Gastkommentar
Apr 011998
 

Das Orakel

Der Jade-Port ist in aller Munde – doch bisher hat sich noch niemand kritisch mit der Planung auseinandergesetzt.

Jochen Martin schreibt darüber im Gegenwind

Eine “Analyse der Umschlagpotentiale für einen Container- und Mehrzweckhafen in Wilhelmshaven” (Jade-Port-Studie) legte die Wilhelmshavener Hafenwirtschaftsvereinigung e.V. (WHV) im Februar der interessierten Öffentlichkeit vor. Darin werden neben u.U. möglichem Eisenerzumschlag insgesamt wachsende Kohleeinfuhren aus Übersee prognostiziert, die dann zu einem erheblichen Teil über Wilhelmshaven laufen dürften. (Die kursiv gedruckten Satzteile und Ausdrücke sind aus der Jade-Port-Studie zitiert) Auch für den Containerumschlag räumen die von der WHV beauftragten Gutachter von der Ingenieur-Gesellschaft mbH für Bauplanungen (Oldenburg) und dem Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (Bremen) einem Wilhelmshavener Containerterminal sehr gute Chancen ein.

Ob dieses Projekt einen nennenswerten Beitrag gegen die hier herrschende Massenarbeitslosigkeit oder zur Sanierung der maroden städtischen Steuerkasse leisten könnte, war nicht Gegenstand der Analyse.
In der Untersuchung ging es allein um die allgemein erwartete Steigerung des weltweiten Transportaufkommens insbesondere von Containern und um den daraus resultierenden Ausbau der Hafenumschlagkapazitäten in der Nordrange (Gemeint sind die Festlandhäfen zwischen Le Havre und Hamburg). Die Vorteile eines Jade-Port wären seine ideale seewärtige Lage, das tiefe Fahrwasser, eine relativ gering belastete Hinterlandinfrastruktur, sowie ein großes Maß ausgewiesener Flächen für die Ansiedlung von Distributionszentren. (Güterverteilzentren bzw. Containerpackstationen)
Die Zukunftsdeuter prognostizieren, daß der Containerumschlag in der Nordrange von 13,8 Mio TEU (TEU: Twenty Foot Equivalent Unit (auf Neudeutsch: 20 Fuß-Container) im Jahre 1996 auf ein Volumen zwischen 33,8 Mio und 42,7 Mio TEU im Jahre 2020 steigen werde. Angenommen, daß die Inbetriebnahme des Jade-Ports frühestens in der Zeit um 2006 erfolgt, gehen sie davon aus, daß die Phase, in der Kunden geworben werden müssen, bis zu 15 Jahre in Anspruch nehme. Bis zum Jahre 2020 wäre so ein Jahresumschlag zwischen 2,9 und 4,1 Mio TEU erreichbar.
Große Erwartungen werden dabei in den Ostasiendienst unter Einsatz von Großcontainerschiffen gesetzt. Der Weitertransport entfiele auf kleinere – die skandinavischen und baltischen Häfen bedienende – Feederschiffe (Zubringerschiffe, die die Container von den großen Schiffen übernehmen und zu den kleinen Häfen weitertransportieren (und umgekehrt)) und auf den Hinterlandverkehr…

Ein Beispiel, wie Hafenprojekte in Wilhelmshaven geplant werden:

1977: Nachdem der erste Erzfrachter bei 250.000 Tonnen Ladefähigkeit lediglich mit einer Teilladung von 100.000 Tonnen Hamburg anlief, fragte man sich in Wilhelmshavener Hafenkreisen: “Warum noch keine positive Entscheidung für Erzverkehr?” (WZ-Dokumentation vom 19.11.79). Bei dieser Gelegenheit propagierte man auch gleich den Export (!) von Kohle über Wilhelmshaven.

1979: Auf dem niedersächsischen Hafentag vertritt die damalige niedersächsische Wirtschaftsministerin Birgit Breuel die Auffassung, daß Wilhelmshaven eine einmalig günstige Möglichkeit für eine wirtschaftlich interessante Erzverhüttung an der Nordseeküste biete.

1981: Auf dem Hafentag beschäftigte sich Frau Breuel mit dem Import von Kohle und führte dazu einschränkend aus, daß Tiefwasserhäfen notwendig seien, doch keineswegs Überkapazitäten entstehen dürften. Damit nicht genug, schüttete sie den Wilhelmshavener Hafenkreisen einen weiteren Wermutstropfen ins Glas: “Gerade Kohleausfuhrländer aber verfügen zur Zeit nur über wenige Tiefwasserhäfen.” (WZ, 8.4.81)

1982 war man schon wieder zuversichtlich: “Investitionen von zwei Milliarden Mark noch in diesem Jahrzehnt an der Jade vorgesehen” (WZ, 06.03.82). U.a. sollten eine Kohlevergasungsanlage gebaut und die Niedersachsenbrücke um 660 m verlängert werden. Auch Frau Breuel bestätigte, daß der Ausbau der Niedersachsenbrücke kurz vor der Tür stehe (WZ, 28.4.82).

1983: “Erz über Wilhelmshaven: Ziel der Stahlkonzerne” schlagzeilte die WZ am 26.2.83. Im Text darunter heißt es: “Damit wäre die Mengenbasis von sechs bis acht Millionen Tonnen erreicht, die Niedersachsens Wirtschaftsminister Birgit Breuel sich für die Verlängerung der Niedersachsenbrücke errechnet hat.” Und der damalige Wilhelmshavener Oberbürgermeister Hans Janßen berichtete lt. WZ vom 3.12.83, daß “…maßgebliche Vertreter der Stahlindustrie erst vor wenigen Tagen im Rathaus ihr weiteres Interesse an Erzeinfuhren über Wilhelmshaven betont (hätten)“.

Dann wieder eine kalte Dusche: “Jadestädtische Erz-Chancen hängen von der Bereitstellung von Subventionen ab.” (WZ, 15.12.83). Mit solchen Wechselbädern ging es jahrelang weiter – bis heute.

1990: Auch eine abgespeckte Version des Erz-/Kohleumschlages von 2 Mio. Jahrestonnen, für die sich die Wilhelmshavener Umschlags- und Verkehrsgesellschaft (WUG) einen Lagerplatz im Rüstersieler Groden genehmigen ließ, brachte der Niedersachsenbrücke keine einzige zusätzliche Tonne Umschlag.

Könnte Wilhelmshaven nach seinen vielen Enttäuschungen am seeschifftiefen Wasser demzufolge doch noch von seinem mit Milliarden an Steuergeldern erbauten Tiefwasserhafen profitieren?
Die Frage läßt sich nicht schlüssig beantworten. Einfacher wird dagegen zu errechnen sein, was der Jade-Port mit allem Drum und Dran kosten wird. Einige hundert Millionen dürften es schon werden. Ob sich das Projekt volkswirtschaftlich (in Form von Arbeitsplätzen und Steueraufkommen) rechnet bzw. mit welchen ökologischen Auswirkungen bei seiner Realisierung zu rechnen ist, das dürften die zukünftigen Themen sein, an denen sich die Geister scheiden werden.

Welche Chancen hat ein Containerhafen an der Jade?
Was die für die nächsten zwanzig Jahre prognostizierte Zuwachsrate zwischen 90 und 140% im Containerverkehr der Nordrange angeht: In den letzten 50 Jahren wuchsen Wirtschaft und Löhne fast ununterbrochen an. Jetzt aber verstetigt sich das Absinken der Einkommen breiter Bevölkerungsschichten. Die Gutachter meinen dagegen, daß eine Sättigungsgrenze in Europa lediglich beim Fleischkonsum festgestellt werden könne, prognostizieren ansonsten weitere Konsumzuwächse und begründen damit ihre Prognose steigender Containertransporte. Doch wie sollen denn zusätzliche Waren eingekauft wer- den, wenn immer mehr Menschen immer weniger Geld im Portemonnaie haben?

Mit der Analyse von Wirtschaftsdaten ist das so eine Sache. Da ist nicht mal auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) Verlaß: Jedenfalls zeigte er sich jüngst außerstande, rechtzeitig die Gefahr des Zerplatzens der wirtschaftlichen Seifenblasen in den ostasiatischen “Tigerstaaten” zu erkennen: Noch im Jahresbericht 1997 bezeichnete der IWF das Steueraufkommen Südkoreas als beneidenswert, die makroökonomische Politik Thailands als gesund und belobigte Indonesien für seine “vorsichtige makroökonomische Politik, seine hohen Investitions- und Sparquoten und die Reformen zur Öffnung der Märkte.(aus “Le Monde diplomatique” Nr. 13 (Febr. 1998)) Kurz nach dem Erscheinen zogen die Spekulanten ihre Gelder aus diesen Ländern ab…

Gesetzt den Fall, die Gutachter würden mit ihren Prognosen richtig liegen: Wäre dann ein Jade-Port unausweichlich, um den deutschen Containeranteil in der Nordrange zu halten? Wie sieht es z.B. mit den Großcontainerschiffen aus Ostasien aus? Beim genauen Hinhören sind in der ansonsten äußerst optimistisch gestimmten Jade-Port- Studie einige dissonante Zwischentöne zu entdecken, z.B.: Ein oder zwei nordeuropäische Hafenankünfte werden zum Standard für Fernost-Europa-Verkehre.

Nun wird unzweifelhaft einer davon Rotterdam sein. Bleibt als zweiter also Wilhelmshaven als einziger deutscher Tiefwasserhafen übrig? Da schieben die Hamburger bereits jetzt einen Riegel vor, denn die Anpassung der Elbe an die großen Container- schiffe ist dort längst beschlossene Sache.

Jüngst ist es allerdings den Bremerhavenern gelungen, den Ostasiendienst der dänischen “Maersk Line” von Hamburg abzuwerben. Das kostet Hamburg zwar nur 60.000 bis 80.000 TEU Umschlag (aus “Schiff und Hafen” Nr. 3/98) pro Jahr (also rund 2% des Containerumschlags), zeigt aber, wie erbittert die Seehäfen um Frachtanteile kämpfen und welche Zugeständnisse sie dabei machen müssen. In diesem Falle konnte die “Maersk Line” dadurch gewonnen werden, daß sich die Bremer im Gegensatz zu Hamburg bereit zeigten, dieser Reederei durch Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft Einfluß auf das Geschehen am Containerterminal einzuräumen. (Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was bevorsteht, falls Wilhelmshaven da mitmischen will.)

Auch die in Wilhelmshaven kolportierte Behauptung, in den anderen Häfen seien zukünftig nicht mehr ausreichend Containerstellplätze vorhanden, wird in der Studie nicht bestätigt: Die etablierten Haupthäfen sind in der Lage, erhöhte Volumina und Marktanteile zu sichern. Dagegen stehen die eher zweitrangigen Häfen stark unter Druck. Die Frage, welchen Rang der Jade- Port in dieser Reihenfolge einnehmen müßte, dürfte sich wohl erübrigen.

Jade-Port-StudieWas den Fernost-Verkehr (nicht zu vergessen Indien, Nahost, Nord- und Ostafrika) angeht, müssen sich Hamburg und Rotterdam eher Sorgen machen, daß ihnen zukünftig die europäischen Mittelmeerhäfen einen Teil wegschnappen. Es ist nun mal nicht zu ändern, daß der Seeweg via Suez-Kanal zu den Mittelmeerhäfen Tausende von Kilometern kürzer ist als zu den Häfen der Nordrange. Auch die Verfasser der Jade-Port-Studie sind der Ansicht, daß der Kampf um den mitteleuropäischen Markt zwischen nord- und südeuropäischen Häfen an Intensität zunehmen wird.

Das Hauptargument für den Bau eines Jade-Ports steht danach auf sehr wackeligen Beinen. Wenn aber im Überseeverkehr nur magere Umschlagzahlen erzielt werden können, dann entwickelt sich auch kein nennenswerter Feederverkehr bzw. Binnenlandtransportbedarf.

Kooperationsmöglichkeiten mit Bremerhaven
Bremerhaven hat gerade seinen dritten Containerterminal (CT3) eingeweiht, will den gleich wieder um einen Liegeplatz (CT3A) verlängern und plant schon einen CT4. Und für evtl. Stapelplatzmangel schlägt die Jade-Port-Studie u.a. folgende Lösung vor: Verbessertes Containerstacking. (…) Mit Hilfe von sehr breiten Gantry Cranes ist eine Stapelhöhe von 6 Containern vertikal möglich. Auch die Vertiefung der Außenweser ist so gut wie amtlich. Und obwohl die noch bevorsteht, fahren jetzt schon Containerriesen (Maersk Line) von bis zu 346 m Länge und 42,80 m Breite, mit Ladefähigkeit von 6.600 TEU, zu den Weser-Terminals.

Nun unterliegen Bremerhaven und Wilhelmshaven nahezu identischen verkehrs- und wirtschaftsgeographischen Bedingungen. Beide Hafenstandorte haben das gleiche weiträumige Gebiet mit relativ geringer Wirtschaftskraft als Hinterland. Letzteres ist zu- dem zwischen den Versorgungsgebieten der beiden Haupthäfen Rotterdam und Hamburg eingekeilt. Im Feederverkehr ist es ähnlich. Im Westen dominieren die Rheinmündungshäfen und im Osten Hamburg.

Daß Bremerhaven dazwischen bis jetzt noch erstaunlich gut mitstrampeln kann, liegt in der jahrhundertealten bremischen Kaufmanns- und Schiffahrtstradition, den immer wieder erneuerten weiträumigen Handelsbeziehungen, der kontinuierlichen Anpassung der bremischen Häfen an veränderte Bedingungen und im “know how” bremischer Bürger begründet.

Aber der Hafenwettbewerb wird immer härter, weil Überkapazitäten vorgehalten werden. Ein Jade-Port müßte also von Bremen bzw. Bremerhaven als ein Konkurrent im eigenen Nest angesehen werden.

Zwar wird in der Jade-Port-Studie dieses Problem nicht direkt angesprochen, doch man kann es auch anders ausdrücken: Es wird deutlich, daß die Hinterlandaffinitäten, wie sie (…) für Wilhelmshaven argumentativ hergeleitet wurden, sich heute bereits in den Hinterlandstrukturen der Bremischen Häfen manifestieren. Das liegt daran, daß sich die lokalen Gegebenheiten in Bremerhaven und Wilhelmshaven sehr ähnlich sind: Beide haben kein eigenes Hinterland und ziehen Vorteile aus der guten seewärtigen Lage.

Wie unter diesen Umständen eine Kooperation funktionieren soll, ohne daß daraus Nachteile für Bremerhaven entstehen, bleibt vorerst rätselhaft.

Abschließend ist festzustellen, daß man – wenn man beim Lesen nicht ganz bei der Sache ist – angesichts der in dem Gutachten dargestellten glänzenden Zukunftsaussichten eines Jade-Port leicht die kurzen Passagen übersieht, die alles wieder relativieren. Da kann es einem leicht ergehen wie dem König Pyrrhus. Der zog gegen Rom, weil ihm im Orakel zu Delphi verkündet wurde: “Wenn du in den Krieg ziehst, wirst du ein großes Reich zerstören.” Zu spät begriff er, daß sein eigenes Reich gemeint war. Doch Orakel sind out – Gutachten sind in.

Jochen Martin

 

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