Werther
Sep 082009
 

Das Werther-Experiment

Jugendclub des Jungen Theaters wagt eine Reise in die Vergangenheit

Die Inszenierung des “Werther!” mit einem bärenstarken Axel Julius Fündeling (siehe Gegenwind 243 hat auch beim Jugendclub des Jungen Theaters einen tiefen Eindruck hinterlassen und die Akteure zu der Eigenproduktion “Das Werther-Fieber” motiviert. Der Begriff geht zurück auf das Auftreten einer Suizidwelle nach der Veröffentlichung von Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“ im Jahr 1774 (die kurzfristig zu einem Verbot des Buches führte). Kann die heutige Jugend  nachempfinden, welch revolutionär-emotionale Wirkung diese Literatur auf Gleichaltrige vor 200 Jahren hatte? Und kann die Literatur – oder andere Erfahrungen – heute bei ihnen ähnliche Reaktionen hervorrufen? Um das herauszufinden, ist das “Werther-Fieber” ein spannendes Experiment.

Der erste Akt zeigt einen Literaturzirkel im Jahr 1775, dessen Mitglieder – junge Leute verschiedener sozialer Herkunft – durch die Texte der Autoren des „Sturm und Drang“ nachhaltig beeinflusst werden. Auch Luise Miller (Lenja Busch) und Ferdinand von Walther (Kai Conrads) aus Schillers “Kabale und Liebe“ (Uraufführung 1784), die unter der gesellschaftlichen Ächtung ihrer “nicht standesgemäßen“ Beziehung litten, sind mit im Spiel. Am Ende sind es jedoch Intrigen innerhalb des eigenen Zirkels, die zum Freitod einer jungen “Werther”-Leserin führen. Der zweite Akt spielt in einem Klassenzimmer 2009. Eine Arbeitsgruppe hat die Aufgabe, Goethes Werther szenisch zu interpretieren. Durch die Interaktion lernt man sich näher kennen und auch hier entsteht eine unglückliches Liebesdreieck, das (fast) tragisch endet … Dem Jugendclub blieb ein sehr enges Zeitfenster für die Entwicklung dieser Produktion, mit der er sich am Wettbewerb „Schüler spielen Sturm und Drang“ des ZDF-Theaterkanals beteiligt. Tapfer haben sich alle den aus heutiger Sicht sperrigen Texten und fremden Lebensentwürfen im 1. Akt gestellt. Bravourös gelang das Lenja Busch, die textlich fest im Sattel saß und damit genug Freiraum hatte, um auch spielerisch zu überzeugen. Ihre Mitspieler konnten da schwer mithalten; vor allem die Jungs schienen nicht so recht in die steifen Kostüme zu passen, und manche Kombination von Text und Geste wirkte unfreiwillig komisch. Auch vermochten einige gelesene Passagen nicht zu vermitteln, dass der Vortragende – in seiner Rolle – sich wirklich damit identifiziert. Doch als Experiment betrachtet, ist dieser 1. Akt gelungen – zeigt er doch, dass Welten die Jugend von damals und heute trennen. Diese indirekte Botschaft wird im 2. Akt konkret: Für manchen Schüler ist es wahre Folter, sich mit den ollen Klassikern zu beschäftigen. Die attraktive Mitschülerin ist da ungleich interessanter. Hier waren die DarstellerInnen voll in ihrem Element, und nach der angespannten Konzentration im 1. Akt konnte sich ihre Spielfreude geradezu entladen. Als Timo in lässigen Klamotten auf dem Skateboard durfte Pit Fröhlich sein komisches wie sportliches Talent austoben – bis sich am Ende die Verletzlichkeit hinter der coolen Fassade offenbart. Timo, der am wenigsten Bock hat, Goethes Werther zu interpretieren, steckt am Ende emotional am meisten im Stoff. Leider bleibt im deutlich kürzeren 2. Akt zu wenig Zeit, um die Charaktere wirklich zu entwickeln. Im 1. Akt vermisst haben wir Paul Wallner, der erst “in der Neuzeit” als Sönke dazukam – beim Kulturkarussell stellte er als “Molière“ seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Doch alles in allem – und erst recht vor dem Hintergrund des Zeitdrucks, dem die Mitwirkenden einen Teil der Ferien opferten – ist das “Werther-Fieber” eine tolle Leistung – und eine zeitgemäße Form, Jugendliche interaktiv an klassische Literatur und ihre geschichtliche Relevanz heranzuführen. Wir drücken die Daumen für den Wettbewerb!

Regie: Frank Fuhrmann, DarstellerInnen: Lenja Busch, Kai Conrads, Pit Fröhlich, Julia Michalczyk, Nina Schubert, Svenja Siebels, Paul Wallner.

Mitmachen: Jugendclub 15+ des Jungen Theaters

Jeden Dienstag treffen sich junge Menschen, die das Theaterspielen hautnah erleben wollen. Unter Leitung des Theaterpädagogen Frank Fuhrmann lernen die Jugendlichen verschiedene Spielweisen (klassisches Theater, Erzähltheater, Straßentheater, Performance, Theatersport) kennen. Die Ergebnisse werden öffentlich im Jungen Theater, Rheinstr. 91, und an anderen Orten präsentiert. In der Planung sind ein Shakespeareprojekt und die Fortsetzung des Austausches mit der Gruppe Victory Sonqoba Theatre Company aus Südafrika.

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