Kommunen unter Druck
Jan 312008
 

Hase und Igel

Neue Kraftwerke: Energiekonzerne setzen Kommunen unter Druck

(iz) Mit einem Höllentempo versucht die Stadt, die planerischen Voraussetzungen für das Electrabel-Kohlekraftwerk zu schaffen. Dahinter stecken unternehmerische Interessen der Betreiber. Durch zeitliche und formale Hürden werden die Chancen der Bürgerbeteiligung drastisch reduziert.


Stromkonzerne wie Electrabel müssen bei verschiedenen rechtlichen Vorgaben die Nase vorn haben, um ihre Gewinne zu maximieren. Dazu benötigen sie auch die Unterstützung von Behörden und Politik an geplanten Kraftwerksstandorten. Die lassen sich in der Hoffnung auf Arbeitsplätze und Steuereinnahmen von der Hektik anstecken.

Standortkonkurrenz als Unternehmensstrategie

Electrabel plant, in Norddeutschland zwei Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von jeweils 800 Megawatt zu errichten. In der engeren Wahl sind drei Standorte, die dem Betreiber aufgrund ihrer Lage und Infrastruktur besonders geeignet erscheinen: Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven. Alle drei liegen direkt am Wasser (Elbe bzw. Jadebusen), wodurch auf einen Kühlturm verzichtet werden kann.
Zwei Kraftwerke, drei Standorte – hier gilt also: Wer zuerst kommt, mahlt bzw. qualmt zuerst. Zwei Kommunen, die am besten im Sinne des Betreibers funktionieren, kriegen ein Kraftwerk, und eine geht leer aus. Für Stade wurde der Genehmigungsantrag nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) am 22.10.2007 beim Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg eingereicht, für Wilhelmshaven 13.11.2007 beim Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg (öffentliche Auslegung der Genehmigungsunterlagen bis zum 28.01.2008). Für Brunsbüttel soll der Antrag in Kürze eingereicht werden. Der Schweizer Konzern BKW / Advanced Power fährt eine ähnliche Strategie – ein Kraftwerk, zwei Standorte (Dörpen und Unterweser).
Zusätzlich waren in Wilhelmshaven eine Änderung des Flächennutzungsplans und ein Bebauungsplan erforderlich. Dieses Verfahren wurde in Rekordzeit durchgepeitscht. Am 11.1.2008 war Einsendeschluss für Einwendungen gegen diese Pläne, und diese waren zahl- und umfangreich. Eigentlich so gut wie unmöglich, sie bis zum Ratsbeschluss am 30.1. alle zu sichten und der gesetzlich vorgeschriebenen Abwägung verschiedener Interessen zu unterziehen. Inzwischen wurde die Ratssitzung auf den 6.2. verschoben. Ohne deren abschließendes Ergebnis zu kennen, kündigten CDU und FDP im Rat sogar bereits am 23.1. an, den Plänen zuzustimmen.

Lieferfristen

Damit ist der Weg aber noch nicht frei: Bis zum 11.2.2008 können Einwendungen nach dem BImSchG beim Gewerbeaufsichtsamt (GAA) Oldenburg eingereicht werden, der Erörterungstermin dafür ist erst am 4.3.2008. Trotzdem möchte Electrabel schon vorab das Baugelände freimachen, sprich roden. Diese vorzeitige Freimachung des Baufeldes ist Teil des Antrags an das GAA, gleichzeitig hat aber die Niedersachsen Ports als Grundstückseigentümer einen Rodungsantrag an die Stadt Wilhelmshaven gestellt. Der Grund: Der Anlagenhersteller Hitachi verlangt von Electrabel eine “final notice to proceed” (sinngemäß: abschließende Bestätigung des Fortgangs), sonst werden andere Anlagenbesteller bei der Lieferung bevorzugt. Kann die Rodung nicht bis März erfolgen, ist sie erst nach der Vegetationszeit, ab Oktober, wieder möglich, und das würde Liefervereinbarungen zwischen Electrabel und Hitachi durcheinanderbringen.

Netzzugang

Ein weiterer Grund für die Hektik ist die sogenannte Kraftwerksnetzanschlussverordnung. Kraftwerke, die bis zum 31. Dezember 2012 in Betrieb gehen, erhalten im Falle von Netzengpässen einen bevorrechtigten Netzzugang. Das neue Kohlekraftwerk in Wilhelmshaven soll laut Antrag 2011 in Betrieb genommen werden. Jede Verzögerung bringt also diesen unternehmerischen Vorteil in Gefahr.

Emissionszertifikate

Schließlich setzen auch die Emissionszertifikate die Energiekonzerne unter Druck. Diese Zertifikate (Währung “Recht zur Emission von einer Tonne Kohlendioxid”) werden kostenlos durch die Bundesregierung an die Anlagenbetreiber verteilt. Allerdings stehen jährlich nur 495 Millionen Tonnen Zertifikate zur Verfügung. Diese Menge entspricht der Minderungsverpflichtung, die Deutschland im Kyoto-Protokoll eingegangen ist. Aktuell emittieren die vom Emissionshandel betroffenen Anlagen 509 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Damit sind also weniger Zertifikate verfügbar als Emissionen vorhanden. Zudem sieht die Bundesregierung eine stufenweise Senkung des CO2-Ausstoßes vor (bis 2012 Abbau um 21 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990). Damit dieses Ziel tatsächlich erreicht werden kann, wird der Staat immer weniger Zertifikate zuteilen. Es gilt das Reise-nach-Jerusalem-Prinzip. Die Unternehmen müssen immer wieder neue Investitionen tätigen und entweder ihre Anlagen modernisieren oder zusätzliche Zertifikate kaufen.

Unternehmensinteresse als Gemeinwohl

Die Rodung größerer Waldbestände, die in diesem Fall auch besonders geschützte Arten beherbergen, ist nach Wald- und Naturschutzgesetzen nur möglich, wenn Gründe des Gemeinwohls die ökologischen Schutzinteressen überwiegen. Ob diese vorliegen, ist fraglich. Denn das geplante Kraftwerk – ohne Kraft-Wärme-Kopplung – entspricht nicht dem Stand der Technik, um im Sinne der Klimaschutzziele der Bundesregierung die Energie bestmöglich zu nutzen. Und, wie oben dargelegt: Dass etwa 33 Hektar Wald womöglich schon in wenigen Tagen, vor Abschluss aller Genehmigungsverfahren, abgeholzt werden sollen, entspricht dem unternehmerischen und nicht dem allgemeinen Interesse.

Vorauseilender Ungehorsam

Die vorgenannten Rahmenbedingungen erklären die Hektik, mit der hier die Planungen vorangetrieben werden. Sie entschuldigen aber nicht die unhöflichen Umgangsformen, die einige Ratsmitglieder und insbesondere Oberbürgermeister Menzel gegenüber kritischen BürgerInnen an den Tag legen.
Zur Unternehmensstrategie von Electrabel selbst gehört auch ein professioneller, d. h. sachlicher und höflicher Umgang mit Kritikern vor Ort, um den Weg für die Ansiedlung zu ebnen: Verhandeln statt “Plattmachen”. Das ist in diesem Fall keine Frage humanistischer Weltanschauung, sondern unternehmerischer Klugheit.
Im saarländischen Ensdorf sprach sich die Mehrheit der BürgerInnen gegen die Ansiedlung eines Kohlekraftwerkes aus, wie auch die Delegiertenversammlung des Saarländischen Ärzteverbandes. Der Betreiber (in diesem Fall die RWE) zog seine Planungen daraufhin zurück. In Dörpen wurden dem Landrat Mitte Januar über 11.000 Unterschriften für eine Bürgerbefragung übergeben.
In Wilhelmshaven wurde eine solche Bürgerbefragung frühzeitig von der Stadt ausgehebelt. Dabei hätte es sich angeboten, diese kurzfristig und kostengünstig zusammen mit der Landtagswahl am 27.1. durchzuführen. Vielleicht hätte sich dabei sogar eine Mehrheit für den Kraftwerksbau ergeben – auch das hatten die Initiatoren einkalkuliert, die nichts weiter wollten als eine demokratische Entscheidung an der Basis.
Im Partnerschaftsvertrag zwischen Stadt und Electrabel, der auch eine gemeinsame Kommunikationsstrategie einschließt, ist von einem verbalen Krieg gegen Kritiker nicht die Rede. Insofern ist das, was die städtischen Spitzen derzeit inszenieren, wohl als vorauseilender Ungehorsam gegenüber dem Vertragspartner zu bezeichnen.

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