Tanker
Feb 101998
 

Aus dem Ruder

Die Tankschifffahrt bleibt eine Zeitbombe

(buw/hk) Zwei Beinahe-Katastrophen entfachten die Diskussion um die Gefährdung der Küste durch die Tankschifffahrt aufs Neue. In Wilhelmshaven reduziert sich die Debatte allerdings auf die Forderung nach der festen Stationierung des Hochseeschleppers OCEANIC. Doch damit wird sich eine mögliche Katastrophe nur beim Zusammentreffen mehrerer glücklicher Umstände verhindern lassen – an der Gefährdung ändert sich nur wenig.

Zwei Tanker sorgten Anfang Januar für Alarmstimmung an der Küste: Der Tanker BT STREAM, beladen mit 80.000 Tonnen Öl, und die mit 78.000 Tonnen Rohöl beladene FOSNA drohten mit Ruderschäden auf Grund zu laufen. Nur knapp entgingen wir (wieder einmal) einer Katastrophe.
Solange in Wilhelmshaven Öl angelandet wird, müssen wir auch mit der davon ausgehenden Bedrohung leben – einer Bedrohung, deren Folgen das gesamte Leben an der Küste nachhaltig verändern würden. Neben den oft beschriebenen Auswirkungen auf das Wattenmeer wäre die Haupteinnahmequelle der Insel- und Küstengemeinden, der Tourismus, mit einem Schlag versiegt.
Um zu verhindern, dass Havaristen auf Grund laufen, und um auf Grund gelaufene Schiffe freizuschleppen ist der Hochseeschlepper OCEANIC in der Deutschen Bucht stationiert. Doch der Chartervertrag läuft im März 1998 aus.

Mellum und Neuwerk: Kein Ersatz
Ersatz sollen dann die MELLUM und die noch in Bau befindliche NEUWERK leisten. Beide Schiffe sind aus konstruktionsbedingten Gründen (z.B. liegt der Angriffspunkt der Schleppleine bei beiden Schiffen nicht in der Nähe ihrer Drehpunkte, kein freies Arbeitsdeck, der Schleppdraht kann nicht sicher ausreichend zurückwandern, ohne sich an Konstruktionsteilen der Schiffe zu verhaken) nicht in der Lage, die Aufgaben eines Bergungsschleppers zu übernehmen. Die Mellum ist, so funkt es auf der Nordseewelle, bei schlechtem Wetter nicht einmal fahrtüchtig!
Die Umweltverbände Aktionskonferenz Nordsee, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und der WWF schreiben in ihrem ‚Sicherheits- und Notfallkonzept Deutsche Bucht‘: „Vorrangige Aufgabe im Notfall, vor allem bei Manövrierunfähigkeit eines Schiffes, ist es, zunächst wirksame Schlepperhilfe in allen Situationen sicherzustellen, um den Havaristen vor einer Strandung zu bewahren. Dies ist zurzeit nur mit der OCEANIC möglich. Die Umweltverbände fordern die Erarbeitung eines kombinierten Notfallkonzeptes, in dem ausreichende Schlepperkapazität auf See zur Verfügung steht und MELLUM und / oder NEUWERK zusätzlich mit ihren speziellen Anlagen und Fähigkeiten entsprechend zur Verfügung stehen.“

Die Ursachen angehen
Bevor die OCEANIC oder die MELLUM gerufen werden, ist auf dem Tanker ja irgendetwas passiert: Die Ruderanlage ist ausgefallen, die Navigationsanlagen spielen verrückt, der Kapitän kann kein Englisch oder ist besoffen. Hier gilt es anzusetzen, wenn die Bedrohung der Küste wirklich reduziert werden soll. Die Ausbildung der Schiffsführung und –besatzung kann und muss verbessert und unter internationale Kontrolle gestellt werden. Gegen menschliches Versagen ist kein Kraut gewachsen, aber die technischen Möglichkeiten, eine Katastrophe zu verhindern, bieten ein weites noch zu bearbeitendes Feld.

Doppelte Auslegung der Manövrier- und Navigationsanlagen
Mit der Veröffentlichung des Sachverständigenrates für Umweltfragen ‘Umweltprobleme der Nordsee‘ im Juni 1980 wurde die Forderung nach doppelter Auslegung der Ruder- und Navigationsanlagen bei Schiffen, die gefährliche Güter transportieren, laut. Von August 1981 bis Juni 1982 führte die Bürgerinitiative Umweltschutz Wilhelmshaven (BUW) gemeinsam mit dem Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) eine Debatte mit dem Bundesverkehrsministerium über die doppelte Auslegung der Manövrier- und Navigationsanlagen auf Tankschiffen (veröffentlicht 1984 in der BUW-Broschüre ‚umweltthema: nordsee‘). Die Auseinandersetzung wurde in den nächsten Jahren sowohl von regionalen wie auch nationalen Umweltverbänden und auch Gewerkschaften weitergeführt. Doch sie verlief im Sande.
Beide Schiffsunfälle im Januar 1998 hätten verhindert werden können, wenn diese Forderungen verwirklicht worden wären. Doch die Widerstände gegen die technische Aufrüstung der Tankschiffe reichen von den Reedereien bis hin zum Endkonsumenten. Öltransport muss billig sein, damit die Produkte billig verkauft werden können.

Langer Bremsweg
Ein weiteres Problem ließe sich durch technische Hilfsmittel reduzieren: der lange Bremsweg der Riesentanker. Ein Ruderausfall bedeutet, dass der Tanker noch über Kilometer (ein mit 15 Knoten fahrender Tanker hat einen Halteweg von etwa 8 Kilometern!) weiterfährt – die Mannschaft kann nur tatenlos zusehen, wie der Schiffsriese irgendwohin steuert. Um den Bremsvorgang zu verstärken, sollten diese Schiffe mit einem Heckanker ausgerüstet sein, der, ähnlich einem Bremsfallschirm, die Fahrt aus dem Schiff nimmt. Eine Möglichkeit, die bei Verhältnissen wie auf der Jade sehr wirksam sein könnte – der schlickige Untergrund des Fahrwassers würde diese Bremswirkung unterstützen.

Eskortierung von Problemschiffen
Die Jade ist zwar kein besonders schwierig zu befahrendes Fahrwasser – um jedoch die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Ölkatastrophe so gering wie möglich zu halten, müssen die hier einfahrenden Tankschiffe von Schleppern begleitet werden, sodass ein manövrierunfähiges Schiff in kürzester Zeit wieder auf Kurs gebracht werden kann.

Tankschiffprüfliste
Alle Tankschiffe müssen eine Tankschiffprüfliste führen – eine Checkliste, in der der Kapitän bestätigt, dass er alle Anlagen überprüft hat und dass diese in Ordnung sind. Doch wie werden diese Listen geführt? Wie sahen diese Listen bei den Havaristen BT STREAM und FOSNA aus? Alle Kreuze richtig gesetzt? Ist es wirklich so, wie uns ein Fachmann erklärte, dass diese Listen grundsätzlich mit einem OK versehen werden, schon allein um keine Schwierigkeiten mit der Reederei zu bekommen? Da wäre es schon ratsam, die Tanker durch Fachleute (Germanischer Lloyd, See-Berufsgenossenschaft, Lotsen….) vor dem Einlaufen zu überprüfen und zu testen.

Off-shore-Anlandung
Eine weitestgehende Reduzierung der Gefahren würde erreicht, wenn die Tanker erst gar nicht in die Jade einlaufen müssten, sondern an Offshore-Tankköpfen in der Deutschen Bucht entladen würden und das Öl per Pipeline nach Wilhelmshaven gepumpt würde. Dass so etwas funktioniert, beweisen die unzähligen Bohrinseln in der Nordsee, an denen die Tanker beladen werden.
Die Möglichkeiten, die Tankschifffahrt sicherer zu machen, sind mit den hier aufgeführten Beispielen noch lange nicht aus- gereizt. Verhindert wird die Realisierung durch den Schulterschluss von Ölgesellschaften, Regierungen, Lobbyisten, Konsumentenvertretern, Bürgervertretern, konkurrierenden Häfen…

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