Gössner in Wilhelmshaven
Dez 122007
 

In schlechter Verfassung

Fehlen Ihnen noch Weihnachtsgeschenke? Wie wäre es mit einer schicken Aluminiumhülle für die neuen Personaldokumente? Neben biometrischen Daten tragen diese auch Chips, die sich per Funk (Radio Frequency Identification – RFID (Näheres unter www.foebud.org )) auslesen lassen. Mit der abschirmenden Hülle können Sie Ihre Lieben davor schützen, unbemerkt von staatlichen oder anderen Überwachungsorganen ausspioniert zu werden. Solche Chips finden sich zunehmend auch in Kunden- oder Eintrittskarten.

Dies ist nur ein Bruchteil der Palette von Eingriffen in die Grundrechte, die Verfassungsrechtler Rolf Gössner Mitte November in Wilhelmshaven vorstellte. Die meisten davon sind bekannt, werden jedoch ohne breiten Widerstand achselzuckend von der Bevölkerung hingenommen. „Kollateralschäden an der Heimatfront“ nennt der wortgewandte Jurist und Publizist die vielen Bausteine, die vor allem seit dem 11.9.2001 unter dem Vorwand der nationalen und internationalen Terrorismusbekämpfung das Fundament des freiheitlichen Staates erdrücken. Auf der Strecke bleiben dabei Verfassungsgrundsätze wie die Unschuldsvermutung, die einem Generalverdacht geopfert wird. Der trifft vor allem MigrantInnen, insbesondere Muslime, aber eigentlich jede/n. Geheimdienste erhalten neue Befugnisse. Staatliche „Trojaner“ sollen Computer ausspionieren. Die Fußball-WM 2006 gab Bestrebungen zur Entwicklung des gläsernen Bürgers weiteren Auftrieb. Unter dem Stichwort „personeller Sabotageschutz“ wurden Beschäftigte in öffentlichen Einrichtungen wie Bahn oder Post besonders observiert. Anonymen Denunziationen sind Tür und Tor geöffnet. Die „innere Sicherheit“ wird militarisiert – siehe Einsatz von Militärflugzeugen beim G8-Gipfel. Minister Jung will zivile Passagiermaschinen mit abschießen lassen, wenn sich Terroristen an Bord befinden könnten. Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist längst an der Tagesordnung wie auch die Speicherung des Stimmabdrucks von AsylbewerberInnen. „Personendossiers des Verfassungsschutzes lesen sich wie Stasi-Dokumente“. Auf jeden Terrorverdacht folgen neue „Denkanschläge“ von Innenminister Wolfgang Schäuble. „Zivilisatorische Grundwerte, die den Rechts- vom Unrechtsstaat unterscheiden, werden ausgehöhlt“, so Gössner, dem sich damit zwei zentrale Fragen stellen: Welche politischen und ökonomischen Interessen verbergen sich dahinter? Und warum gibt es so wenig Gegenwehr und Widerspruch, wo sich noch in den 1980er Jahren Hunderttausende gegen die Volkszählung auflehnten?
Am 9.11.2007 hat der Bundestag (gegen die Stimmen von Grünen, Linken und FDP) das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in der Telekommunikation beschlossen. Ab 2008 soll nachvollziehbar werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Anonymisierungsdienste sollen verboten werden. „Die zwangsweise Totalprotokollierung unserer Telekommunikation ist ein eklatanter Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“, so die Initiatoren einer Sammelverfassungsbeschwerde, an der sich jede/r beteiligen kann, ohne dass den Einzelnen Gerichtskosten entstehen. Einsendeschluss ist der 24.12.2007. Nähere Informationen und Teilnahme unter www.vorratsdatenspeicherung.de  (iz)

Buchtipp: Gössner, Rolf: Menschenrechte in Zeiten des Terrors.

Kollateralschäden an der Heimatfront. Konkret Literatur Verlag.

ISBN 978-3-89458-252-4. 17,- Euro

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