Arbeitsloseninitiative
Apr 032007
 

Solidarität stärkt das Immunsystem

Macht Arbeitslosigkeit krank? Nicht unbedingt!

(noa) Mal ganz anders als sonst war die Monatsversammlung der Arbeitslosensinitiative Wilhelmshaven/Friesland am 13. März. Johann Janssen, Mediziner und LAW-Ratsherr, war eingeladen, um zum Thema „Macht Arbeitslosigkeit krank?“ zu sprechen, aber er hat „das Thema verfehlt“, wie er selbst sagte, und trug stattdessen seinen „Therapieansatz für einen Hartz IV-Empfänger“ vor.


Selber ist er in den 36 Jahren seiner Tätigkeit als Arzt nie einen ganzen Tag wegen Krankheit der Arbeit fern geblieben. Seine gute Gesundheit schreibt er hauptsächlich der Tatsache zu, dass selbstbestimmte Arbeit weniger krank macht als abhängige Arbeit. Denn „nicht nur die Arbeitslosigkeit kann krank machen, sondern auch die Arbeit selbst.“ Und zwar körperliche eher als geistige, dann der Konkurrenz- und der Zeitdruck, die dauernde Angst vor der Arbeitslosigkeit, die Entfremdung von der Arbeit. Es ist wichtig, dass der Arbeitende sich selbst in dem von ihm geschaffenen Produkt wiedererkennt; das erhält ihn gesund. „Deshalb lassen die Airbus-Chefs die gebauten Maschinen gerne ab und zu über Varel kreisen, das verringert die Entfremdung vom Produkt für einen Moment und hat mit Sicherheit positive Auswirkungen auf die Arbeitsmoral und des gesamten Produktionsprozess.“
Als er noch praktizierte, war seine zweite Frage an die PatientInnen (nach der Frage nach den Symptomen, die sie zu ihm geführt hatten) stets die nach ihrer beruflichen Tätigkeit, und diese Frage führte oft an den Kern der Krankheit heran: die Arbeitsbedingungen, die ungünstige Temperatur am Arbeitsplatz, falsche Kleidung, auch Mobbing; oft war es eine Flucht in die Krankheit, um Schlimmerem zu entgehen.
Angesichts dessen, dass die meisten von uns sich über ihre Arbeit definieren, erschüttert uns allein schon die Androhung von Arbeitslosigkeit: „Wir schlafen schlecht, wir essen schlecht und rauchen zuviel, wir trinken zuviel, wir gehen nach Haus und starren in den Fernseher. Darauf haben die Viren gewartet; sind wir emotional angeschlagen, greifen sie zu.“ Da wäre es gesünder, die Fahne der IG Metall zu bügeln und mit ihr zur Demonstration oder vor die Werktore zu gehen, denn – „das ist wissenschaftlich bewiesen und hat sogar Einfluss auf die Sterbestatistik“, betont Janssen – „ausgeübte Solidarität stärkt das Immunsystem.“
Und so versetzt er sich in einen Hartz IV-Betroffenen, der befürchtet, keine Ruhe mehr zu bekommen, sich aber eines Abends hinsetzt und nachdenkt. Er erinnert sich, dass ihm das regelmäßige Aufstehen früher, als er noch gearbeitet hat, gut getan hat, dass er jetzt träge geworden ist. Soll er ein Ehrenamt annehmen? – nein, die nutzen mich aus – sich politisch engagieren? – aber ein Alster im Parteilokal kostet 2,50€, und dauernd soll man etwas spenden – Zeitung lesen, um sich zu informieren? – aber die Zeitung ist zu teuer… Was braucht er eigentlich? Erstens Geld und zweitens Anerkennung!
Die Montagsdemos sind gerecht, dafür wird ich sich jetzt engagieren, das ist ja nur eine Stunde in der Woche. Und sonst? Vielleicht ist die Arbeitslosigkeit ja auch eine Chance? Er gräbt den Rasen hinter dem Haus um und pflanzt Kartoffeln und Petersilie an, zusammen mit dem Nachbarn, der sich aufs Gärtnern versteht. Er gibt dem Enkel seines Nachbarn, der Schwierigkeiten in der Schule hat, Nachhilfe in Mathematik. Er hat immer noch viel Zeit und geht zum Tauschring. Da geht es nicht um Geld, sondern um Punkte, und er tapeziert die Wohnung für eine Frau, die das nicht alleine kann und bekommt seinerseits für die Punkte, die ihm das eingebracht hat, die Haare geschnitten; und ein Ehrenamt hat er mittlerweile doch angenommen.
Dass er bezahlte Arbeit bekommen wird, glaubt er mittlerweile nicht mehr. Er trifft sich mit Leuten von der Montagsdemo jetzt auch unter der Woche. Wenn er jetzt, mit all den Aktivitäten, die seine Zeit sinnvoll füllen, eine bezahlte Arbeit fände, würde es zeitlich eng. Vielleicht bringt die nächste Demo in Berlin ja endlich das garantierte Grundeinkommen…
Bis hierher waren Johanns Ideen sämtlich für jeden sofort umsetzbar; jetzt ging er in den Bereich der Zukunftsträume: Das Grundeinkommen ist durch, und mit einem bezahlten Job hätte unser Arbeitsloser nur 150 € mehr im Monat – da will er gar keinen mehr, denn er ist ausgefüllt – und gesund!
Natürlich gab es in der Diskussion von Janssens Vortrag auch reichlich Widerspruch. Dass Arbeitslosigkeit auch eine Chance sein könnte, dagegen wandte sich Ernst Taux ebenso vehement wie gegen Johanns These, dass Krankheit zum Leben dazugehört und unter Umständen ebenfalls eine Chance sein kann.
Zustimmung gab es von mehreren Teilnehmern für das Konzept, in der Zeit der Arbeitslosigkeit auf jeden Fall weiterhin tätig zu bleiben und die Zeit sinnvoll zu nutzen – „Ich muss etwas tun, um nicht zu versauern“, bekräftigte einer und fuhr fort: „Die Maßnahme, die ich vom Job-Center aus machen muss, nimmt mir die Zeit für meine Bastelei und kostet Geld!“
Ein anderer, der schon lange erwerbslos ist, bestätigt, dass er mittlerweile eine bezahlte Arbeit gar nicht mehr haben will. Nur am Anfang war es sehr schwierig, sich in der Arbeitslosigkeit einzurichten: Viele Bekannte wandten sich von ihm ab und verhielten sich, als sei Arbeitslosigkeit eine ansteckende Krankheit.
Und: „Es sind unsere Zwänge, die uns krank machen“, wandte ein Teilnehmer ein.
Insgesamt litt die Diskussion darunter, dass alle, die etwas beitrugen, jeweils nur auf einen der vielen Aspekte, die im Vortrag beleuchtet worden waren, abhoben und ihn als den einzigen oder den einzig wichtigen behandelten. Aber wenn die ALI an dem Thema dranbleibt, wird auf Dauer die Betrachtungsweise sicherlich differenzierter werden.

 

Kommentar:

Von allen ALI-Versammlungen, die ich bisher besucht habe, um darüber zu schreiben, war das die erste, in der Arbeitslosigkeit nicht ausschließlich als ein schlimmes Schicksal betrachtet, sondern als eine Lebenssituation, in der man sich einrichten kann, dargestellt wurde. Das fand ich befreiend. Wer weiß, ob jemand ohne Johann Janssens Vortrag so offen zugegeben hätte, dass er gar nicht mehr arbeiten gehen will? Die ständige Verunglimpfung von Arbeitslosen als Drückeberger und Schmarotzer, die regelmäßig wiederkehrenden Angriffe von Politikern auf die Höhe des AlG II, all das macht es schwierig, dazu zu stehen, dass man es auch ohne eine bezahlten Arbeitsplatz ganz gut aushalten kann. Dabei sollten wir froh sein, dass es Menschen gibt, die bereit sind, von ziemlich wenig Geld zu leben.
Doch das, was diesen Menschen zum Leben zugestanden wird, ist einfach zu wenig. Ein die Existenz sicherndes garantiertes und bedingungsloses Grundeinkommen, das Johann Janssen am Ende seines Vortrages thematisierte, ist notwendig. Und es wäre finanzierbar. Die gewaltigen Summen, die eingesetzt werden, um Erwerbslose zu kontrollieren und zu schikanieren, könnten stattdessen diesen selber zur Verfügung gestellt werden. Dieses viele Geld würde über deren Konsum zurückfließen in den Wirtschaftskreislauf und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern. Die Erwerbslosen wären, wenn sie ohne den Druck, sich ständig erfolglos zu bewerben oder an Maßnahmen teilnehmen zu müssen, die sie sinnlos finden, weniger krank und würden somit weniger Versicherungsgelder verbrauchen. Und eine Menge gesellschaftlich notwendige, aber sozial abgewertete Arbeit würde geleistet werden.

Anette Nowak

 

 

Logo ALI

Die nächste öffentliche Versammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland findet am 10. April um 10 Uhr im Gewerkschaftshaus, Weserstraße 51 statt. Herr Dr. Pietzka von der VHS wird zu Gast sein.Er war im vergangenen Jahr schon einmal auf einer ALI-Versammlung und berichtete über das Projekt „Arbeitsmarkt 50“. Diesmal wird er über die aus dem Projekt gewonnenen Erkenntnisse referieren.Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen „Aufschwungs“ wird die Veranstaltung sicher interessant werden. Man hört momentan ja in den Medien ständig von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit in sechsstelliger Höhe, dem allerdings kein entsprechender Anstieg der Beschäftigtenzahlen gegenübersteht. Tatsächlich ist einem Wirtschaftsexperten des ZDF zufolge der Rückgang der Arbeitslosenzahl z.T. nur ein statistisches Phänomen. Leute, die in Rente gehen, verschwinden ebenso aus der Arbeitslosenstatistik wie 1-€Jobber, die dann aber immer noch Alg II-Empfänger bleiben. Dr. Pietzkas Vortrag wird hoffentlich Aufschluss darüber geben, ob der Arbeitsmarkt in Wilhelmshaven Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere bietet oder in Wirklichkeit verschlossen ist. (noa)

 

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