man einen Investorenwettbewerb.
Biehl hatte etwas Bauchschmerzen, weil man sich mit den Fördermitteln auch auf bestimmte Planungen festlegt und wenig flexibel ist. Schmidt hielt dem entgegen, man müsse erst das Geld beantragen und könne dann immer noch die Details festlegen. Auch Biehl plädierte dafür, dass die Kleingärtner sich von „lieb gewordenen Privilegien“ verabschieden müssten, im öffentlichen Interesse sei es angemessen, ihnen was wegzunehmen. Joachim Tjaden (BASU) findet auch, dass es an der Jadestraße „schlimm aussieht“ – aber der Vertreibung von Kleingärtnern würde er nicht zustimmen, weil sie keinen Sinn ergibt. Im Ergebnis gab es einen einstimmigen Beschluss, die Fördermittel für die Umgestaltung zu beantragen.

♦ Integration mit Hindernissen
Einstimmig beschloss der Rat, im kommenden Schuljahr an der Grundschule Hafenschule und der Hauptschule Nogatstraße weitere Integrationsklassen (für Kinder mit und ohne Behinderungen) einzurichten. J „Vor 16 Jahren haben wir damit angefangen, heute ist es selbstverständlich“, freute sich Helmut Möhle (CDU) als Vorsitzender des Schulausschusses. So wird der unterschiedlichen Lernfähigkeit aller SchülerInnen Rechnung getragen und eine wohnortnahe Beschulung behinderter Kinder ermöglicht. Biehl erinnerte sich an die „anfänglichen Mühen“, heute könne man stolz auf das Erreichte sein. Dieser Ansatz „Integrieren statt Separieren“ sei heute ein Vorbild für viele Kommunen, ergänzte Christine Will (SPD). Wilfrid Adam (SPD) findet es allerdings unbefriedigend, dass diese Integrationspläne dem Land jedes Jahr neu zur Genehmigung vorgelegt werden müssen, und plädierte dafür, das Niedersächsische Schulgesetz entsprechend zu ändern. 
Für SchülerInnen mit Problemen in der emotionalen und sozialen Entwicklung soll in Kooperation mit der Landesschulbehörde und dem Jugendamt ab dem kommenden Schuljahr ein regionales Integrationskonzept eingeführt werden. Auch diese können dann an ihrer Regelschule bleiben – bisher, so Möhle, wurden sie außerhalb, bis hin nach Varel und Oldenburg, betreut.
Eine von 19 hiesigen Grundschulen lehnte das Integrationskonzept im Vorfeld ab, eine Hauptschule will erst noch abwarten. Zunächst wird an zwei Grundschulen eine sonderpädagogische Grundversorgung eingeführt, die Kinder werden auch im Bereich Lernen und Sprache unterstützt. Bis 2011 wird eine flächendeckende Versorgung angestrebt. Das Land stellt zunächst drei zusätzliche Lehrerstellen bereit, die Stadt trägt die Sachkosten, zusätzlich wird das Personal des Jugendamtes um 1,5 Stellen aufgestockt. 

♦ Keine weiteren Fragen

Seit Horst Radmer und Johann Janssen, früher eifrige Nutzer der Einwohnerfragestunde, eine Etage tiefer sitzen (Radmer jetzt in der FDP-Fraktion), ist es an dieser spannende Kontaktbörse zwischen WählerInnen und Gewählten etwas still geworden. Auch diesmal meldete sich niemand auf der Zuschauertribüne zu Wort.

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