Sozialstaat finanzierbar
Jun 162009
 

Trotz Krise

„Der Sozialstaat ist finanzierbar“ – eine Veranstaltung der Arbeitsloseninitiative

(noa) Interessante Einblicke in unser Wirtschaftssystem gab es in der Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland am 9. Juni. Prof. Dr. Herbert Schui, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des Bundestages für DIE LINKE, sprach zum Thema „Der Sozialstaat ist finanzierbar – wie geht das?“

Herbert Schui

Prof. Dr. Herbert Schui, MdB Die Linke

Da aus Kreisen von CDU/CSU/SPD/FDP/GRÜNEN gerne mal behauptet wird, jetzt in der „Finanzkrise“ sei das mit dem Sozialstaat noch schwieriger geworden, fügte die ALI dem Thema noch den Zusatz „in der Krise“ hinzu.Die gegenwärtige Krise wurde zu Beginn und wird z.T. immer noch als Banken- oder Finanzkrise bezeichnet. Doch die waghalsigen Geldgeschäfte, mit denen sich die Banken zu rettungsbedürftigen Instituten gemacht haben, waren nicht die eigentliche Ursache der Krise, sie traten nur hinzu. Was wir momentan erleben, so erklärte Schui, ist eine „normale“ zyklische Krise, wie das kapitalistische Wirtschaftssystem sie regelmäßig ca. alle 10 Jahre hervorbringt.
Der Grund für das nachlassende Wachstum zwischen 1980 und 2006 besteht darin, das der Lohnanteil an der Nettowertschöpfung in der OECD gesunken ist (von 67 auf 57 %) – wenn Löhne sinken, geht die Nachfrage zurück. Wäre die Lohnquote heute so groß wie 1991, wären 110 Mrd. mehr in den Taschen der Verbraucher. Diese Summe entspricht 4,4 % des Bruttoinlandprodukts – das Geld hätte Beschäftigung gebracht.
Der Grund für Krisen in der kapitalistischen Wirtschaft ist die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich (der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit, um mit Karl Marx zu sprechen).
Ein anderer Aspekt: 1960 betrug die Steuerquote 20 %, heute beträgt sie 6,7 %. Hätten wir heute immer noch eine Steuerquote von 20 %, gäbe es 75 Mrd. Euro mehr für den Fiskus. 44 Mrd. Euro könnte der Finanzminister ins Staatssäckel schaufeln, hätten wir noch eine Unternehmenssteuer wie 1960. Weitere 12 Milliarden würde die Vermögenssteuer bringen. Und die 80 Mrd. Euro an hinterzogenen Gewinnsteuern würde dem Finanzminister ebenfalls gut zu Gesicht stehen.
Hier war Schui dann auch schon bei der Frage, wie der Sozialstaat finanzierbar ist. Kurz gesagt ist es schlicht eine Frage der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Die zyklischen Krisen der kapitalistischen Wirtschaft entstehen dadurch, dass die Löhne regelmäßig nicht mit dem Wirtschaftswachstum mitkommen. Das Mehrprodukt durch die stetige Steigerung der Produktivität wird größtenteils als Gewinn abgeschöpft und nicht den Beschäftigten in Form entsprechender Lohnzuwächse gegeben. Wenn die Löhne sinken, sinken auch die Renten (deren Höhe an die der Löhne gekoppelt ist) und das Arbeitslosengeld (dito). Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer.
Wenn nun ein Armer (oder weniger plakativ ausgedrückt: jemand, der nicht ganz so fürchterlich viel Geld hat) einen Zuwachs im Geldbeutel hat, gibt er das Geld aus. Lohnerhöhungen landen größtenteils im Konsum, fließen also in den Wirtschaftskreislauf zurück. Wenn ein richtig Reicher noch mehr Geld hat, fließt davon selten viel in den Kreislauf zurück, sondern wird angelegt, um noch mehr zu werden. Die Verteilung des Geldes sorgt also für die Vernichtung von Arbeitsplätzen.
Die große Koalition hat mehrfach die Steuern für Unternehmer gesenkt, und die FDP, gegenwärtig Oppositionspartei, fordert stereotyp immer wieder Steuersenkung. Sie verknüpfen ihr Tun bzw. ihre Forderung mit der Behauptung, wenn Unternehmer steuerlich entlastet würden, dann würden sie Arbeitsplätze schaffen. Die Wirklichkeit zeigt, dass das nicht zutrifft. Unternehmer investieren, wenn es sinnvoll ist, also wenn sie sich höhere Gewinne davon versprechen. Die gesparten Steuern werden also nicht investiert, sondern zwecks Vermehrung angelegt, und das Wachstum sinkt.
Die große Koalition hat außerdem immer wieder behauptet, durch Hartz IV habe es mehr Beschäftigung gegeben. Wenn man nur die Anzahl der Arbeitsplätze betrachtet, stimmt das sogar. Das Plus an Stellen entspricht aber tatsächlich nicht einem Plus an Beschäftigung. Dividiert man das Arbeitsvolumen (=die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden) durch die Anzahl der Beschäftigten, erhält man die durch den einzelnen Beschäftigten geleisteten Stunden, und die ist im Durchschnitt gesunken – die Zahl der Minijobber und unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten ist gestiegen, und die verdienen z.T. so wenig, dass sie aufstockende Hartz IV-Leistungen in Anspruch nehmen müssen.
Das Konjunkturpaket ist nicht geeignet, der Krise zu begegnen, sondern lediglich dazu, die Gewinne zu erhöhen, am Ende also die Krise zu verschärfen. Momentan gibt es einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 6 %. Ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes wird von der Industrie erbracht. Sie erwirtschaftete im 1. Quartal 2009 22 % weniger als im 1. Quartal 2008. Die Auftragsbücher der Industrie verzeichnen ein noch größeres Minus: 38% weniger in 1/09 als in 1/08. Daraus folgt, dass 2009/2010 ein Rückgang der Wirtschaftsleistung (und damit ein Rückgang der Beschäftigung) um 10 % zu erwarten ist. Bei derzeit 35 Mio. Beschäftigten wird das ein Plus von 3,5 Mio. Arbeitslosen; zusammen mit den vorhandenen Erwerbslosen werden wir dann eine Arbeitslosenquote von 20 % haben.
Um das zu verhindern, fordert Schui eine Konjunkturstützung in Höhe von 100 Mrd. Euro aus Staatsschulden und die gleichzeitige Einführung einer Millionärssteuer. „Von den Staatsschulden die Häuser, von den Steuern das Personal“ lautet seine Formel für den Einsatz des so aufgebrachten Geldes. Die Regierung argumentiert dagegen, dass durch diesen Anschub die Importe gestärkt würden, damit also nur dem Ausland ein Nutzen entstünde. Dass das nicht stimmt, wies Schui anhand der Zahlen nach: Zwei Drittel der deutschen Exporte gehen in EU-Länder – also würde sich der Anschub innerhalb der EU ausgleichen. Deutschland als bedeutendste Wirtschaftsmacht in der EU müsste damit den Anfang machen – stattdessen scheint Merkel sich durchwurschteln zu wollen: In anderen europäischen Ländern steigt der Druck (In Italien und Frankreich gibt es wesentlich mehr Widerstand als in Deutschland), dort werden die Menschen entsprechende Konjunkturankurbelungen durchsetzen, und Deutschland wird davon durch seine Exporte in diese Länder profitieren.
Fazit: Staatsschulden sind das einzige Mittel, um aus der Krise rauszukommen. Dann oben zu bleiben, ist eine Sache der Verteilungspolitik. Das sichert auch den Sozialstaat.

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