Radio Jade
Aug 012009
 

Radio Überleben, die Zweite

Hat der unabhängige Lokalfunk noch Perspektiven?

(iz) Auf der Mitgliederversammlung von Radio Jade im März dieses Jahres warfen strukturelle und finanzielle Probleme und damit verbundene Veränderungen ihre Schatten voraus. Was ist daraus geworden? Vor allem: Kann ein Sender noch unabhängig-kritisch berichten, wenn er auf Finanzspritzen Dritter angewiesen ist? Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des Trägervereins, Wolfgang Schmitz, und mit Chefredakteur Michael Diers.

b_radiojadeZum gesetzlichen Auftrag des Bürgerrundfunks zählen lokale Berichterstattung und publizistische Ergänzung, Öffnung des Rundfunks für alle Bürgerinnen und Bürger und die Vermittlung von Medienkompetenz. Gleichzeitig sehen sich Vereinsvorstand und Redaktion mit steigenden Kosten, sinkenden Spenden und Zuschüssen, Mitgliederschwund und ausgebrannten MitarbeiterInnen konfrontiert. Um die regionale Medienlandschaft publizistisch zu erweitern, müssen Bürgersender vor allem eins sein: unabhängig. „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing“ darf nicht das Motto sein. Bei einem Haushaltsansatz von 400.000 Euro (2009) erhält Radio Jade von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM), als Dach- und Kontrollorganisation der Bürgersender, nur 262.000 Euro (65%), der Rest muss anderweitig finanziert werden. Einnahmen kommen aus Beiträgen von Vereins- und Fördermitgliedern (22.000), Spenden (10.000), Veranstaltungen  (60.000) und Sonderzuschüssen /Sonstiges (15.000), zusammen rund 370.000 Euro. Bleibt eine Deckungslücke von 30.000 Euro. Wie also mehr Einnahmen erzielen, wo sparen?

Wagnis gemeinnützige GmbH

Aufgabe des Vorstands ist es, sich um finanzielle und rechtliche Fragen zu kümmern und damit der Redaktion den Rücken freizuhalten für inhaltliche Arbeit, in die der Vorstand sich nicht einmischen soll. Schon seit 2001 denkt man darüber nach, einen finanzkräftigen Gesellschafter mit ins Boot zu holen. Dazu müsste die Trägerschaft in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt werden, in welcher der Verein einer von mehreren Gesellschaftern wäre. Im März 2009 wurde der Vorstand von der Mitgliederversammlung beauftragt, diese Option zu prüfen und bis Ende August einen entsprechenden Vertragsentwurf vorzulegen. Als Verwaltungsprofi ist der 1. Vorsitzende Wolfgang Schmitz, ehemals Schortenser Gemeindedirektor, für diese Aufgabe prädestiniert. In den Vorstand ist er 2006 sozusagen hineingeschliddert, nachdem sein Vorgänger Stefan Becker aufgrund antisemitischer Äußerungen nicht mehr tragbar war (Becker hatte im Magazin „Scout“ Unsägliches gegen die Vorsitzende des Zentralverbandes der Juden in Deutschland abgelassen, s. GEGENWIND Nr. 220 v. September 2006) und bei den Neuwahlen alle auf Schmitz schielten, bis er nicht mehr nein sagen konnte. Schmitz hat keine Bedenken, dass ein großer Geldgeber –dies könnte auch ein Verlag sein – die Arbeit des Senders inhaltlich beeinflussen könnte. „Die Zeit, wo man versuchte, sich gegenseitig die Möglichkeit des Radiomachens wegzunehmen, ist vorbei.“ (Als Radio Jade sich 1995 um die Sendelizenz bewarb, schickte der Brune-Verlag einen zweiten Radioverein ins Rennen, unterlag aber bei der Entscheidung der NLM). Auch ist nach Landesmediengesetz unzulässig, dass im Bürgerfunk „Verleger mit insgesamt 25 vom Hundert oder mehr des Kapitals oder der Stimmrechte beteiligt sind oder einen sonst vergleichbaren Einfluss ausüben“. Auch Diers sieht in dem Modell keine Gefahr für die Unabhängigkeit der Berichterstattung – „das kann man glauben oder in Frage stellen“. Nach Schmitz’ Einschätzung wäre eine Beteiligung für Verlage oder andere Gesellschafter aus der Wirtschaft ohnehin nur dann interessant, wenn sie den Sender als Werbeplattform nutzen können. Bislang sind aber nach Gesetz Werbung, Sponsoring und Teleshopping im Programm der Bürgersender unzulässig. Zwar gibt es Überlegungen, dieses Werbeverbot zu kippen (Koalitionsvereinbarung der nds. Regierungsparteien 2008-2013: „Die Koalitionspartner wollen prüfen, ob lokaler kommerzieller Rundfunk die einheimische Medienlandschaft zusätzlich beleben könnte.“), aber auf einem Treffen mit der Landesregierung im Januar dieses Jahres wurde diese Option erstmal ad acta gelegt.

Sparmaßnahme: Programmstruktur

Mit dem 1. April trat die Veränderung der Programmstruktur in Kraft, der z. B. vier der sechs Fachmagazine zum Opfer fielen, die zur Mittagszeit ausgestrahlt wurden. „Die Fachmagazine hatten keinen Wert mehr“, sagt Diers. Fragt sich, für wen. Fachmagazin klingt erst einmal nach intensiver Recherche, die Redakteursstunden bindet. Aber sie entscheiden vielleicht auch darüber, ob anspruchsvolle Hörergruppen nicht lieber auf Deutschlandfunk umschalten.

Mitgliedsbeiträge

Derzeit hat der Verein um die 240 Mitglieder. Der Trend: 1997 waren es 350 Mitglieder, 1999 fast 400, 2000 nur noch 300. Der Quartalsbeitrag beträgt 12 Euro, ermäßigt die Hälfte; Vereine, Firmen etc zahlen 36 Euro. Gemessen am Gesamthaushalt sind die Mitgliedsbeiträge kein wesentlicher Stützpfeiler des Radiobetriebs. Nach Aussage von Schmitz gibt es kaum Austritte, die mit Kritik an der Arbeit des Senders verbunden waren. Sein Ziel ist es, die Mitgliederzahl wenigstens zu halten.

Kommunen: Vornehme Zurückhaltung

Das Landesmediengesetz erwartet für die Finanzierung auch „ein angemessenes Finanzaufkommen aus dem Verbreitungsgebiet“. Schon 2001 beklagte Diers im Gespräch mit uns, dass der Sender „keine Mark von den Kommunen“ kriegt. Ein paar Mark resp. Euro sind es jetzt schon, wobei die Betonung auf „ein paar“ liegt: Als Fördermitglied zahlen die Stadt Wilhelmshaven und Umlandgemeinden jeweils sagenhafte 800 Euro pro Jahr, insgesamt macht das 4.500 Euro pro Jahr. Zwar zahlte die Stadt – erstmals seit Sendebeginn! – im vergangenen Jahr einen Zuschuss von 10.000 Euro, leider aber nur einmalig. Diers hätte es begrüßt, wenn zumindest das aktuelle Defizit von 7.000 Euro aus der Stadtkasse gedeckt worden wäre. (Wenn man so schaut, wofür das Geld sonst so locker sitzt, z. B. 100.000 Euro an die JadeWeserPort-Realisierungsgesellschaft für deren Werbebude „Infobox“, ist das wirklich ein Armutszeugnis – red.). Zum Vergleich: Radio Osna erhält jährlich 70.000 Euro als dauerhaften Zuschuss von Stadt und Landkreis Osnabrück. Soviel Geld möchte Diers gar nicht haben, denn „wir wollen nicht vom Bürgerradio zum Bürgermeisterradio mutieren“, so geschehen bei der Ems-Vechte-Welle in Lingen, wo der kommunale Zuschuss zum Untergang der kritischen Berichterstattung führte. Diers denkt auch darüber nach, europäische Fördermittel zu akquirieren, indem man Partnerstädte des Sendegebietes mit ins Boot holt wie Vichy oder Nagybayom und regelmäßige über dortige Geschehnisse berichtet. Bisher gibt es dafür aber keine politische Unterstützung.

Studio Jever: Es geht auch anders

Das Radio-Jade-Studio in Jever schlägt mit ca. 30.000 Euro zu Buche, die außerhalb des eingangs genannten Gesamthaushaltes laufen. Das Außenstudio trägt sich derzeit selbst, vor allem durch bedeutende Finanzspritzen von Stiftungen (u. a. Philipp Orth), aber auch die Kommunen Stadt und Landkreis sind hier mit im Boot. Bis Ende 2010 sind insgesamt 50.000 Euro zugesichert.

Gute Leute – gute Arbeit – gutes Geld?

Den dicksten Brocken machen die Personalkosten aus mit 267.000 Euro, einschließlich Honoraren für freie Mitarbeiter (28.000 Euro). Derzeit arbeiten im Sender 4 feste MitarbeiterInnen (Michael Diers, Katharina Guleikoff, Sebastian Schulze und Wolle Willig), 6 VolontärInnen, 2 Verwaltungsleute und 1 Techniker. Dazu kommen 30 freie MitarbeiterInnen und nochmals 30 Ehrenamtliche, die nach entsprechender Einarbeitung den Bürgerfunk im eigentlichen Sinne machen. Lässt sich da noch etwas sparen bei mehr als 100 Sendestunden pro Woche, mit Qualitätsanspruch? „Durch Änderungen in der Programmstruktur kann es sein, dass wir im personellen Bereich was frei bekommen“, äußert sich Schmitz vorsichtig. Doch die Festangestellten bilden den roten Faden, ohne den alle anderen nicht vernünftig arbeiten können. Michael Diers betont, dass in den 12 Jahren seit Gründung von Radio Jade 15 Leute ausgebildet wurden, die es „zu was gebracht haben“, wie z. B. Carola Schaede, die mittlerweile eine erfrischende Präsenz im NDR-Fernsehen hat. „Und wir waren der erste Bürgerfunk überhaupt, der ausgebildet hat“ (in Niedersachsen gibt es 15 von der Landesmedienanstalt anerkannte regionale Bürger-Sender). Er ist enttäuscht, dass die Stadt Wilhelmshaven nicht wahrnimmt oder zumindest nicht honoriert, dass hier jungen BürgerInnen attraktive Ausbildungschancen offen stehen. Diers wie Schmitz zeigen sich nicht glücklich mit der Situation, dass das Personal unter Tarif bezahlt wird und gleichzeitig weit über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus ackert. „Als Journalisten setzen wir uns für Mindestlöhne ein und sind selbst unterbezahlt“, stellt Diers fest. Nicht jede/r ist bereit, diese kollektive Selbstausbeutung auf Dauer zu tragen. So beklagte auch Redakteur Sebastian Schulze gegenüber der Mitgliederversammlung die hohe Arbeitsbelastung der Redakteure und Volontäre bei geringer Honorierung der Arbeit.

Radio-Überleben um jeden Preis? Radio Jade entstand Anfang der 1990er Jahre aus dem Piratensender „Radio Überleben“, gegründet aus Kreisen der Belegschaft des damals vor der Schließung stehenden Olympia-Werkes. Die Hoffnung, dass die non-konformistische Berichterstattung von „Radio Überleben“ auch die Arbeit des legalen Nachfolgers prägen würde, hat sich auf Dauer nicht erfüllt. Es gab erfreuliche Highlights wie die Sondersendung zum WPG-Skandal, in der Birgit Puvogel und Michael Diers gegenüber den Verantwortlichen der Stadt kein Blatt vor den Mund nahmen (GW 168 v. Mai 2001), ganz im Sinne des damaligen Chefredakteurs Rüdiger Schaarschmidt („Transparenz ist ein Fremdwort für die herrschende Politik“). Oder die Ganztagsreportage über die Nazi-Demo vom März 2004, mit Wolle Willig inmitten des Geschehens. In der Reichweitenstudie des niedersächsischen Bürgerrundfunks 2006 schneidet Radio Jade immer noch gut ab, positioniert im oberen Mittelfeld zwischen Dudelfunk und Kulturradio, mit immer 6,6% Stammhörern. Aber viele, die auf regelmäßiges Kontra zum herrschenden Meinungsmonopol der Region gehofft haben, schalten enttäuscht ab. Gewiss, die Rahmenbedingungen sind schwierig. Wenn man z. B. Tralala-Veranstaltungen organisieren und moderieren muss, um das Geld reinzukriegen für den eigentlichen Sendebetrieb. Und wir wissen selbst, was es bedeutet, ehrenamtlich neben beruflichen und sonstigen Verpflichtungen regelmäßig GEGENWIND zu machen und dabei dem hohen Anspruch unserer LeserInnen an sorgfältige Recherche und ausreichende Informationstiefe zu genügen Im Interesse der Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten steht außer Diskussion, dass Radio Jade erhalten bleiben muss. Aber bei den angedachten Finanzierungsperspektiven sollte der Vorstand sehr gut aufpassen, dass er der Redaktion keine Laus in den Pelz holt, die den ursprünglichen Sinn des Bürgerfunks – eine unabhängige und bereichernde Berichterstattung – ad absurdum führt.

Imke Zwoch

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