Job-Center
Jun 262007
 

Amtsmissbrauch

Beim Job-Center Wilhelmshaven wird nicht nach Recht und Gesetz gehandelt

(noa) Kommt Kroll, wird’s voll – das weiß man schon bei der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland. Auf der Grundlage dieser Erfahrung hatte man am 12. Juni vor der ALI-Monatsversammlung rechtzeitig die Tische aus dem großen Sitzungsraum geräumt, um genügend Stühle aufstellen zu können.


Alfred Kroll, Fachanwalt für Sozialrecht in Oldenburg, ist vielen Erwerbslosen aus Wilhelmshaven bekannt, vertritt er doch auch manchen Wilhelmshavener Hartz IV-Empfänger vor dem Sozialgericht Oldenburg und dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen; er hat sogar einen Fall beim Bundessozialgericht laufen. Und nach seinen bisherigen Erfahrungen mit dem Job-Center Wilhelmshaven musste er erst einmal seinem Ärger Luft machen. Wie schon einmal (vgl. Gegenwind 207 vom Mai 2005) äußerte er eingangs die Einschätzung, dass es eine einzige Katastrophe ist, was in dieser Behörde läuft. „Willkür pur“, nennt er ihre Bescheide, stellt fest, dass es dort keine fairen Verwaltungsverfahren gibt und dass man dort, um Geld zu sparen, nicht nach Recht und Gesetz handelt.

Von Fall zu Fall

So nannte er einen Fall, in dem einem Antragsteller kein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aufgrund chronischer Krankheit bewilligt wurde. Es wurde seitens des Job-Centers einfach behauptet, dass es keine Nachweise für die Erkrankung und die dadurch notwendige teurere Ernährung gäbe. Das Verfahren (Widerspruch, Ablehnung des Widerspruchs, Klage beim Sozialgericht) zog sich hin, aber irgendwann einmal war es dann doch so weit, dass Kroll die Verwaltungsvorgänge einsehen konnte – und siehe da: Die erforderlichen Nachweise waren vorhanden!
In solchen Fällen bekommt der Antragsteller schließlich sein Recht und sein Geld, doch angesichts der seit Hartz IV völlig überlasteten Sozialgerichte zieht sich das regelmäßig sehr in die Länge – „Wenn ich beim Sozialgericht nach dem Termin für ein Hauptverfahren frage, ernte ich brüllendes Gelächter“, berichtet Kroll, „immerhin ziehen sich die Verfahren bis zu zwei Jahre hin“ – und währenddessen hat der betroffene Arbeitslose die höheren Kosten vorzustrecken. Und da immer noch die meisten Antragsteller ihren Bescheid hinnehmen und sich nicht trauen, dagegen vorzugehen, ist überhaupt nicht abzuschätzen, wie viele Leute ihren Regelsatz, der ja das Existenzminimum darstellt, angreifen müssen, so dass ihnen das Geld an anderer Stelle nicht reicht.

Für Hartz IV-Betroffene, EmpfängerInnen von Grundsicherung und sonstige auf staatliche Transferleistungen angewiesene Menschen gibt es über die in unserer Rubrik „Hartz IV und Recht“ referierten Gerichtsentscheidungen hinaus weitere wichtige Informationsquellen. Die Urteile und Beschlüsse, die Rechtsanwalt Alfred Kroll erstritten hat, sind auf seiner Homepage www.behindertemenschen.de nachzulesen; außerdem enthält diese Homepage weitere lesenswerte Informationen aus dem Gebiet des Sozialrechts. Außerdem ist die Seite www.tacheles-sozialhilfe.de sehr zu empfehlen. Sie enthält neben einer umfangreichen Entscheidungsdatenbank Gesetzestexte, Artikel, Stellungnahmen u.v.m.
Deutliche Worte

„Inzwischen finden die Richter am Sozialgericht Oldenburg recht deutliche Worte für diese Art Willkür“, stellt Kroll fest. Er berichtete von einem besonders eklatanten Beispiel, das allerdings nicht von unserem hiesigen Job-Center, sondern von dem in Oldenburg stammt – aber wer weiß, ob dergleichen nicht auch schon hier vorgekommen ist. Da stellt die Behörde die Alg II-Zahlungen an ein Ehepaar vorläufig ein mit der Begründung, sie habe eine Information bekommen, derzufolge die Leistungsbezieher Vermögen hätten, und fordert sie zur Darlegung ihrer Vermögensverhältnisse auf. Da es nichts darzulegen gibt – wer kein Vermögen hat, kann das schlecht beweisen – nimmt das Job-Center seinen Bewilligungsbescheid zurück und will die Zahlung nicht wieder aufnehmen. Das Ehepaar beschreitet den Rechtsweg. Doch auch vor Gericht hält das Job-Center an seiner Behauptung fest, die Eheleute hätten Vermögen und könnten ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Ab hier wird es im Text des Beschlusses beinahe witzig: Das Job-Center „trägt vor, aufgrund eines anonymen Hinweises über detaillierte Informationen zu verfügen, die Rückschlüsse auf die fehlende Hilfebedürftigkeit der Antragsteller zuließen. Ihr lägen Unterlagen bezüglich ausländischer Konten und einer Eigentumswohnung der Antragsteller im Ausland vor. Die ihr vorliegenden Unterlagen könnten jedoch nicht vorgelegt werden. Ebenso wenig könne der Hinweisgeber benannt werden, denn dieser befürchte bei Offenlegung seiner Identität Repressalien.“  Und bezugnehmend auf diese hier hervorgehobene Eierei sprach das Gericht abschließend die deutlichen Worte: „Die Antragsgegnerin ist gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Erlässt sie – wie vorliegend – einen Verwaltungsakt, ist sie verpflichtet, ihr Verwaltungshandeln ausreichend zu begründen (§ 35 SGB X). Die Begründungspflicht entspricht bei belastenden Verwaltungsakten – wie dem vorliegenden – dem rechtsstaatlichen Grundsatz, wonach der Bürger Anspruch auf Kenntnis der Gründe hat, weil er nur dann seine Rechte sachgemäß verteidigen kann (…). Sie führt zur besseren Transparenz des Verwaltungshandelns und beugt überflüssigen Rechtsbehelfen vor. Darüber hinaus dient sie der Nachprüfung der Verwaltungsentscheidung durch Aufsichtsbehörden und Gerichte (…). Die Verwaltung wird durch die Begründungspflicht zu sorgfältiger Arbeit und zur Auseinandersetzung mit Vorbringen der Beteiligten gezwungen.
Die Antragsgegnerin hat ihre o.g. Pflichten grob verletzt, wenn sie meint, existenzsichernde Leistungen entziehen zu können, ohne den Antragstellern oder dem entscheidenden Gericht die hierfür maßgeblichen Beweismittel mitzuteilen … . Die Antragsgegnerin kann nicht ernsthaft davon ausgehen, dass sie ohne Nennung der maßgeblichen Gründe einen belastenden Verwaltungsakt erlassen kann, der der gerichtlichen Überprüfung standhält. Wenn sie davon überzeugt ist, dass die Antragsteller aufgrund der ihr vorliegenden Beweismittel nicht hilfebedürftig sind, ist sie verpflichtet, einen Rücknahmebescheid unter Offenlegung der ihr vorliegenden Beweismittel zu erlassen, zumal der Hinweisgeber nicht – wie von der Antragsgegnerin behauptet – anonym ist, sondern der Antragsgegnerin offenbar namentlich bekannt ist. Ein Ermesse steht ihr in diesem Fall nicht zu.“

Holger Kirschen, der stellvertretende Leiter des Job-Centers Wilhelmshaven, hat sich am 15. Juni das Leben genommen. Die Meldung „WZ“ vom 20.06.2007, nach der es „im Job-Center Wilhelmshaven (…) zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein“ soll, ließ noch Raum für Spekulationen, es könnte Herrn Kirschen eventuell zuviel geworden sein, den Betrug an Tausenden von erwerbslosen Menschen durchsetzen zu müssen. Am 22. Juni schreibt die „WZ“ dann allerdings, wenn auch noch mit Fragezeichen versehen, über die Veruntreuung von über 100.000 €, in die Kirschen verwickelt gewesen sein soll. Daran müssten laut Staatsanwaltschaft weitere Job-Center-Mitarbeiter beteiligt gewesen sein.
Alg II-Empfänger betuppt

Wie gesagt, dieser Einzelfall stammt aus dem Bereich des Job-Centers Oldenburg. In Wilhelmshaven werden Bedarfsgemeinschaften mit Kindern gleich reihenweise „betuppt“ (Kroll). Ein Beispiel von vielen: Eine ledige Mutter bekam im August 2006 einen Brief vom Job-Center, in dem es hieß: „…minderjährige Kinder haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Wohngeld. Dieser Anspruch ist vorrangig gegenüber den Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Diese Voraussetzungen sind bei Ihrem Kind … erfüllt, so dass Sie diesen Anspruch bitte umgehend bei der Wohngeldstelle … beantragen müssen. …“
Die (rechtswidrige!) Rechnung: Bekommt ein Kind Kindergeld und Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss, hat es schon mehr als seinen Regelsatz. Dann ist es nicht mehr hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Nur seine Kosten der Unterkunft sind nicht gedeckt. Aber wenn es aus dem Alg II-Bezug bzw. Sozialgeld-Bezug rausfällt, hat es ja Anspruch auf Wohngeld. Und dann hat es ja schon ganz viel eigenes Einkommen! Und so geht es in dem Brief an die junge Mutter wie folgt weiter: „… kann durch ihr Einkommen ihren Bedarf selbst decken. … Das übersteigende Einkommen Ihres Kindes wird bis zu Höhe des anteiligen Kindergeldes bei Ihnen als Einkommen berücksichtigt. Näheres entnehmen Sie bitte dem Leistungsbescheid.“ Aha! Das Kleinkind kostet also nun nicht nur nichts mehr, sondern ernährt nun sogar seine Mama teilweise – und entlastet damit das Budget des Job-Centers! Wenn es sich – wie in mehreren Fällen, mit denen Kroll befasst ist – um einen „frischgebackenen“ Alg II-Empfänger, also um einen, der bisher Arbeitslosengeld bezogen hat, handelt, fällt die Entlastung für das Job-Center sogar noch großzügiger aus. Zu Beginn des Hartz IV-Bezugs gibt es nämlich nach § 24 SGB II noch einen Zuschlag zum Alg II für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, und wenn ein Kind „seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen bestreiten kann“, ist es nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und bekommt diesen Zuschlag nicht mehr.
Die junge Mutter, die uns ihren Brief gezeigt hat, hat sich gegen den Betrug nicht gewehrt. Sie kommt so oder so auf das gleiche Geld für sich und ihr Kind, da lohnt sich der Aufwand mit Widerspruch und Klage vermeintlich nicht. Bei den Menschen, die dadurch Geld einbüßen, lohnt es sich schon eher, etwas zu unternehmen. Und die werden zum großen Teil von rechtlichen Schritten dadurch abgehalten, dass das Schreiben des Job-Centers ziemlich überzeugend klingt. Wer glaubt schon, dass eine Behörde in einem Rechtsstaat so dreist lügen würde?

Nötigung zum Rechtsbruch

Eltern und minderjährige Kinder, die gemeinsam aus einem Topf wirtschaften, bilden eine Bedarfsgemeinschaft – auch dann, wenn „auch eigentlich nicht bedürftige Personen durch die Regelung der Bedarfsgemeinschaft zu bedürftigen werden.“ So steht es im Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.11.2006 (Az.: B 7b AS 8/06 R). Und: Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II schließt den Bezug von Wohngeld aus. Die Behauptung „Diese Voraussetzungen sind bei Ihrem Kind erfüllt“ in Kombination mit der Aussage „Minderjährige Kinder haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Wohngeld“ ist eine Lüge.
Die Alg II-Empfänger, die mit dieser Lüge dazu veranlasst wurden, Wohngeld zu beantragen, haben sich eine Sozialleistung erschlichen, die ihnen nicht zusteht.
Ein Teilnehmer der ALI-Versammlung berichtete, dass ihm das Wohngeld, das er bekommen hätte, wenn er es beantragt hätte, gleich vom Alg II abgezogen wurde. Wenn jemandem von heute auf morgen 100 € oder mehr auf dem Konto fehlen, dann denkt er nicht mehr lange darüber nach, dass er sich eigentlich strafbar macht, wenn er rechtswidrig eine Sozialleistung beantragt und bezieht.

Wie kann das angehen?

Warum spielt die Wohngeldstelle der Stadt Wilhelmshaven bei diesem Rechtsbruch mit? Denken ihre (kommunalen) Angestellten, dass es ja nicht schaden kann, „staatliches“ Geld zu erschleichen, um die kommunale Kasse zu entlasten? Alfred Kroll hingegen berichtete, dass Juristen eine andere Erklärung dafür nennen: Sie vermuten, dass zur Rettung des Hartz IV-Gesetzes ein Bundesministerium (Bau) mit einem anderen (Arbeit und Soziales) „kungelt“.
Das Gesetz Hartz IV hat nicht gebracht, was vorher vollmundig angekündigt wurde. Dieses Gesetz über „moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ sollte angeblich dafür sorgen, dass die Langzeitarbeitslosen schnell dem Arbeitsmarkt zugeführt werden. Von Anfang an wurde zu wenig Geld für die Leistungen bereitgestellt. Schon nach einem knappen Dreivierteljahr musste Geld nachgelegt werden. Eine gewaltige Prozesswelle wurde dadurch ausgelöst, dass das Gesetz in vielen einzelnen Punkten so schlampig formuliert war, dass eigentlich jeder Bescheid anfechtbar ist. Die Software, mittels derer die Angaben aus den Anträgen in Leistungsbescheide eingearbeitet werden, ist so schlecht, dass die Bescheide für die Empfänger nicht nachvollziehbar und allein schon deshalb anfechtbar sind. Die Sozialgerichte sind seit Hartz IV permanent überlastet. Die zusätzlichen Richterstellen, die immer verspätet eingerichtet werden, reichen, wenn sie dann endlich eingerichtet werden, schon nicht mehr. Einverfahren dauern anderthalb bis zwei Jahre. Bundesweit haben 49 % der Klagen gegen Leistungsbescheide Erfolg; 90 % sind es in der Kanzlei von Alfred Kroll. Ständig werden ARGEn verurteilt, vorenthaltene Leistungen nachzuzahlen. Das ganze Gesetz ist eine Pleite – und gehört eigentlich schnellstmöglich abgeschafft. Aber das Bild vom wirtschaftlichen Aufschwung, der durch dieses Gesetz bedingt oder jedenfalls mitbedingt sei, muss aufrechterhalten werden. Man mag sich ja gar nicht vorstellen, dass so etwas in einem Rechtsstaat passieren kann, aber wie erklärt man es sich dann?
– Was passiert eigentlich, wenn eines Tages ein korrekter Sachbearbeiter bei der Wohngeldstelle all die, die rechtswidrig Wohngeld beziehen, anzeigt? Kann man sich darauf berufen, dass man vom Job-Center dazu genötigt wurde, es zu tun? Kann man dann die Fallmanager des Job-Centers wegen Anstiftung zu widerrechtlichen Erschleichen einer Sozialleistung verführt haben?

Die ALI hat in diesem Jahr wieder (wie in den vergangenen Jahren auch schon) bei der Stadt Wilhelmshaven, dem Landkreis Friesland und den friesischen Gemeinden Zuschüsse für ihre Arbeit beantragt. Außer der Stadt Jever und der Gemeinde Sande haben alle Körperschaften (wie in den vergangenen Jahren auch schon) der ALI einen Korb gegeben.
In Varel war das Thema jüngst auf der Tagesordnung der Sitzung des Sozialausschusses. Dieses Gremium hat empfohlen, die ALI zu bezuschussen. Leider wurde diese Empfehlung dann doch nicht umgesetzt.
Es ist also absehbar, dass die Beratungsarbeit der ALI (wie in den vergangenen Jahren auch schon) nur noch bis in den Herbst hinein im vollen Umfang stattfinden kann und den Winter über nur noch auf Basis eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses für den Sozialberater Werner Ahrens angeboten werden kann.
Wohngeldtabelle plus 10 %

Noch eine interessante Information brachte Alfred Kroll mit in die ALI-Versammlung:
Neuerdings fällen Gerichte Urteile bzw. Beschlüsse, nach denen Alg II-Beziehern Kosten der Unterkunft in Höhe des Wertes der Wohngeldtabelle plus 10 % gezahlt werden müssen. Immer noch bewilligt das Job-Center Wilhelmshaven Kosten der Unterkunft, die sogar unter den Werten aus der Wohngeldtabelle liegen. Immer noch behauptet die Stadt Wilhelmshaven, es gäbe in Wilhelmshaven ausreichend entsprechend billigen Wohnraum. Einige Betroffene, die gegen das Job-Center Klage erhoben haben, obsiegten beim Sozialgericht und bekommen nun Unterkunftskosten entsprechend der Wohngeldtabelle. Viele Betroffene scheuen den Rechtsweg (oder wissen gar nicht, dass sie zu wenig bekommen) und zahlen Teile ihrer Miete aus dem Regelsatz, der eigentlich für andere Sachen vorgesehen ist.
Und nun sind neuere Urteile ergangen, durch die auf die Wohngeldtabelle sogar noch 10 % draufgelegt werden. So hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen am 24.04.2007 (Az.: L 7 AS 494/05) einer Klägerin aus Hannover entsprechende KdU verschafft. Zur Begründung dieser Höhe heißt es im Urteil:
„Da Erkenntnismöglichkeiten … über die konkreten örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt nicht zur Feststellung eines marktüblichen Mietzinses führen, ist ausnahmsweise ein Rückgriff auf die Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz zulässig (BSG vom 07.11.2006 – B 7b AS 17/06 ER -). Zwar sind die Tabellenwerte in § 8 Wohngeldgesetz kein von vornherein geeigneter Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft, weil wohngeldrechtlich ohne Bedeutung ist, inwieweit die Wohnung als solche im Sinne eines notwendigen Bedarfs angemessen ist. Die Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz stellt aber mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten und -mittel den einzigen normativen Ansatzpunkt dar, an den die Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angelehnt werden kann. Eventuelle Unbilligkeiten aufgrund der pauschalierenden Regelung sind mit einem Zuschlag von etwa 10 % zu den Tabellenwerten auszugleichen (BSG, a. a. O. Rdnr. 23).“ Und im Verfahren L 13 AS 11/06 ER wurde am 23.05.2007 ebenso geurteilt.

Warmduscher

Weithin üblich (nicht nur beim Job-Center Wilhelmshaven) ist es, dass von den Heizkosten, die Alg II-Empfängern bewilligt werden, ein Teil wieder abgezogen wird. Für die Erwärmung von Wasser ist nämlich im Regelsatz ein Betrag vorgesehen. Und da in vielen Haushalten die Energie für das Erhitzen des Wassers aus der gleichen Quelle stammt wie die Heizenergie, hat sich bislang noch kaum jemand gegen den Abzug der Warmwasserbereitungspauschale gewehrt. Aus Sachsen gibt es nun jedoch ein Urteil, das diesen Abzug sanktioniert. Am 29.03.2007 erklärte das Sächsische Landessozialgericht in einem Urteil (Az.: L 3 AS 101/06): „In der Regelleistung des SGB 2 wurden keine Haushaltsenergiekosten zur Warmwasserbereitung (außer den bei Kochfeuerung, Waschmaschine und Geschirrspüler entstehenden Energiekosten zur Wassererwärmung) berücksichtigt, so dass in verfassungskonformer Auslegung der § 20 Abs 1, § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 diese Warmwasserbereitungskosten zusammen mit den Heizkosten zusätzlich zur Regelleistung in tatsächlicher Höhe übernommen werden müssen, soweit sie angemessen sind. (Rn.30).“ Und das heißt: Die bislang einbehaltene Pauschale für die Bereitung von Dusch- und Badewasser muss gezahlt werden.
Versuchen könnten die Betroffenen es ja auf jeden Fall, auch wenn die einbehaltene Pauschale auf den ersten Blick klein aussieht. Doch Jahr für Jahr sind es ca. 100 €, die bei einem Erfolg vor Gericht mehr in der Haushaltskasse verbleiben würden.

Schulmaterialien

Hefte, Stifte, Ordner usw., die man als Schulkind so braucht, sind im Hartz IV-Regelsatz für Kinder nicht vorgesehen. Und (anders als „damals“ nach dem Bundessozialhilfegesetz) können sie auch nicht als einmalige Beihilfen („Hilfe in besonderen Lebenslagen“) bewilligt werden. Eine Aktion der Arbeitslosenselbsthilfeinitiativen im Jahr 2006, die auch von „unserer“ ALI propagiert wurde, zielte darauf ab, trotzdem den Schulbedarf zu beantragen.
Das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen hat nun Ernst Taux von der ALI zu einer neuen Idee inspiriert: So wie die Kosten der Warmwasserbereitung sind ja auch die Kosten für den Schulbedarf nicht im Regelsatz enthalten. Also müsste man sie analog dazu doch extra beantragen können und müsste sie bewilligt bekommen. Die Kosten, die der Schulbesuch verursacht, sind vorweggenommene Werbungskosten. Als solche müssten sie zu bewilligen sein. Und so bat Ernst die Alg II-Empfänger, die schulpflichtige Kinder haben, das doch in diesem Jahr zu versuchen.

Ein hoher Krankenstand prägt die Arbeit des Job-Centers Wilhelmshaven. Zeitweise sind nur 50 % der dort Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz. Von dem vor Einführung von Hartz IV angekündigten Schlüssel 1:150 (ein „Fallmanager“ betreut höchstens 150 „KundInnen“) ist man (auch ohne Krankheitsausfälle) weit entfernt. Die Arbeitsbelastung für die einzelnen Beschäftigten ist groß. Und, wie Alfred Kroll bei der ALI-Versammlung meinte, muss es anständige Menschen krank machen, wenn sie ihre Kunden systematisch ihrer Rechte berauben und sie um das ihnen zustehende Geld betrügen müssen. Und nun laufen in den nächsten Monaten noch etwa ein Dutzend befristeter Arbeitsverhältnisse aus.

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