Gegenwind-Gespräch: Milia Hamadi
Jan 122000
 

Altfallentsorgung

Alteingesessene Wilhelmshavener Familie aus dem Libanon kämpft um ihre Aufenthaltsgenehmigung

(iz/bigaf) Seit November 1999 gilt für die Aufenthaltsbefugnis von AusländerInnen, die seit längerem in der Bundesrepublik sind, die neue „Altfallregelung“. Familie Hamadi, seit 1989 in Wilhelmshaven, erfüllt danach die Voraussetzungen, um auf weiterhin hier bleiben zu können. Die Erfahrungen mit den zuständigen Behörden schüren hingegen ihre Angst vor der Ausweisung. Der GEGENWIND sprach mit Milia Hamadi, die ihre Eltern und Geschwister gegenüber den Behörden vertritt.

Gegenwind: Frau Hamadi, wann und warum ist ihre Familie nach Deutschland gekommen?
Milia Hamadi: Wir kommen aus dem Südlibanon und sind damals vor dem Bürgerkrieg geflüchtet. Nachdem auch noch unser Haus zerstört wurde, beschlossen wir im Oktober 1989, nach Deutschland auszureisen.

Unter welchen Umständen?
Zunächst illegal, dann haben wir aber einen Asylantrag gestellt. Seit der zweiten Ablehnung haben wir einen Duldungsbescheid, der alle 3 Monate erneuert werden muss.

Wer gehört denn zur Familie?
Meine Eltern und meine Tante, mein ältester Bruder ist 28 , ich bin 22, mein kleiner Bruder ist 16. Meine beiden Schwestern sind verheiratet.

Und haben damit eine Aufenthaltsgenehmigung?
Ja, ihre Männer haben die Genehmigung bzw. die Staatsbürgerschaft, die dann auch auf die Ehefrauen über geht.

Eine Voraussetzung, um nach der neuen Regelung hier bleiben zu können, ist ein Arbeitsplatz, der den Lebensunterhalt sichert. Zumindest braucht man einen Nachweis, dass man sich darum bemüht hat. Wie sieht das in Ihrer Familie aus?
Mein Vater – im Libanon war er Elektriker – hat 1999 zweimal Arbeit gefunden: Einmal bei einem Fugunternehmen, im September in einem Lebensmittelgeschäft. Beide Stellen konnte er nicht antreten, weil er vom Arbeitsamt keine Arbeitserlaubnis bekam.
Ich selbst habe hier die IGS mit Fachabitur verlassen und dann an der BBS den Abschluss als Wirtschaftsfachgehilfin gemacht. Ein halbes Jahr war ich als Bürogehilfin bei einer Firma beschäftigt, die dann Konkurs ging.
Mein älterer Bruder hatte einen Job, bis ihm die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Er kann dort neu einsteigen, wenn die Erlaubnis wieder erteilt wird.

Noch mal
Beim Arbeitsamt ist für uns Herr Bedeker zuständig, bei der Ausländerbehörde Herr Hoffmann, der sagt, die Zuständigkeiten des Arbeitsamtes gingen ihn nichts an. Jeder wartet darauf, dass der andere ihn anruft. Dabei kann und will ich ja als „Botin“ die nötigen Informationen hin und her tragen.

Nach der neuen Regelung ist es ja zumindest wichtig, dass Sie die Zusagen über eine Anstellung nachweisen können.
Die beiden Zusagen für die Einstellung meines Vaters liegen schriftlich vor wie auch ein Schriftstück über den Konkurs meines ehemaligen Arbeitgebers. Auch die Ablehnung der Arbeitserlaubnis für meinen Vater habe ich bei der Ausländerbehörde vorgelegt, es hieß aber, die sei nicht wichtig.

Für Ihre Familie schon. Wie geht es Ihnen in dieser Situation?
Ich ertrage es nicht, den ganzen Tag hier zu Hause zu sitzen, vor allem, nachdem ich schon mal gearbeitet habe. Besonders deutlich wird es, wenn ich mit Freunden was unternehmen will, die selbst berufstätig sind. Gegenüber manchen Leuten schäme ich mich richtig, zu sagen, dass ich nur eine Duldung, aber keine Aufenthaltserlaubnis und keine Arbeit habe. Beim Arbeitsamt sagen sie: Ihr Pech, dass Sie nicht in eine Stadt mit einem besseren Arbeitsangebot gezogen sind. Man sagt ja, wer wirklich Arbeit will, kriegt auch welche …

Diesem urdeutschen Grundsatz würden wir uns nicht anschließen. Sie hätten ja durch Ihre gute Ausbildung noch Vorteile auf dem Arbeitsmarkt, aber in dem Sumpf aus behördlichen Widersprüchen, in dem sie sich befinden, nützt Ihnen das wenig. Was wären denn so ihre Träume bezüglich Ihres weiteren beruflichen Werdegangs?
Als ich mit 13 Jahren hierher kam, hatte ich große Ziele und Träume. Nachdem ich Schulabschluss und Fachabi in der Tasche hatte, hätte ich gerne studiert. Aber auch das ist ohne Aufenthalts- bzw. Arbeitserlaubnis nicht drin. Gern würde ich auch, mit der wirtschaftlichen Grundausbildung, im sozialen Bereich arbeiten. Meine Freunde sagen, ich könnte sehr gut zuhören und erklären und Menschen helfen.

Der Eindruck ist bestimmt nicht falsch. Welche Freunde und Kontakte haben Sie denn hier? Gibt es noch mehr libanesische Familien?
Es gibt schon einige Familien aus dem Libanon in Wilhelmshaven, aber zu denen haben wir nicht so viel Kontakt. Die Libanesen sind hier auch nicht – wie die Türken oder Spanier – in einem Verein organisiert. Meine Freunde sind vor allem Deutsche und auch Türken. Mein kleiner Bruder spielt Schach in einem Wilhelmshavener Verein. Wir Kinder sind hier groß geworden, hier ist unsere Heimat, hier sind unsere Freunde. Im Libanon müssten wir ein zweites Mal ganz von vorn anfangen.

Nach unserem Eindruck erfüllt Ihre Familie alle Kriterien, um nach der neuen Regelung eine Aufenthaltsbefugnis zu erhalten. Auch in Sachen Wohnraum…
… ja, wir haben hier eine 4-Zimmer-Wohnung, die bislang das Sozialamt bezahlt. Hätten wir Arbeit, könnten wir selbst, zumindest entsprechend unserem Einkommen, dafür aufkommen…

… und Pässe müssen Sie auch haben.
Unsere Pässe sind damals auf der Flucht verloren gegangen. Vor einem Jahr haben wir bei der libanesischen Botschaft in Bonn neue Pässe beantragt. Das dauert dort aber ziemlich lange mit der Bearbeitung. Wir brauchen erst über Kontakte im Libanon Geburtsurkunden usw., auf die wir momentan warten, damit müssen wir dann nach Bonn fahren. Vor allem aber sagt die Botschaft, ohne Bestätigung der Ausländeramtes über eine Aufenthaltsbefugnis gibt es keine Pässe.

Siehe oben. Kein Pass, keine Aufenthaltsbefugnis. Keine Aufenthaltsbefugnis, kein Pass. Das klingt doch wie ein böser Witz.
Eine befreundete Familie hat Anfang Januar schon einen mündlichen Abschiebungsbescheid bekommen. Wir sind momentan sehr ängstlich und unsicher, was unsere nächste Zukunft betrifft.

Wir bedanken uns für das Gespräch.


Auszug aus der „Anordnung nach §32 des Ausländergesetzes zur Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen an Ausländerinnen und Ausländer mit langjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Altfallregelung)“ d. Nds. Innenministeriums:
2.1 Begünstigter Personenkreis
Asylbewerberfamilien und abgelehnte Vertriebenbewerber mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern erhalten eine Aufenthaltsbefugnis, wenn sie vor dem 1.7.1993 eingereist sind, seitdem ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland gefunden und sich in die hiesige wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingefügt haben. Dabei muss die Ausländerin oder der Ausländer mit mindestens einem minderjährigen Kind in häuslicher Gemeinschaft leben, das sich seit dem 1.7.93 oder seit seiner Geburt im Bundesgebiet aufhält.
In diese Regelung sind auch die während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik volljährig gewordenen Kinder einzubeziehen, die eine Ausbildung durchlaufen, die zu einem anerkannten Bildungs- bzw. Ausbildungsabschluss führt, oder die bereits beruflich integriert sind, vorausgesetzt, mind. ein Elternteil erhält auf der Grundlage dieser Regelung eine Aufenthaltsbefugnis.
Alleinstehende Personen und Ehepaare ohne Kinder erhalten unter den nachstehenden Voraussetzungen ebenfalls eine Aufenthaltsbefugnis, wenn sie vor dem 1.1.90 eingereist sind.
2.2 Voraussetzungen für die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen
Die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis setzt das Vorliegen folgender Integrationsbedingungen am 19.11.99 voraus:
a) Der Lebensunterhalt der Familie einschl. eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ist durch legale sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert.
Diese Voraussetzung ist auch als erfüllt anzusehen, wenn … ein legales sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bereits früher bestanden hat, Bemühungen um eine Beschäftigung nachgewiesen sind und am 19.11.99 ein Arbeitsvertrag oder eine verbindliche Zusage für ein Beschäftigungsverhältnis vorlag … und das Arbeitsverhältnis nur auf Grund des fehlenden Aufenthaltsrechts und der damit fehlenden Arbeitsgenehmigung nicht aufgenommen werden konnte.
b) Die Familie verfügt über ausreichenden Wohnraum.
c) Schulpflichtige Kinder erfüllen die Schulpflicht
d) Illegale Einreise und kurzzeitig illegaler Aufenthalt (bis zu 3 Monate) stehen der Aufenthaltbefugnis nicht entgegen.
f) Die Ausländerin bzw. der Ausländer muss im Besitz eines gültigen Passes sein. Die Passpflicht gilt auch dann als erfüllt, wenn die zu begünstigenden Personen ihren Mitwirkungspflichten nachweisbar nachgekommen sind, einen Pass aber noch nicht erhalten haben.
Die Aufenthaltsbefugnis wird für längstens 2 Jahre erteilt. Die Verlängerung setzt grundsätzlich das Vorliegen der oben genannten Integrationsbedingungen voraus. Unverschuldete Arbeitslosigkeit steht einer Verlängerung nicht entgegen, wenn und solange Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht.
Nach der vorstehenden Regelung ist ab sofort zu verfahren. Dabei ist sicherzustellen, dass spätestens zum 31.12.2000 über alle in Betracht kommenden Härtefälle abschließend entschieden worden ist.

(Kein) Kommentar
Wer die Aussagen im Interview mit den Anforderungen der neuen „Altfallregelung“ vergleicht, kann sich selbst ein Bild davon machen, ob Familie Hamadi die „Integrationsbedingungen“ erfüllt oder nicht. Mit Milia Hamadi haben die zuständigen Behörden eine Ansprechpartnerin, mit der es weder sprachliche noch inhaltliche Verständigungsprobleme geben kann. „Warum kann man Menschen nicht einfach als Menschen behandeln?“ fragt sie, nach fast zehnjährigem Behördenslalom in einem Land, das jetzt ihre Heimat ist. Wir schließen uns dem an und werden nicht nur hoffen, sondern auch überprüfen, ob die Behörden nun endlich in die Puschen kommen.

Imke Zwoch


Spielen und schreiben, damit sie bleiben
Wir schreiben, damit sie bleiben können – Familie Hamadi und andere, die vor Jahren Zuflucht in Deutschland suchten. Andere Unterstützung finden hilfebedürftige ausländische MitbürgerInnen in der Musik: „Wir spielen, damit sie bleiben“ heißt ein Soli-Konzert zugunsten der Familie Karametovic aus dem Kosovo, u. a. mit „Laway“ und ? am 14.1.2000 ab 20 Uhr im Pumpwerk. Wir hoffen, dass viele kommen, damit die, um die es geht, bleiben können.

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