Ratssplitter
Nov 042009
 

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vom 21. & 28. Oktober 2009 aufgefegt von Imke Zwoch und Hannes Klöpper

Sieh mal einer an! Die LAW wird salonfähig – die SPD lehnt die Anträge der Linken nicht mehr aus reiner Prinzipienreiterei ab. Haben die Genoss/innen sich nach dem Desaster der Bundestagswahl etwa besonnen?

Methadon
Erneut ist die Versorgung Heroinabhängiger mit dem Ersatzstoff Methadon in Gefahr. Zwei Wilhelmshavener Ärzte können das allein nicht mehr leisten und drohen diese Aufgabe hinzuschmeißen, wenn sie keine Unterstützung erhalten. Eine schnelle Lösung muss her. Zuständig ist in erster Linie die Kassenärztliche Vereinigung, aber die Stadt sollte das Ihrige beitragen. Die SPD wollte mit einer Diskussion in der Aktuellen Stunde, die LAW mit einem Dringlichkeitsantrag den Rat mit ins Boot nehmen. Im Interesse der Betroffenen kein Problem, oder? Denkste. Die Verwaltung hatte sich vor allem damit beschäftigt, was formal dagegen spricht, das zu diskutieren, was Dezernent Stoffers in langen Vorträgen darlegte: Die SPD hatte den TOP zu spät eingereicht. Der Antrag der LAW lautete: „Der Rat der Stadt WHV legt der RNK-GmbH nahe, sich an der Methadonvergabe ab 1.11. zu beteiligen … Die bisherige Weigerung des RNK seit 20 Jahren, sich an der Methadonvergabe nicht zu beteiligen, hält der Rat für inakzeptabel“. Geschickt formuliert, meinte Stoffers, denn weisungsbefugt sei der Rat nicht gegenüber dem Krankenhaus. Andererseits sei ein Antrag nur dringlich, um Nachteile von Bürgern abzuwenden (keine Frage, oder?), und er müsse geeignet sein, das Problem zu lösen, und das sei ja nicht der Fall, wenn es nicht um eine Weisung, sondern eine Empfehlung ginge. Gute Güte! Der soll sich mal morgens neben die Methadonausgabe stellen, um zu kapieren, worum es im Leben geht. „So ein Kasperkram – bei so einem Thema“, wetterte SPD-Ratsherr Föhlinger. CDU-Sprecher Reuter wollte das Thema in die Fachausschüsse überweisen. Die erforderliche Mehrheit für den Antrag wurde knapp verfehlt. Fortsetzung auf der Ratssitzung am 28. Oktober: Sabine Gastmann trägt in der Aktuellen Stunde das Anliegen erneut vor, es geht jetzt darum, einen Weg zu finden um den Gemeinschaftspraxis -Plan vier Wilhelmshavener ÄrztInnen zur Methadonversorgung zu realisieren. Vorher war bekannt geworden, dass Matthias Abelmann sich bereit erklärt hat, im Interesse der Realisierung der Gemeinschaftspraxis noch einen Monat unter den bestehenden Bedingungen weiterzuarbeiten Smile.
Im Laufe der Debatte dankte Ursula Aljets (SPD) Johann Janssen (LAW) für sein Engagement (!), Stadtrat Jens Stoffers dankte Herrn Abelmann (!) – nur abstimmen durfte dann keiner, weil so etwas in einer Aktuellen Stunde nicht vorgesehen ist. Anrührend aber hilflos war dann der Vorschlag von Sabine Gastmann, dass die Ratsmitglieder ja durch ein freundliches Nicken ihre Zustimmung zu der von ihr verlesenen Empfehlung (eigentlich sollte es eine Resolution werden – die aber eben in einer Aktuellen Stunde nicht abgestimmt werden kann) signalisieren könnten.

Stühlerücken
Ratsfrau Barbara Ober-Bloibaum ist eine von mehr als inzwischen  20 GenossInnen, die aus der SPD ausgetreten sind. Sie gehört jetzt zur neuen Gruppe BASU / Ober-Bloibaum / Tholen. Durch die Umgruppierung wird auch die Umbesetzung der Ausschüsse und Gremien erforderlich, das große Stühlerücken zieht sich dann durch alle Fraktionen und Gruppen. Vor allem verlor die SPD dadurch einen Sitz in einer Reihe von Ausschüssen.

Schule Neuende
Die Grundschule Neuende, die älteste Schule Wilhelmshavens, gammelt seit der Schließung traurig vor sich hin. Es steht zu befürchten, dass sie an eine Immobiliengesellschaft verhökert und abgerissen wird und auf dem Grundstück Reihenhäuser oder ähnliches errichtet werden. Die LAW forderte einen Ratsbeschluss zum Erhalt der Schule, die als Stadtteiltreff weiter genutzt werden sollte. In Neuende fehlt ein solcher Treff für Jugendliche und andere Gruppen. SPD und BASU schlossen sich dem an. Die CDU spach von 1 Mio. Euro Sanierungskosten; dies sei ja auch der Grund gewesen, die Schule aufzugeben. FDP-Sprecher von Teichman bollerte, die Befürworter des Erhalts hätten „den Schuss nicht gehört“ und „Herr Neumann hat seine Fraktion nicht im Griff“ – bei einem städtischen Schuldenberg von 50 Mio Euro sei das nicht drin. Die Grünen glänzten wie so oft mit einem klaren „Jein“ – man solle noch ein Jahr mit dem Projekt warten, um Mittel dafür freizuschaufeln. Aber da liegt genau die Gefahr, dass in einem Jahr das Gebäude schon plattgemacht ist, warnte BASU-Sprecher Tjaden. Er versteht nicht, wieso die Stadt unlängst problemlos 12 Mio. Euro locker macht („in den Sand kippt“) für ein Zusatzprojekt am JadeWeserPort, hier aber keine Million über ist. SPD-Chef Neumann erinnerte an den Wortlaut des Antrags: Das Gebäude soll erhalten werden – von einer Komplettsanierung war ja noch gar nicht die Rede. „Zu spät!“, mischte sich, ein wenig zu süffisant, Kämmerer Hoff ein. Die Schule sei längst zum Verkauf ausgeschrieben, laut Schulentwicklungsplan solle der Erlös bestehenden Schulen zugutekommen. Die Fassade zu erhalten, sei „das Höchste“, was man einem Käufer abverlangen könne (potemkinscher Denkmalschutz gewissermaßen). Außerdem gäbe es auch andere Stadtteile, in denen ein Treffpunkt fehlt. Interessante Argumentation. Nützte alles nix – der LAW-Antrag wurde mehrheitlich angenommen.

Stadtentwicklung MIT den BürgerInnen
„Die Verwaltung wird beauftragt, eine Folge von mindestens 3 Foren zur geplanten Stadtentwicklung durchzuführen“, lautete ein weiterer Antrag der LAW. Denn „meist liest der Bürger darüber in der Zeitung, wenn schon alles in trockenen Tüchern ist“. Auch dieser Antrag wurde mehrheitlich angenommen.

Tourismuskonzept
„Wilhelmshaven – die Maritime Erlebnisstadt“ ist der Titel eines Tourismuskonzeptes, das Stadtrat Graul ausführlich vorstellte. Steckt sicher viel Fleiß drin, bietet aber nicht viel Neues. Ist ja auch schon viel kaputt gemacht worden durch Industrialisierung und unsensible Baumaßnahmen, mehr kann man da kaum noch rausholen. Immerhin kam die Arbeitsgruppe zu der Erkenntnis, dass auch historische Bausubstanz ein touristischer Anziehungspunkt ist. Nachdem in den letzten Jahren der alte Bahnhof und weitere alte Gebäude plattgemacht wurden, sind wir gespannt, ob diese Erkenntnis auch praktische Anwendung findet.
Norbert Schmidt (SPD) kritisierte, „wir hätten schon viel weiter sein müssen“. Ihm fehlt die Zusammenarbeit mit der Fachhochschule. Als Beispiel wurde Bremerhaven genannt, das mit Auswandererhaus, Klimahaus und weiteren Investitionen viel Publikum zieht. (Die sind aber auch pleite, war aus dem Saal zu vernehmen – das ist Wilhelmshaven auch, aber ohne Auswandererhaus.) Ursula Aljets (SPD) meinte, in Wilhelmshaven wäre ein Auswandererhaus fehl am Platze, denn hier hätte es ja keine Auswanderer gegeben. (Das kann sich schnell ändern, wenn die so weitermachen wie bisher). Insgesamt war das Thema so wenig spannend, dass viele Ratsmitglieder umherliefen oder den Saal verließen. Von Teichman schimpfte: „Einige hier wollen wohl lieber weitere Anträge von Linkschaoten unterstützen als hier zuhören!“

„Contenance“!
Im Laufe der Sitzung hatte von Teichman noch mehr solcher Sprüche losgelassen („Schwachmaten“, „Chaotenhaufen“), die den benachbart sitzenden Grünen zu Ohren kamen. Claus Westermann hatte die Nase voll davon: „Herr von Teichman, ich bitte Sie, bewahren Sie Contenance vor diesem Hohen Hause!“

LaterneAbgesägt
Seit Wochen zieren in Heppens und anderen Stadtteilen die abgesägten Stümpfe von Laternenmasten das Straßenbild. Eine Notmaßnahme, weil die Masten nicht mehr standsicher waren. Nun ist endlich das Geld da, um die Masten zu ersetzen. Neben dem Ersatz der abgängigen Masten sollen 1.262 Quecksilberdampfentladungslampen durch Natriumdampfentladungslampen ersetzt werden. Das spart zum einen Energie und freut zudem Motten und andere Insekten, die von den alten Lampen magisch angezogen wurden und dort elend verglühten.

Kirche macht Schule
Die katholischen Grundschulen Ansgari- und Elisabethschule sollten ursprünglich in Altengroden zusammengelegt werden. Nun entschied man sich aber doch anders, um das leerstehende Schulgebäude in der Oldeoogestraße damit wiederzubeleben. Natürlich ging das nicht ohne Hickhack ab. Ein Vorteil: 60% der katholisch getauften Kinder wohnen im Stadtsüden und haben dadurch kürzere Schulwege.
Von Teichman blieb beim Standort Altengroden, er prophezeite, die Eltern würden ihre Kinder abmelden und auf andere Schulen schicken.“2013 sind hoffentlich einige von Ihnen nicht mehr … dabei“, raunzte er andersdenkende Ratskollegen an. Das war’s schon wieder mit der Contenance. Der Grüne Sitznachbar Werner Biehl griff durch: „Herr von Teichman, halten Sie doch einfach mal die Klappe!“ (Mal am Rande: was hat die Kirche eigentlich in der Schule zu suchen? Bei konfessionsunabhängig gemischten Schulen wäre die Logistik viel einfacher.)

WHV immer noch atomfreie Zone?
1988 hatte sich der damalige Rat der Stadt mehrheitlich gegen den Transport bzw. Umschlag von radioaktiven Materialien in allen Hafenbereichen Wilhelmshavens ausgesprochen. Gleichzeitig wurde die Landesregierung aufgefordert, keine Genehmigung für solche Transporte nach bzw. über Wilhelmshaven zu erteilen. Ratsherr Gerold Tholen wollte jetzt wissen, ob diese Beschlüsse noch Gültigkeit haben. Aktueller Anlass: Der Energiekonzern e.on sucht einen Weg, um 64 Brennelemente aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield ins AKW Grohnde zu bringen. In Cuxhaven gab es einen Aufschrei der Bevölkerung, weshalb der dortige Stadtrat den Transport ablehnte. Auch der Bremer Senat signalisierte „no way“ über bremische Häfen und lehnte den Transport „aus politischen und Sicherheitsgründen entschieden ab“. Insofern interessierte es Tholen auch, ob in WHV Vorbereitungen zur Abwehr eines Transportansinnens gäbe. Stadtrat Graul beruhigte: Die Nds. Gemeindeordnung kenne kein „Verfallsdatum“ und keine „Halbwertzeit“ wie das Atomrecht, insofern habe der Wilhelmshavener Beschluss von 1988 weiterhin Bestand. Indes gäbe es nach Information der hiesigen Hafenbetreiber und -behören keine konkreten Planungen, Absichten oder andere Überlegungen, nukleare Brennstoffe über hiesige Häfen umzuschlagen. Die Verwaltung würde nicht „im vorauseilenden Gehorsam“ tätig, sondern erst dann, wenn das Bundesamt für Strahlenschutz mit konkreten Anträgen auf die Stadt zukommen würde.

Neues aus der Anstalt
Seit 2 ½ Jahren geht es im Rat der Stadt darum, das durch die Gründung der Holding angerichtete Chaos (Undurchsichtig, undemokratisch, der öffentlichen Kontrolle entglitten…) zu beseitigen. Eine „helle Ausleuchtung“ (OB Menzel) der städtischen Gesellschaften sollte nun die Umstrukturierung in eine „Anstalt öffentlichen Rechts“ (AöR) gewährleisten. Und genau so, wie vor 7 Jahren die Holding als Heilsbringer und Allheilmittel angepriesen wurde, geht die Verwaltung jetzt mit der AöR um. Wer dem Antrag nicht zustimmt, wird ewige Höllenqualen zu erleiden haben.
Eine Koalition aus SPD, Grünen und BASU versuchte dennoch mit einem Antrag zur Geschäftsordnung, das Thema von der Tagesordnung zu streichen und forderte stattdessen einen Arbeitskreis, dessen „Ziel die Erarbeitung eines tragfähigen Konzeptes zur Umstrukturierung des Gesamtkonzerns Stadt ist, durch welche mehr Transparenz und Einsparungen erreicht werden sollen“.
Der Oberbürgermeister konnte für ein solches Ansinnen absolut kein Verständnis aufbringen – ganz im Gegensatz zu den über 200 ZuhörerInnen (hauptsächlich aus betroffenen Gesellschaften). OB Menzel ließ nun die verflossenen 30 Monate Revue passieren, um klarzumachen, dass genug diskutiert wurde, dass jetzt endlich der Gründungsbeschluss her muss. In seiner unnachahmlichen Art diskreditierte er die Wortführer der AöR-Gegner, bezichtigte diese der Angst vor der Verantwortung usw., wies alle Schuld an dem sich abzeichnenden Scheitern der AöR-Gründung von der Verwaltung und setzte sich mit seinem stadtweit bekannten „Beleidigte Leberwurst“-Gesicht.
Auch Prof. Reuter (CDU) setzte sich für die AöR ein und vermutete, dass die Mehrheit des Rates sich wohl vor einer politischen Auseinandersetzung fürchtet, man populistisch das „angeschlagene Image“ aufbessern wolle. Reuter malte nun ebenfalls ein düsteres Zukunftsbild: Sparkommissar, Steuererhöhungen, Haushaltssperre, finanzielles Desaster von 60 Millionen Euro…
Auch Michael von Teichman setzte sich namens der FDP für die AöR ein, beschwor die sogenannte „Wilhelmshaven-Fraktion“ (die soviel Übles für Wilhelmshaven angerichtet hat) und zeigte sich insgesamt recht übel gelaunt. So reagierte er auf einen Zwischenruf von Karlheinz Föhlinger (SPD) mit den Worten: „Ich verstehe nicht, welchem Umstand Sie es verdanken, dass Sie noch in der SPD sind. Ein Teil der Chaoten hat ja Ihre Partei verlassen.“ Natürlich sah auch von Teichman das Chaos am Firmament aufziehen – die niedersächsische Landesregierung könnte den Rat gar auflösen, weil der seine Aufgaben nicht erfüllt.
Acki Tjaden, Werner Biehl und Johann Janssen begründeten im Folgenden recht fundiert, warum die Diskussion über die AöR noch nicht zu Ende sein kann. Werner Biehl: „Ich weigere mich, dafür zu stimmen, nur weil man uns Verweigerung, Verschiebung, Verhinderung vorwirft – wir wollen es versuchen, wir wollen einen Weg finden.“
Der Antrag auf Nichtbefassung wurde mit 25:19 Stimmen angenommen und von den Zuhörern mit Beifall bedacht.

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