Spion & Spion
Mrz 152000
 

Guter Spion - Böser Spion

Veranstaltung mit Karl Gebauer und Rolf Gössner über Doppelagenten im geteilten Deutschland und die heutige Rolle der Geheimdienste

(iz / antifa) Zehn Jahre nach der „Wiedervereinigung“ sind die zwei deutschen Staaten noch längst nicht Geschichte. Über 100 ehemalige „böse“ DDR-Spione wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, während die „guten“ BRD-Agenten unbehelligt blieben und staatliche Geheimdienste wie der Verfassungsschutz noch heute, im Interesse von Wirtschaft und Politik, im Privatleben unbescholtener BürgerInnen herumkramen dürfen. Das Antifaschistische Bündnis Wilhelmshaven hat zwei Referenten eingeladen, um interessierte BürgerInnen über Hintergründe zu informieren.

Karl Gebauer, Jahrgang 1931, ist Sozialdemokrat, Pazifist und von der demokratischen Substanz des Grundgesetzes überzeugt. Als Sicherheitsbeauftragter der IBM Sondersysteme in Wilhelmshaven, die in den 70er Jahren im Cityhaus residierten, erhielt er Einsicht in Rüstungsvorhaben der Bundesmarine, die mit seinen Überzeugungen kollidierten. Das militärische Gleichgewicht zwischen Ost und West, Garant für den Frieden, schien Gebauer (und von ihm hinzugezogenen Experten) von westlicher Seite ernsthaft gefährdet. Deshalb entschloss er sich, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR in Kenntnis zu setzen. Über Jahre lieferte er 35.000 Blatt mit Informationen nach Ostberlin. Gleichzeitig arbeitete er im Rahmen seiner Tätigkeit bei IBM mit Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischem Abschirmdienst (MAD) zusammen, war also im klassischen Sinne Doppelagent.

 1981 war IBM abgewickelt, Gebauer arbeitslos und seine Akten bei den Auftraggebern geschlossen. Erst nach der Wiedervereinigung kamen die Stasi-Akten ans Licht, die – nach Verrat durch einen Überläufer – zur Verhaftung Gebauers und seiner ehemaligen Kollegen führten. Gebauer wurde zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Strafmildernd ist im Urteil aufgeführt, dass er nicht aus finanziellen Motiven handelte – außer Spesen erhielt er von Ostberlin kein Geld – sondern aus Überzeugung. Nach 6 Jahren wurde Gebauer auf Ersuchen eines Menschenrechtskommittees vom Bundespräsidenten begnadigt. 1999 veröffentlichte er sein Buch „Doppelagent“*: „Die Erinnerungen von Karl Gebauer geben nicht nur Einblick in das Leben eines Doppelagenten, in seine Gedankenwelt, sie informieren nicht nur über die Mechanismen, wie Geheimdienste in der Bundesrepublik (heute noch, Anm. d. Red.) arbeiten und ihre IM rekrutieren. Gebauers Autobiographie wirft vor allem die Frage auf, wie das geeinte Deutschland mit jenen Frauen und Männern umgehen soll, die durch ihren Einsatz verhinderten, dass von deutschem Boden erneut Krieg ausging. Wurde das Land verraten, wenn dadurch der Frieden gewonnen wurde?“

Nach den DDR-Stasi-Enthüllungen scheint die bundesdeutsche Staatssicherheits-Geschichte (und -realität) vollends der kollektiven Verdrängung anheimzufallen. (Gössner)

Dr. Rolf Gössner ist seit 1980 Rechtsanwalt, freier Publizist und Sachbuch-Autor in Bremen. Von 1985 bis 1988 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung (Projekt „Das Anti-Terror-System“). 1993 Promotion zum Dr. jur. an der Universität Bremen zum Thema „Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat“. Gössner ist Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren des Bundestags und von Landtagen, u. a. zum Stasi-Unterlagen-Gesetz, zu Verfassungsschutz- und Polizeigesetzen, zum „Großen Lauschangriff“. Mitwirkung als rechtspolitischer Berater an der Liberalisierung des Niedersächsischen Verfassungsschutz- und Polizeigesetzes. Redaktionsmitglied der geheimdienstkritischen Zeitschrift „geheim“ (Köln) und Mitherausgeber von „Ossietzky“ – Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft (Hannover).

Seit über einem Vierteljahrhundert steht Gössner unter Beobachtung des „Verfassungsschutzes“. Auf Grund seiner Erfahrungen und Erkenntnisse plädiert Gössner seit langem für die Abschaffung des Verfassungsschutzes (der lt. Tätigkeitsbericht 1998 allein in Niedersachsen jährlich über 20 Millionen DM verschlingt, Anm. d. Red.).

Im ersten Teil der Veranstaltung wird Karl Gebauer von seinen Erlebnissen und Erfahrungen als Doppelagent berichten. Angefragt als Co-Referent ist Flottenadmiral Elmar Schmähling, ehemaliger Chef des MAD, der im November 1998 in einem Zeitungsbeitrag die Frage stelle, „wieso es überhaupt notwendig und erlaubt sei, systematisch Informationen über Personen zu sammeln, auszuwerten, zu speichern und weiterzugeben. Was macht diese ‚Beobachtung‘ scheinbar so dringend, dass der deutsche Staat sich berechtigt glaubt, sogar in die Intimsphäre seiner BürgerInnen einbrechen zu dürfen?“ (zitiert aus Gebauer, Doppelagent“.) Im Anschluss wird Rolf Gössner dies aus juristischer Sicht kommentieren, mit aktuellem Bezug zur heutigen Tätigkeit der Geheimdienste.


Literatur

  • Karl Gebauer: Doppelagent. Edition ost, Berlin 1999. ISBN 3-932180-46-1. 39,80 DM
  • Rolf Gössner: Erste Rechts-Hilfe. Rechts- und Verhaltenstipps im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999

Veranstaltung: Doppelagent und doch auf der falschen Seite

Informations- und Diskussionsveranstaltung mit

Karl Gebauer (Jever)

und

Rolf Gössner (Bremen), Rechtsanwalt und Publizist

Mittwoch, 22. März 2000,

20 Uhr, Gewerkschaftshaus Kieler Str. 63

Veranstalter: Antifaschistisches Bündnis Wilhelmshaven

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