Kohlekraftwerke
Mrz 052008
 

Mekka am Meer

Nun ist es endlich raus: Wilhelmshaven wird Standort für drei Kohlekraftwerke

(iz/hk) Monatelang stritten sich Stadt und Kraftwerksgegner um die Zahl der konkreten Kraftwerksplanungen. Aus dem Rathaus hagelte es Vorwürfe wegen angeblicher Panikmache. Doch auf der Informationsveranstaltung der E.on bestätigten Mitarbeiter des Konzerns jetzt die Befürchtung besorgter BürgerInnen, dass mindestens drei Dreckschleudern parallel in Betrieb sein werden.


Über hundert Interessierte kamen zur Infoveranstaltung in die Stadthalle. Auf dem Podium saßen neben führenden Mitarbeitern der E.on auch OB Menzel sowie der Arbeitsmediziner Lichtnecker von der Uni Düsseldorf, der bereits auf der Debatte zur Ärzteinitiative unangenehm aufgefallen war. Als Moderator stellte sich Michael Diers (Redakteur bei Radio Jade) zur Verfügung.
Nachdem der Rat der Stadt kurz zuvor (bei 8 Gegenstimmen) die Bauleitplanung für das Electrabel-Kraftwerk durchgewunken hatte, zeigte sich der OB in seinem „Impulsreferat“ bereits sicher, dass es auch für das E.on-Kraftwerk „Mehrheiten im Rat“ geben wird. Mit einem solchen „Impuls“ kann man sich eine „offene“ Diskussion gleich schenken und alle hätten nach Hause gehen können, aber das Drehbuch wurde durchgezogen. Menzel lobte erneut das bestehende, 32 Jahre alte E.on-Kraftwerk als „Pionier der Rauchgasentschwefelung“, das „in die industrielle Situation der Stadt“ passe. Wenigstens räumte er ein, dass die drohende Energielücke, die am gleichen Tag von der IHK in der Presse beschworen wurde, vor allem die Industrie betrifft. Der OB ist sich sicher, dass Luftqualität, Klima und Jadebusen durch die Kraftwerke nicht beeinträchtigt würden. Die „Nachbarn im Friesischen“ (die um ihre Anerkennung als Luftkurorte und Tausende Arbeitsplätze im Tourismus fürchten und dies verstärkt zum Ausdruck bringen) bat er „um eine Diskussion, aber nicht so wie in den letzten Tagen“, statt dessen sollten sie „die geringe zunehmende Belastung mittragen“.
Dr. Holger Bräuer, Leiter des vorhandenen E.on-Kraftwerks, nannte Kennzahlen des bestehenden Kraftwerkes (s. Tabelle) und schwärmte von der Vorreiterrolle in Sachen Luftreinhaltung. 1977 sei hier die erste großtechnische Rauchgasentschwefelungsanlage weltweit in Betrieb genommen worden (wie oft die zwischendurch abgeschaltet wurde, steht auf einem anderen Blatt). 1997 und 2007 wurde in die Turbinen investiert, um die Effizienz zu steigern.

Kraftwerk bleibt am Netz

Und hier löste sich eine lang gestellte Gretchenfrage: Wird das alte E.on-Kraftwerk nun abgeschaltet oder nicht? NEIN, wird es nicht, betonte Herr Andreas Willrodt, Leiter des neuen Kraftwerkprojektes: „Das alte Kraftwerk wird weiterlaufen, es gibt keinen Stilllegungstermin, es befindet sich in einem hervorragenden technischen Zustand.“ Klar, der Konzern wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, den teilrestaurierten Oldtimer zu verschrotten, solange sich noch Profit daraus quetschen lässt. Nach der „married order“ würden dann je nach Strombedarf die effizientesten Anlagen zuerst angefahren und ältere erst bei erhöhtem Bedarf als Reserve dazugeschaltet.
Der zweite Teil von Willrodts „Kernbotschaft“ lautete: „Wir werden das modernste Kohlekraftwerk der Welt bauen“, ein so genanntes „50plus“, d. h. mit knapp über 50% Energieeffizienz. Mehr ist nicht drin, begründete Willrodt mit einem kleinen Ausflug zu den Thesen des Physikers Sadi Carnot bzw. dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Die Werkstoffe müssen einer Dampftemperatur von 700 Grad und einem Druck von 350 bar standhalten. Das sogenannte ALOI (Nickel-Legierung), durch das die Frischdampfleitungen solche Temperaturen aushalten, soll fünfmal so teuer sein wie herkömmliche Werkstoffe. Willrodt nannte zum Vergleich durchschnittliche Wirkungsgrade von Kohlekraftwerken weltweit: China / Russland 23%, Welt 30, USA 35, Europa 36, Deutschland 38.
Wilhelmshaven würde somit zum „Mekka der Kraftwerkstechnik“, und man rechne mit vielen Besuchern aus aller Welt, die kommen und staunen.

Kraftwärmekopplung und CO2-Speicherung: ungelegte Eier

Die theoretische Möglichkeit, die Abgabe von Abwärme und CO2 zu reduzieren, scheint auf den ersten Blick bestechend. Aus Willrodts Ausführungen ging jedoch hervor, dass mit der Umsetzung nicht sicher zu rechnen ist: Die Nutzung der Abwärme durch benachbarte Industriebetriebe (z. B. das geplante Flüssiggasterminal) ist gar nicht so konkret, wie es bei den ersten Ankündigungen den Anschein hatte, sondern werde „geprüft“. Und hinsichtlich CO2-Abscheidung werde das neue Kraftwerk „CCS-ready“ (Carbon Dioxide Capture and Storage = Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung) bzw. kurz „capture ready“. Das bedeutet nur, dass der Kraftwerksneubau für nachträgliche Installationen zur Abscheidung vorbereitet ist. Diese Begriffe sind allerdings derzeit nicht gesetzlich geschützt oder auch nur genau definiert. Für die Abscheidung wird etwa nochmal die gleiche Fläche gebraucht wie für das eigentliche Kraftwerk, sie sollte also schon beim Neubau vorhanden und für die Nutzung freigegeben sein. Ein Kraftwerksneubau ohne diese Flächen kann im Zuge der Genehmigung auf keinen Fall geltend machen, „CCS-ready“ zu sein. Und wie eine sichere Speicherung vonstatten gehen soll, ohne dass das Gas mit zeitlicher Verzögerung doch wieder in die Atmosphäre entweicht, steht in den Sternen.

Standortentscheidung

Michael Diers wollte wissen, warum E.on sich ausgerechnet für Wilhelmshaven entschieden habe. E.on nannte verschiedene Faktoren. Neben der Anbindung für Transporte und Kühlwasser seien auch verfügbares Personal und die Akzeptanz vor Ort entscheidend: „50% der Faktoren müssen immer stimmen“. „Soziologie und Psychologie“ seien wichtige Faktoren. Im Rathaus stimmt – aus Sicht des Konzerns – die Akzeptanz, in der Bevölkerung habe man „Stakeholder“ (Anspruchsträger, -gruppen) „identifiziert“, über ein moderiertes „Kraftwerksforum“ wolle man mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen.
Der anwesende Teil der Bevölkerung hatte nun viele Fragen. Zum Beispiel, wo die Kohle herkommt und ob mit einer kompletten Produktlinienanalyse zu rechnen sei, die einschließt, wo und unter welchen Bedingungen die Kohle gefördert und mit welchem Aufwand sie hertransportiert wird, bis hin zum Verbleib der Abfälle. Hier wurden die Antworten der Konzernmitarbeiter etwas dünne. Die Kohle käme aus Australien, Polen, Südafrika, Kolumbien und Russland – in welchen Anteilen, wisse man jetzt noch nicht, das würde der Markt / Preis entscheiden. Mit den Arbeitsbedingungen der Bergarbeiter dort hat man sich offensichtlich nicht befasst. Der Transport über Schiffe sei „sehr preiswert“. Das war aber gar nicht die Frage. Interessant wäre zu wissen, ob der Transport deshalb so preiswert ist, weil eine Mannschaft von den Philippinen zu Hungerheuer auf dem Schiff arbeitet, oder weil auf Schiffen immer noch Kraftstoffe verbrannt werden wie z. B. Schweröle, die an Land gar nicht mehr zulässig sind. Die aktuelle Diskussion um den hohen Anteil an Luftverschmutzung durch Schiffsverkehre ist bei E.on wohl noch nicht angekommen.
Eine andere Frage zielte auf die angeblich drohende „Stromlücke“, mit der die Neubauten fossil gespeister Kraftwerke vorangetrieben werden. Die prognostizierten 10 – 15% seien auch durch Energieeinsparung aufzufangen. „Stromsparen ist sinnvoll“, pflichtete E.on bei, doch bisher sei eine weitere Zunahme des Verbrauchs erkennbar. Eine klare Aussage gab es zumindest zur Frage, inwiefern der Wirkungsgrad der Kraftwerke durch CO2-Abscheidung gemindert würde: „Je nach Verfahren auf 40%“. Das klingt weder ökonomisch noch ökologisch vielversprechend. Und zur Frage der möglichen Kraftwärmekopplung: Theoretisch könnte die DFTG mit ihrem geplanten Flüssiggas-Terminal 200 MW Abwärme abnehmen, die dann nicht mehr in den Jadebusen abgeführt werden müssten. Menzel wies in diesem Zusammenhang auf ein 23 Jahre altes Gutachten hin („GUIK“), in dem einmal die Fernwärmeversorgung für Wilhelmshavener Haushalte aus dem Kraftwerk geprüft worden war und das seitdem in der Schublade liegt. 300 bis 500 Mio Euro würde solch ein Fernwärmenetz kosten. „Ich möchte das nicht gegenüber den Wilhelmshavenern verkünden müssen“, ließ Menzel vom Podium verlauten. Auf die Idee, das solche Kosten natürlich von den Energiekonzernen zu übernehmen seien, kommt unser „lobbyistischer“ Oberbürgermeister erst gar nicht. Schließlich machen die Energiekonzerne seit vielen Jahren Milliardengewinne – im Jahre 2007 haben die 4 Energieriesen E.on, Vattenfall, RWE und EnBW zusammen ca. 18 Milliarden Euro Gewinne erzielt (da sind die Managergehälter bereits abgezogen); allein E.on machte 2006 einen Gewinn von 7,3 Milliarden Euro. Der Ausbau von Fernwärmenetzen dürfte da schon noch möglich sein; ‚unsere’ Politiker müssen es nur fordern!. [Leprich: „Die vier großen deutschen Energieunternehmen unter der Lupe“, Studie im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen]

Bis der Arzt kommt

Der eigens aus Erkrath (wo gerade eine BI gegen den Bau einer Leitung kämpft, mit der die Bayer AG hochgiftiges Kohlenmonoxid durch dicht besiedelte Wohngebiete schicken will) eingeflogene Dr. Lichtnecker musste nun auch noch zu Wort kommen, um zu erklären, dass die Kraftwerksemissionen völlig ungefährlich seien: „Staub macht nicht krank.“ Nur (?) zehn Zigaretten im Wohnzimmer oder gar im Auto geraucht würden die Luft mit dem Vielfachen des Referenzwertes belasten, der für Kraftwerke gilt. Der Staub aus Kohlekraftwerken würde sich weiträumig verteilen und deshalb keine zusätzliche Belastung bringen. Zudem sei unsere Lunge in der Lage, eingeatmeten Staub wieder von sich zu geben, sonst „könnte man uns schon als Säuglinge in Kraftwerken verfeuern“. Doch der Mann aus dem Bergischen glänzte nicht nur mit einem Sarkasmus, der eher Stefan Raab als einem seriösen Mediziner zuzutrauen wäre, er widersprach sogar einem hiesigen Meeresbiologen, der sich intensiv mit der Schadstoffbelastung von Muscheln und anderen Meerestieren befasst hat und sich besorgt über den Quecksilberausstoß des Kraftwerkes zeigte. Quecksilber, so Lichtnecker, sei zwar hochgiftig, aber man müsse sich schon „am Schornstein anketten“, ehe Sorge um die Gesundheit angebracht sei – die Aufnahme des Schwermetalls aus Nahrungsmitteln und insbesondere Fisch sei viel erheblicher. Eben!
Zudem, so Lichtnecker, hänge die Giftigkeit des Quecksilbers von der chemischen Verbindung ab, in der es vorliegt. Ein hiesiger Arzt wies in diesem Zusammenhang auf methyliertes Quecksilber hin, das sich in bakterienreichem Wasser bilden kann. Lichtnecker räumte ein, dies sei „theoretisch möglich“ und damit auch die Anreicherung in der Nahrungskette (Fische), aber das sei „etwas Natürliches“. Die Menschen hier an der Küste, die viel Fisch und Meeresfrüchte verzehren oder von deren Fang und Verkauf leben, verstehen unter Natur vermutlich etwas anderes.

Auf Schmusekurs
Abgesehen von der Kohle lässt die E.on nichts anbrennen. Noch gründlicher als die Electrabel versucht sie, die BürgerInnen für ihre Interessen zu gewinnen. Electrabel beließ es bei einem freundlichen Brief an verschiedene Gruppierungen, der mögliche Kontrahenten auf einen freundschaftlichen Dialog einschwören sollte. E.on hingegen hat schon im Vorfeld das Institut IFOK eingespannt, um die Debatte professionell zu moderieren. IFOK nahm direkt Kontakt u. a. zur BUND Kreisgruppe Wilhelmshaven auf und gab sich darin als neutraler Moderator, der nicht die Interessen von e.on vertritt.
Das Bensheimer „Unternehmen für Organisationskommunikation“ hat schon mehrfach u. a. für Energieunternehmen wie E.on, ENWB und Vattenfall gearbeitet. So hat IFOK auch für das geplante Kraftwerk Staudinger (Großkrotzenburg) ein sogenanntes Kraftwerksforum ins Leben gerufen. Die dortige Bürgerinitiative hat deutliche Zweifel an der angeblich ‘neutralen Rolle’ des Moderators IFOK. Das Unternehmen, so ein BI-Sprecher, werde von E.on bezahlt und entpuppe sich immer mehr als Hoflieferant des Energiekonzerns. Vehement wird von Seiten der Bürgerinitiative auch die Homepage des Kraftwerkforums kritisiert, die IFOK kürzlich ins Internet gestellt hat. “Die Gestaltung dieser Seite ist ein Skandal. Auf der Startseite des Kraftwerkforums Staudinger sind Fotos zu sehen, die dem Betrachter suggerieren sollen, dass das Klimakiller-Kraftwerk zum integralen Bestandteil einer idyllischen Landschaft gehört.” Die Kritik wirkt umso schwerer, da IFOK keinen Auftrag aus dem Forum heraus erhalten habe, eine Homepage zu erstellen und diese online zu schalten. Insgesamt hat es bisher keine Annäherung zwischen den Hauptkontrahenten gegeben. Darüber können auch nicht die nach BI-Meinung wohlformulierten, aber substantiell wenig ergiebigen Pressemitteilungen aus der IFOK-Feder hinwegtäuschen. Die Fronten zwischen der Bürgerinitiative Stopp Staudinger und E.on verhärten sich immer mehr. “E.on hat es jetzt in der Hand, zu zeigen, ob man den Slogan `Willkommen zum Dialog` ernst meint. Daher gehört jetzt endlich eine gewichtige Portion Verhandlungsmasse auf den Tisch gelegt, oder wir verlassen das Kraftwerkforum.”
Vattenfall geht deutlich agressiver zu Werke: Im Braunkohle-Abbaugebiet in der Lausitz tourt ein „Klimaschutz-Bus“ des Konzerns durch die Schulen, wo eigens geschulte Konzernmitarbeiter Unterricht erteilen. Ein Skandal, dass die Schulbehörden diese Eigenwerbung zulassen. „Wer Vattenfall zum Thema Klimaschutz dozieren lässt, kann auch gleich einen Bankräuber über Wirtschaftswissenschaften unterrichten lassen“, so ein Sprecher von Greenpeace. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht in dieser Lobbyarbeit eine klare Grenzüberschreitung.
Die RWE wiederum vergibt regelmäßig einen Klimaschutzpreis, den sie zusammen mit Kommunen auslobt. Je etwa 1000 Euro gibt es für Initiativen zur Verminderung von Lärm, Luftverunreinigung, Gewässerverunreinigung und Abwasserbelastung oder Zerstörung natürlichen Lebensraumes. Mit einem Griff in die Portokasse will der Konzern sich freikaufen, während jedes einzelne konventionelle Kraftwerk in großem Maßstab die vorgenannten Umweltbeeinträchtigungen nach sich zieht. Oft sind es Projekte, die auch ohne Zutun des Energieriesen stattgefunden hätte, der sich nun gegen einen vergleichsweise lächerlichen Obulus damit schmücken kann. Aufmerksame Akteure werden sich zukünftig nicht mehr vor den Karren der Konzerne spannen lassen, für die unsere natürliche Umwelt nur ein kostenloser Produktionsfaktor ist. (iz)

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