Und noch ein Schlag gegen unsere Grundrechte
Mit Wirkung vom 16. 12.1977 setzte das Bundesverfassungsgericht das novellierte Wehrpflichtgesetz bis zur endgültigen Entscheidung des von der CDU/CSU eingebrachten Normenkontrollantrages im März 1978 ‚vorübergehend‘ außer Kraft. Das novellierte Wehrpflichtgesetz gab zum ersten Mal allen Kriegsdienstverweigerern die Möglichkeit, ihr im Grundgesetz verankertes Recht (Art. 4, Abs.3)ohne die schändliche Gewissensprüfung in Anspruch zu nehmen.
Zwar hatte man von vornherein ein paar abschreckende Haken und Ösen eingebaut, so z .B. die Verlängerung des Zivildienstes auf 18 Monate und die endgültige Anerkennung erst bei Antritt des Zivildienstes, jedoch läßt sich rückblickend sagen, daß diese Wehrdienstnovelle zumindest ein Schritt in die richtige Richtung war. Zum ersten Mal erhielten auch jene Kriegsdienstverweigerer, die bislang auf Grund mangelnder Schulbildung oder Artikulationsmöglichkeiten keinen Mut zur Verweigerung hatten, die Chance, ihr Recht wahr zunehmen. So stiegen dann auch die Zahlen der Antragsteller trotz der Verlängerung des Zivildienstes sprunghaft an. Am 1. Dezember 1977 lagen annähernd 130.000 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung vor.
Diese steigende Zahl veranlasste dann die CDU/CSU ein Normenkontrollverfahren einzuleiten, das die Verfassungsmäßigkeit der Novelle überprüfen sollte. Im wesentlichen fürchtete die CDU/CSU um die Wehr- und Verteidigungsbereitschaft und sah die Gefahr, daß die allgemeine Wehrpflicht mit dieser Novelle abgeschafft würde, da sich ja hinfort alle ‚unechten‘ Kriegsdienstverweigerer aus der Bundeswehr ‚abmelden‘ könnten.
Jedoch auch die Bundesregierung scheint in der Praxis nur an der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr interessiert zu sein, die sie ja gegen angeblich ‚unechte‘ Kriegsdienstverweigerer sichern will, denn sie verzichtet ja auf einen Widerspruch gegen die einstweilige Aussetzung der Wehrdienstnovelle. Außerdem legte sie noch während der Verhandlung vor dem BVG einen Katalog von Maßnahmen vor, die den Zivildienst zu einer ‚lästigen‘ und ‚unangenehmen‘ Alternative machen sollten, um die Zahl der Verweigerer zu reduzieren.
Sehr deutlich wird bei diesen Angriffen gegen das Grundgesetz, daß unser Staat sich kaum mit den Grundrechten, sondern vielmehr mit der Bundeswehr identifiziert.
Die Argumentation, es gäbe unechte Kriegsdienstverweigerer, ist unsachgemäß. Da die Kriegsdienstverweigerung Teil der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 GG ist, wird in Art.12 a, Abs. 2 GG nicht ohne Grund auf die Freiheit der Gewissensentscheidung Bezug genommen. Diese Freiheit gehört zum Grundrecht notwendig hinzu. Wer ihr gegenüber Maßstäbe über Echtheit oder Unechtheit des Gewissens aufstellen will, zerstört sie von vorneherein.
Freiheit birgt immer die Gefahr des Mißbrauchs. Aber staatlicher Gewissenszwangs ist wesentlich gefährlicher. Die Tausende emigrierter und kriminalisierter Kriegsdienstverweigerer, die nicht anerkannt worden waren, zeigen jedenfalls die Notwendigkeit geschützter Gewissensfreiheit. Kriegsdienstverweigerung ist ein Grundrecht und nicht strafbar.
Bei der Diskussion um das Problem ‚Kriegsdienstverweigerung‘ war für die CDU/CSU und die Regierung allein der Vorrang der militärischen Verteidigung der Ausgangs- und Endpunkt aller Überlegungen. Vor allem die CDU/CSU verfolgte mit ihrer Klage den Zweck, das Prinzip der militärischen Verteidigung verfassungsrechtlich zu zementieren und unantastbar zu machen. Nicht-militärische Sicherheitspolitik, Pazifismus oder Abrüstung sollen damit als mit der Verfassung unvereinbar dargestellt und abgewertet werden.
Die DFG/VK und alle anderen antimilitaristischen Verbände und Menschen in unserem Land sind durch die gegenwärtige Entwicklung gefordert wie kaum je zuvor. Wenn das Bundesverfassungsgericht am 1.März 1978 seine endgültige Entscheidung über die Klage der CDU/CSU verkünden wird, ist nach den jetzigen Schritten und Äußerungen der Regierenden kaum zu erwarten, daß dem Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung getragen wird. Und dann liegt es mal wieder bei uns allen, dafür einzutreten, daß die Position eines elementaren Grundrechtes unserer Verfassung gegen die Anmaßungen militärischer Vorrangansprüche gewahrt und durchgesetzt wird.
Die neue Rechtslage
Wer zwischen dem 1.August und dem 15. Dezember 1977 durch einfache Erklärung den Kriegsdienst verweigert hat, muß jetzt ein Prüfungsverfahren mitmachen. Endgültig als Kriegsdienstverweigerer ist nur anerkannt, wer schon zum Zivildienst einberufen ist oder eine Annahmeerklärung des Bundesamtes für den Zivildienst hat.
Alle Kriegsdienstverweigerer, deren laufendes Anerkennungsverfahren durch das neue Gesetz am 1. August 1977 erledigt wurde, müssen ebenfalls wieder zur Gewissensprüfung. Ausnahme auch hier: Einberufung zum Zivildienst.
Kriegsdienstverweigerer, die zwischen dem 1.8.1977 und dem 15.12.1977 eine Erklärung abgegeben haben, sollten diese unverzüglich gegenüber dem Kreiswehrersatzamt begründen und darauf hinweisen, daß die Erklärung als Antrag nach jetzt wieder geltendem alten Recht verstanden wird.
Anträge und Erklärungen als Kriegsdienstverweigerer sollten auf keinen Fall zurückgezogen werden, denn damit kann die aufschiebende Wirkung verloren gehen und es droht Einberufung zur Bundeswehr.
Die über 180 Beratungsstellen der DFG/VK informieren ausführlich über das jetzt geltende Recht.
Stellungnahme der DFG/VK
Anmerkung der Redaktion:
Obwohl das Erscheinungsdatum dieses Rotdorn nach dem 1.März liegt, die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts also bereits gefallen sein wird, wenn diese Ausgabe erscheint, war es uns wichtig, die Entwicklung der
Diskussion und die Stellung der DFG/VK zu dokumentieren. Ganz aktuelle Informationen bekommt man auf den Gruppenabenden der DFG/VK, die an jedem 2. und 4. Dienstag im Monat um 20.00 Uhr im Nebengebäude des Pumpwerks stattfinden.
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