Parteiausschluss
Mai 141999
 

Sozialdemokrat ohne Partei

Gegenwind-Gespräch mit Horst Simmersbach, Sozialdemokrat, z.Zt. parteilos

(ef/noa) Am 11. März fand das Parteiordnungsverfahren SPD-Bezirk Weser-Ems gegen Horst Simmersbach ein vorläufiges Ende. Wegen “einer schweren Schädigung der Partei in der Öffentlichkeit” trennte sich die SPD von ihrem Genossen. Simmersbach war zur Bundestagswahl im vergangenen Herbst als Einzelkandidat angetreten; seine Partei hatte ihm “jeglichen Wahlkampf insbesondere gegen unsere Genossin Gabriele Iwersen” verboten und schließlich das Parteiordnungsverfahren angestrengt.

SimmersbachGegenwind: Wie war es am 11. März?
Simmersbach: Ich war gar nicht da.

Warum nicht?
Ich wusste, wie es ausgehen würde, und auf dieser Ebene lohnt es sich nicht, anwesend zu sein. Die nächste Ebene ist wichtiger.

Was ist die nächste Ebene?
Die Bundesschiedskommission. Ich werde Berufung einlegen.

Wäre jetzt nicht erst mal die Landesschiedskommission dran?
In Fragen von entscheidender Bedeutung und bei schwerer Parteischädigung wird die wohl ausgelassen. In der Begründung des Spruches steht, die Schiedskommission sei der “Auffassung, dass dadurch für die Partei schwerer Schaden entstanden ist.” Mir geht es darum, dass festgestellt wird, ob ein Parteimitglied als Einzelkandidat antreten darf. Das will ich geklärt haben. Was im Zusammenhang mit meiner Kandidatur nebenbei gelaufen ist, ist eine andere Sache.

Worauf beziehen Sie sich damit?

In der Begründung des Spruches der Schiedskommission heißt es an einer Stelle: “Horst Simmersbach hielt seine Kandidatur als Einzelbewerber aufrecht…”; und an einer anderen Stelle: “Auch nach Abmahnung durch den Bezirk … hielt er seine Einzelbewerberkandidatur aufrecht.” D.h., der Bezirk ist davon ausgegangen, dass ich nach dem Verbot meine Kandidatur zurückziehen würde. Die müssten doch wissen, dass man das gar nicht kann. Man kann, wenn man gewählt ist, das Mandat ablehnen, doch eine Kandidatur kann man nicht zurücknehmen. Diese Bestimmung dient dazu, sicherzustellen, dass ein Kandidat nicht eingeschüchtert wird, also zu verhindern, dass das passiert, was man mit mir gemacht hat. Es ist ungesetzlich, einen Bundestagskandidaten aufzufordern, das zu unterlassen.
Außerdem sind im Zusammenhang mit meiner Kandidatur und dem Parteiordnungs- verfahren Sachen passiert, die ich als unerlaubte Eingriffe in ein schwebendes Verfahren werte. Ich konnte z.B. am 16. Februar in den “Ostfriesischen Nachrichten” den Termin der Verhandlung der Bezirksschiedskommission lesen, während die Ladung an mich als Antragsgegner erst am 22.2. verfasst wurde.

Haben sich auch Zeitungen in Ostfriesland mit dem “Fall Simmersbach” befasst?
Ja. Wir haben jetzt ja ähnliche Vorfälle in Ostfriesland. Einige SPD-Mitglieder dort sind wohl ein bisschen “infiziert”, wie aus Presseberichten hervorgeht. Für die hauptamtlichen Bürgermeisterposten kandidieren in einigen Gemeinden SPD-Mitglieder, die nicht von Parteigremien auserkoren sind. Und da ist das so, dass auch schon Parteiordnungsverfahren laufen und sie als “Dissidenten” bezeichnet werden. Gleichzeitig werden Genossen dort z.T. bedroht. So hat der Kreistagsvorsitzende und stellvertretende Unterbezirksvorsitzende Aurich, Genosse Wenzel, in der Presse erklärt, dass ich bereits ausgeschlossen sei – vor dem Ausschluss! – und dass bei Mitgliedern, die gegen offizielle SPD-Kandidaten antreten, ein Ausschlussverfahren gar nicht erst durchgeführt wird.
In den Fällen in Ostfriesland ist es nun aber so, dass die Ortsvereine – und in einem Fall sogar die Fraktion – sich hinter die betreffenden Genossen gestellt haben.

Wie hat sich Ihr Ortsverein im Zusammenhang mit Ihrer Kandidatur verhalten?
Gar nicht. Er hätte sich zumindest eine Meinung bilden können.

Sie waren also bei der Verhandlung nicht dabei. Haben Sie gar nicht Stellung bezogen?
Doch. Ich habe natürlich gefordert, den Ausschlussantrag des Bezirks zurückzuweisen, und ich habe die genannten Vorfälle beanstandet.

Sie beanstanden Formfehler im Verfahren. Aber Sie wollen doch auch inhaltlich etwas erreichen.
Ja. Wie schon gesagt, will ich festgestellt wissen, dass jeder das Recht auf Einzelkandidatur hat. So wie es üblich geworden ist, nehmen die Parteien den Menschen das Recht auf Kandidatur. Entweder man ist auserkoren, oder das Recht fällt weg. Wenn eine Kreisdelegiertenkonferenz einen Kandidaten gekürt hat, hat niemand anderer mehr eine Chance. Bezogen auf das aktive Wahlrecht wäre das so, als würde eine Partei ihre Mitglieder zwingen, nur die eigene Partei zu wählen. So etwas wäre unrechtmäßig; es wäre Wahlbeeinflussung.

Es ist aber doch klar und verständlich, dass eine Partei ein Interesse daran hat, ihren Kandidaten “durchzubringen”.
Ich bestreite ja gar nicht, dass eine Partei dieses Interesse hat. Ich bestreite aber, dass das demokratisch ist. Man muss als Hintergrund im Auge haben, wie viele Leute überhaupt in Parteien sind. Das sind nicht einmal fünf Prozent der Bevölkerung. Und die wenigen davon, die auf eine Versammlung gehen, bestimmen also, wen die Bevölkerung wählen muss.
Es gibt einen alten Spruch: In Deutschland gibt es Gegenden, da könnte eine Partei einen Besenstiel aufstellen, und der würde gewählt. In Passau müsste der Besenstiel halt von der CSU aufgestellt werden; die 72% wären sicher.
Und es ist immer nur eine ganz kleine Clique, die die Kandidaten kürt. Wäre Gabriele Iwersen am 10.10.97 krank oder sonstwie verhindert gewesen, dann hätte bei der Kreisdelegiertenkonferenz eine Stimme für ihre Kandidatur gefehlt; ein anderer wäre zum Bundestagskandidaten gekürt worden. Wenn sie sich dann gedacht hätte, dass sie nach acht Jahren Abgeordnetentätigkeit im Bundestag doch eine gute Chance hätte, dennoch gewählt zu werden – es wäre nach Auffassung des SPD-Bezirks nicht erlaubt gewesen.
In Ostfriesland denkt sich jetzt manch einer: Ich habe hier die ganzen Jahre die politische Arbeit gemacht, und nun, wo es um einen bezahlten Posten mit Pensionsberechtigung geht, schickt die Partei einen von außerhalb her. Es kann doch nicht rechtens sein, dass man diesen Leuten die Kandidatur verbietet.

Mit was für einer Entscheidung der Bundesschiedskommission rechnen Sie denn nun?
Schwer zu sagen. Wenn Juristen in der Kommission sind, müssten die wissen, dass der Ausschluss einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten würde. Es gibt z.B. ein Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken, in dem festgestellt wurde, dass das Recht auf Einzelkandidatur als ein Persönlichkeitsrecht schwerer wiegt und höher zu bewerten ist als das Interesse einer Partei, ihren Kandidaten durchzubringen.

Ging es Ihnen bei Ihrer Einzelkandidatur darum, ein Verfahren in Gang zu setzen, in dem das geklärt wird?
Ja. Darum, und überhaupt um die grundsätzliche Frage der innerparteilichen Demokratie. Es hat sich so entwickelt, dass die Parteien sich gebärden, als wären sie Behörden oder andere Machtinstrumente. Wie kommt z.B. ein SPD-Geschäftsführer dazu, mir zu schreiben, was ich unterlassen soll? Wer gibt ihm das Recht? Die Parteien haben vergessen, was sie wirklich sind. Manche Leute, die als Parteimitglieder in Ämter und Positionen gelangt sind, fühlen sich wie Staatsorgane und maßen sich Macht an. Es ist ihnen gar nicht bewusst, dass sie diese Macht nicht haben.

Warum wollen Sie in der SPD bleiben und gleichzeitig das Recht auf Einzelkandidatur erstreiten?
Ich bin Sozialdemokrat. Das ist eine grundsätzliche Einstellung, unabhängig von Ausschluss oder Mitgliedschaft. Und ich will, dass in meiner Partei alles sauber abläuft – demokratisch.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Der Ausschluss Simmersbachs aus seiner Partei war der Genossin Inge Lemmermann aus dem Bezirksvorstand der SPD Weser-Ems eine Erwähnung in der Parteizeitung “unser Weg” wert. In der Ausgabe März/April heißt es auf Seite 2 unter der Überschrift “Inge Lemmermann: Aus meinem Terminkalender”

“Am Vormittag nehme ich für den Bezirk an dem Verfahren der Schiedskommission gegen Horst Simmersbach teil, der bei der Bundestagswahl als Einzelbewerber gegen die SPD-Kandidatin angetreten war. Die Kommission beschließt den Ausschluss.
Wie der Vorsitzende der Schiedskommission anschließend öffentlich begründet, weil sie im Verhalten von Simmersbach einen schweren Verstoß gegen die Richtlinien der Partei sah. Ein schwerer Schaden sei gegeben, weil ein Einzelbewerber durch Bindung von eigenen Stimmen in Kauf nimmt, dass SPD-Kandidaten die Wahl verlieren.”

Es wird sich zeigen, ob der Schaden durch den Ausschluss am Ende größer als der Schaden durch die Einzelkandidatur ist.

 

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