Biosprit
Jun 262007
 

Alles BIO oder was?!

Die Stadt stellte kürzlich den Entwurf eines Bebauungsplans für den Bau einer Biodieselanlage auf dem Heppenser Groden vor.

(jm) Neben dem Zubau von Kraftwerken, der Erhöhung des Kohleumschlags, den Erweiterungen der Chemie- und Raffinerieanlagen, dem Bau eines Flüssiggas-Terminals und des JadeWeserPorts gibt es auch noch eine Anfrage zum Bau einer Pflanzenspritfabrik. Am 12. Juni hat die Bauverwaltung gemeinsam mit dem Gewerbeaufsichtsamt und dem nach einem geeigneten Produktionsstandort suchenden Unternehmen „Actanol“ über den Planungsstand informiert.
Ein Planfeststellungsverfahren ist lt. Mitteilung der Bauverwaltung nicht vorgesehen.

 actanolDie Gewerbeaufsicht sieht keine Probleme hinsichtlich der Lärm- und Schadstoffimmissionen. Allerdings gelte es, eine Sicherheitsüberprüfung gemäß Gefahrstoff-Verordnung durchzuführen, da bei der Produktion Ethanol zum Einsatz komme.
Laut Äußerungen der Actanol-Vertreter wolle man den Betrieb schrittweise aufbauen. Etwa 100 Arbeitsplätze sollen letztendlich entstehen. Man gehe von einer Bauzeit von 18 bis 24 Monaten aus. Als Rohstoffe könnten sowohl Soja- als auch Raps-, Sonnenblumen- oder Palmöl verarbeitet werden. Es falle kein Abfall an. Das Abfallprodukt Glycerin könne zur Weiterverarbeitung vermarktet werden. Das Verkehrsaufkommen betrage voraussichtlich einen Eisenbahnzug mit 15 Kesselwagen täglich, alle zwei Tage einen Tanklastzug sowie wöchentlich einen 40.000 t-Tanker. Die Verteilung des Transportaufkommens lässt auf eine Produktionskapazität von rund einer Million Tonnen pro Jahr schließen, wobei sowohl der Antransport des Pflanzenöls als auch der Abtransport des Biosprits per Schiff erfolgt.
Als für den Bau geeignetes Gelände hat die Stadt ein Teilstück des Heppenser Grodens östlich der Straße ‚Am Maadesiel’ auf der Strecke zwischen dem Klärwerk und der Maade ausgeguckt.
Neben der Litanei vom Tiefwasserhafen und dem erwarteten JadeWeserPort sind in dem Entwurf auch sachbezogenere Argumente zur Stützung der Eignung des Standorts zu finden, wie z.B. die „trimodale Anbindung“ der Anlage an die Verkehrssysteme Straße, Schiene und Wasser.
Zwar hat der Heppenser Groden keine Anbindung ans Schienennetz, aber immerhin hat die Stadt – fleißig wie sie ist – schon mal Pläne erstellt, in denen es als Trasse verzeichnet ist. Die Firma Actanol hat auf der Veranstaltung eine Schienenanbindung als Voraussetzung für den Bau der Fabrik genannt.
Dagegen ist mit dem Friesendamm bereits eine Straßenanbindung vorhanden; es mangelt allerdings an einer Transportverbindung zum seeschifftiefen Wasser. Dies übergeht die Baubehörde großzügig und weist lediglich nebulös auf Synergieeffekte mit vorhandenen Betrieben, insbesondere mit dem „…branchengleiche(n) Mineralölbetrieb (Nordwest Ölleitung GmbH – NWO) unmittelbar östlich des Plangebietes…“ hin.
Was an einem Mineralölleitungs- und einem Pflanzenölproduktionsbetrieb branchengleich ist, wird nicht weiter erläutert. Rein theoretisch bietet die NWO-Brücke allerdings die Möglichkeit zur Installierung eines vom Mineralölumschlag separierten Moduls für den Umschlag von Pflanzenöl und Biosprit am seeschifftiefen Wasser. Darüber hinaus müsste eine Pipeline übers NWO-Betriebsgelände zur Umschlagbrücke gebaut werden. Zur Sprache kam lediglich, dass die Biospritfabrik auch Kühlwasser benötigt. Darüber werde bereits mit der NWO als Anrainer an der Jade verhandelt. Doch die NWO als profitorientiertes Privatunternehmen dürfte den Investoren der Fabrik ihr Betriebsgelände inkl. Umschlaganlage wohl kaum für’n Appel und’n Ei zur Verfügung stellen…
Und da die NWO bei den laufenden Verhandlungen am längeren Hebel sitzen dürfte, könnte der Investor schnell wieder abspringen, wenn unsere Hafenlobby und ihr lokales Verlautbarungsorgan nicht wieder erfolgreich nach Investitionsbeihilfen aus der Steuerkasse schreien würden.
Dagegen würde eine Verlagerung der Planung in den Rüstersieler Groden dicht an die Niedersachsenbrücke erhebliche Vorteile bieten:
Ein Gleis führt bereits dicht an dem Gelände vorbei und ein Straßenanschluss direkt an die Autobahn ist auch vorhanden. Eine Pflanzenöl- bzw. Kühlwasserleitung zur Niedersachsenbrücke könnte wesentlich kürzer gehalten werden und führt statt über privaten über öffentlichen Grund und Boden. Auch die Benutzung der Niedersachsenbrücke würde mit Gewissheit billiger kommen, weil die keinem Privatunternehmen, sondern dem Land Niedersachsen gehört.

Soweit die lokale Sichtweise.
Aber verträgt sich diese Planung auch mit der Devise ‚Global denken – vor Ort handeln’?

  • Darf man es zulassen, dass Agrarflächen der Nahrungsmittelproduktion entzogen werden, um damit Benzintanks zu füllen?
  • Ist es akzeptabel, dass die Tropenwälder im Amazonas- und Kongobecken sowie auf dem südostasiatischen Inselarchipel noch mehr durch den Plantagenanbau mit ölhaltigen Früchten verdrängt werden?
  • Soll unter dem Gütezeichen „Biodiesel“ versteckt werden, dass die Tropenwälder über ein noch weitgehend unentdecktes Nutzungspotenzial (z.B. für medizinische Zwecke) verfügen und darüber hinaus als Kohlendioxidsenken einen überlebenswichtigen Beitrag zur Eindämmung der Klimakatastrophe leisten?
  • Hat man uns nicht vor Jahren vor einer bevorstehenden Bevölkerungsexplosion Angst gemacht, die bei gleichzeitig schrumpfender Landwirtschaftsfläche in eine akute Welternährungskrise führen würde?
  • Ist es grundsätzlich mit einer „Globalisierung mit menschlichem Gesicht“ vereinbar, dass Menschen verhungern müssen, damit andere täglich ihren Benzintank nachfüllen können?

Auch bei uns sehen immer mehr Landwirte im Anbau von Ölsaaten als Kraftstoffzusatz eine Sicherung ihrer Existenzgrundlage. Abgesehen davon, dass da noch ungehemmter die chemische Keule eingesetzt werden kann und genmanipulierten Pflanzen die Schleusen noch weiter geöffnet werden dürften, wird bei einer weltweiten Nahrungsmittelkrise unter den gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Markt und nicht der menschliche Bedarf an Nahrungsmitteln darüber entscheiden, was angebaut wird. Das heißt, wer knapp bei Kasse ist, der muss nicht nur jetzt schon auf einen Besuch im neuen „Spaßbad“ verzichten, sondern dem wird womöglich in nicht allzu ferner Zukunft der Magen knurren!

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