Armut und soziale Ungleichheit
Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher
In Wilhelmshaven sind rund 7000 Menschen arbeitslos, davon 150 unter 20 Jahren. Ca. 500 wohnungslose Menschen leben in Wilhelmshaven. Über 7000 Menschen beziehen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt (= Sozialhilfe im engeren Sinn), und weitere 6000 Menschen beziehen Sozialhilfeleistungen im weitesten Sinne. Im krassen Gegensatz dazu verfügen die über 80 Millionäre in Wilhelmshaven durchschnittlich über ein Vermögen von mehr als 2,8 Millionen DM.
Nach einer Definition der UNO leben Menschen dann in Armut, wenn sie über so wenig Einkommen verfügen, dass sie „das Maß an Lebenschancen, Lebenskomfort und Selbstrespekt, das die Gemeinschaft, der sie angehören, als normal ansieht“, entbehren müssen. Ein lediger Sozialhilfeempfänger erhält monatlich 539 DM (in Niedersachsen). Dieser Betrag muss für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens reichen. Dass die Wilhelmshavener Sozialhilfeempfänger mehr entbehren müssen, als es die Definition der UNO nahe legt, dass sie also in einem der reichsten Länder der Erde arm sind, räumt auch Oberbürgermeister Eberhard Menzel ein: „Wer die Realität unseres Lebens kennt, weiß, dass dieser Betrag nicht ausreicht, um sich über die existenziellen Bedürfnisse hinaus am Leben zu beteiligen. Daher kann man sagen, dass es vielen Menschen in unserer Stadt nicht gut geht und sie nicht an dem teilhaben können, was Leben auch ausmacht, wie zum Beispiel ein Kinobesuch oder einmal schön essen gehen.“
Zu ändern sei dies, so Menzel, nur durch andere Bundesgesetze. Die Städte seien lediglich Ausführungsorgane des Bundes. „Es ist Aufgabe des Bundes, den Tatbestand Armut aufzufangen. Die Städte sind dazu überfordert.“
Eine bewährte Methode, soziale Ungleichheiten zu kaschieren, um soziale Spannungen oder gar eine Explosion zu verhindern, ist immer noch, die Betroffenen ruhig zu stellen. Das System „Brot und Spiele“ aus Rom funktioniert auch in Deutschland bestens. Dies sehe man allein daran, so die SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Iwersen, dass sich an Großdemonstrationen gegen die Arbeitslosigkeit gerade mal 200.000 bis 300.000 Menschen beteiligten. Bei 4,3 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen ist das eine sehr kleine Zahl. Die „perfekte Verwaltung der Arbeitslosen durch die Bundesanstalt für Arbeit“, so Iwersen, „macht es möglich, dass jeder Betroffene unauffällig bleibt.“
Die Demonstrationen der Wilhelmshavener Arbeitslosen machen da keine Ausnahme.
Aus einer ganz anderen Perspektive sieht dies der Bauunternehmer, CDU-Politiker und Millionär Bernhard Rech. Trotz der vielen Arbeitslosen fehlten ihm oft qualifizierte Arbeitskräfte. „In Deutschland ist es zu einfach, ohne regelmäßige ehrliche Arbeit auf Kosten der Allgemeinheit zu leben. Das führt dazu, dass Menschen lieber Arbeitslosengeld beziehen, anstatt zu arbeiten.“ Dies sei gegenüber denjenigen ungerecht, so Rech weiter, die für wenig Geld hart arbeiteten. Im Übrigen gebe es „echte Not“ in Deutschland nicht. Warum hart arbeitende Menschen einerseits arm blieben, andererseits vermögend würden, hat Rech zufolge viel mit Glück zu tun, aber auch mit Intelligenz und Erziehung.
„Eine Gesellschaft wird gewisse Ungleichheiten akzeptieren müssen“, davon ist Gabriele Iwersen überzeugt. Die entscheidende Frage sei eben, inwieweit eine Gesellschaft die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Arm und Reich, zwischen Erfolglosen und Erfolgreichen, zu ertragen bereit sei.
Wann ist die Schmerzgrenze erreicht – bei acht, 18 oder 28 % Wilhelmshavener, die rechts wählen?
Samuel Klar, Ennostraße 16, 26382 Wilhelmshaven
Samuel Klar ist freier Journalist und arbeitet für Radio Jade.
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