Psychisch Kranke
Jan 141999
 

Angehörige psychisch Kranker in Wilhelmshaven arbeiten mit

Gespräch mit einem Mitglied der Angehörigengruppe

(noa) Vor etwa viereinhalb Jahren wurde die Angehörigengruppe vom Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) und der Gemeinnützigen Gesellschaft für Paritätische Sozialarbeit (GPS) ins Leben gerufen. Regelmäßig nutzen bis zu 20 Angehörige psychisch Kranker die Gelegenheit, sich auszusprechen. Peter Wilhelm Arp ist regelmäßig dabei. Er ist außerdem Mitglied im Landesverband, im Bundesverband und im Weltverband der Angehörigen psychisch Kranker.

Sie sind sehr aktiv in der Angehörigen-Arbeit. Was veranlasste Sie dazu?
Als meine Frau erkrankte, brachte ich sie in meiner Not mit polizeilicher Unterstützung ins RNK. Einen Psychiater gab es damals dort nicht. So wurde sie – psychotisch – zu einem niedergelassenen Arzt geschickt. Ich begleitete sie dorthin, doch es war mir nicht möglich, zu erfahren, an welcher Krankheit meine Frau litt. „Der Herr Doktor spricht nicht mit Angehörigen“, beschied mich die Arzthelferin.
Damals entglitt mir der Boden unter den Füßen. Ich wollte meine Frau unterstützen, aber niemand sagte mir, wie ich das tun konnte.
Sie wurde einige Tage später ins Landeskrankenhaus Wehnen eingewiesen. Ich wurde per Einschreiben mit drei Tagen Laufzeit darüber informiert – hätte ich mich nicht sowieso darum gekümmert, hätte ich es also erst nach drei Tagen erfahren!

Ist das nach Ihrem Überblick immer noch so?
Nein, das ist mittlerweile viel besser geworden. Seit Mai 1998 gibt es am RNK eine moderne psychiatrische Abteilung. Damit sind wir wieder einen Schritt weiter auf dem Weg zu einer gemeindenahen Versorgung psychisch Kranker…

…die ja im Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke gefordert wird.
Ja. Und der leitende Arzt kam kurz nach der Eröffnung der Abteilung zu einem Treffen unserer Angehörigengruppe, und er lud mich ein, mit den Abteilungsärzten ein Gespräch über Angehörigenprobleme zu führen, was ich natürlich gerne tat.

Ihr Leitmotto ist: „Angehörige psychisch Kranker in Wilhelmshaven arbeiten mit“. Woran arbeiten Sie mit?
U.a. ganz praktisch an der Förderung eines Verständnisses der Krankheit bei uns selbst und bei anderen. Eine Psychose oder eine Depression, die plötzlich manifest wird, hebt die Welt für die Betroffenen, aber auch für ihre Familien aus den Angeln. Nichts ist mehr so, wie es vorher war. Für die Umgebung der erkrankten Person ist es wichtig, verstehen zu lernen, was im Patienten vorgeht, um sich darauf einstellen zu können. In der akuten Phase sind die Kranken nicht in der Lage, ihrer Umgebung begreiflich zu machen, was mit ihnen passiert und warum sie sich so verhalten, wie sie sich verhalten. Es ist eine große Belastung für die Angehörigen.
In der Gruppe stützen wir uns gegenseitig, tauschen unsere Erfahrungen aus. Das hilft uns, uns zu erleichtern, unser Wohlbefinden zu verbessern. Ich glaube, dass wir nur dann etwas für unsere erkrankten Angehörigen tun können, wenn es uns selbst einigermaßen gut geht. Nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus sind ja die nächsten Angehörigen (Eltern, Ehepartner) – ob sie können oder nicht – Mitwirkende bei der weiteren Therapie.

Sie sind auch über Wilhelmshaven hinaus in der Angehörigenarbeit engagiert?
Ja. Ich war z.B. Anfang November beim 17. Bundestreffen der Angehörigen psychisch Kranker in Jena. Es nahmen etwa 170 Personen teil, und neben Angehörigen waren auch professionelle Helfer – also Psychiater, Sozialarbeiter, Psychologen – und Psychiatrieerfahrene dabei. Das Thema lautete „Das psychiatrische Krankenhaus – ein Ort um gesund zu werden?“
Bei einem solchen Thema ist es besonders wichtig, dass nicht nur die in diesem Bereich Arbeitenden darüber reden, sondern auch die Angehörigen mitreden – und vor allem die Betroffenen.

Was können solche Treffen bringen?
Die Teilnehmer können sich untereinander und mit den anderen Beteiligten austauschen und in Diskussionen mit fortschrittlichen Profis Selbstvertrauen und auch Anerkennung finden. Basis einer Verständigung ist doch, sich gegenseitig zu akzeptieren. Man muss sich mal vergegenwärtigen, dass noch vor 60 Jahren, während des Dritten Reiches, viele psychisch Kranke ermordet wurden; man ließ sie verhungern, man machte Menschenversuche mit ihnen. Es herrschte die offizielle Meinung, dass psychisch Kranke ein „lebensunwertes Leben“ führen und dem „Volkskörper“ schaden. Führende Lehrer der Psychiatrie waren daran beteiligt. Sie prägten ihre Studenten…

…Gehen Sie davon aus, dass es heute noch Psychiater oder Nervenärzte gibt, die insgeheim denken, psychisch Kranke sollten „beseitigt“ werden?
Nein, mit Sicherheit nicht. Aber ein Austausch zwischen den Beteiligten war wegen dieser Vergangenheit lange Zeit unmöglich. Bis vor einer Generation war die psychiatrische Versorgung noch in speziellen, außerhalb der Städte liegenden Großkrankenhäusern hinter hohen Mauern organisiert. Die Erkrankten wurden weggesperrt. Sie waren draußen aus der Gesellschaft, aus der ihnen vertrauten Umgebung. Und viele von ihnen kamen gar nicht mehr zurück. Ihre Angehörigen wurden ignoriert oder als Verursacher diffamiert.
Erst die Psychiatriereform der späten 70er Jahre führte zum Aufbau einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung durch niedergelassene Nervenärzte und dezentralisierte stationäre Abteilungen an normalen Krankenhäusern – doch die Landeskrankenhäuser sind immer noch da und dauernd gut belegt.

Sollten die Ihrer Meinung nach völlig verschwinden?
Das wird wohl nie möglich sein. Doch bestimmt liegt kein Sinn darin, wenn die Mehrzahl psychisch Kranker wochen- und monatelang im LKH sind und ausschließlich oder überwiegend mit Medikamenten behandelt werden, nur selten von ihren Familien und Freunden besucht werden können und immer mehr den Anschluss ans „normale Leben“ verlieren.

Sie sind auch Teilnehmer an den Trialog-Veranstaltungen, die seit November stattfinden…
…Ja, und ich finde es gut, dass die „Freien Sozialen Dienste Friesland e.V.“ diesen Anstoß gegeben haben und die Einbindung der Psychiatrieerfahrenen begonnen hat. Nur mit deren Einbindung können wir, die Angehörigen, aber auch die „Profis“ lernen, was psychisch kranke Menschen während der akuten Phase ihrer Erkrankung denken und fühlen. Dieses Lernen ist m.E. wesentliche Voraussetzung für eine im Anschluss an stationäre Behandlung notwendige Rehabilitation in der Gemeinde.

Wie stellen Sie sich die weitere Entwicklung vor?
Dazu will ich mit einem Satz antworten, den ein in Jena auf dem Podium mitdiskutierender Leiter einer psychiatrischen Großklinik zum Abschluss formulierte: „Das Krankenhaus der Zukunft ist Ort der Krisenbewältigung, die Gemeinde ist Ort der Heilung.“ Mein Traum ist, dass der beständige Austausch zwischen psychisch Kranken, ihren Angehörigen und den Professionellen zu einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung führt, die das Leid der Erkrankten und ihrer Angehörigen besser als bisher reduzieren kann und den Erkrankten verloren gegangene Lebensqualität zurückgibt.

Vielen Dank für das Gespräch.


 

Treffen der Angehörigengruppe jeden letzten Montag im Monat um 19 Uhr. Kontakte:

SpD – Herr Gutjahr, Tel: 04421 – 2710

GPS – Frau Drabent, Tel: 04421 – 151317

Trialog zwischen psychisch Kranken, Angehörigen und Profis

jeden zweiten Donnerstag im Monat, 18 Uhr, Elternschule (Kantstraße)

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top