Südzentrale
Apr 292011
 

Grabesruhe oder Auferstehung?

Südzentrale: Ein Ort der Andacht, der Trauer – und der Hoffnung

 

Südzentrale Maschinenhalle

Südzentrale, Maschinenhalle

(iz) Am Ostersamstag versammelten sich über 100 Menschen vor der Südzentrale, der letzten Station der diesjährigen Reihe “Passionspunkte” der Christus- und Garnisonkirche. Wurde das einzigartige Denkmal der Industriekultur endgültig zu Grabe getragen oder kann es doch noch wieder auferstehen?

Südzentrale Treppe MaschinenhalleWährend der Karwoche wurde an verschiedenen “wunden Punkten” der Südstadt zur Andacht geladen. “Die ausgewählten Brennpunkte in der Südstadt haben allesamt etwas mit Leiderfahrungen zu tun“, so die Organisatoren, und sind gleichzeitig interessante Orte, die etwas zur Geschichte Wilhelmshavens erzählen. Ostersamstag ist in der Passionsgeschichte der Tag der Grabesruhe, und letzter Passionspunkt ist immer ein “Toter Punkt”, wie Pastor Frank Morgenstern erläuterte. Es war naheliegend, hierfür die Südzentrale auszusuchen. „Lebensende! Ein letzter Blick.“ war das Motto. “Hier ist alles bereit zum letzten Schritt – wirklich?” setzte er hinzu, um noch ein bisschen Hoffnung zu lassen für das abrissgeweihte Gebäude.

Als Denkmals-Fachfrau war Corinna Nickel eingeladen, die ihre Diplomarbeit der Südzentrale widmete und sich seit über zehn Jahren für den Erhalt des Industriedenkmals einsetzt – sie ist “eine Leidende in Sachen Südzentrale” so Morgenstern. Mit eindrücklichen Worten rollte Nickel die Geschichte und Bedeutung des Marinekraftwerks auf, “seinerzeit das größte und anspruchsvollste Kraftwerk Deutschlands” (sogar Europas – red.), “zeitgenössisches Hightech”. Doch seit der endgültigen Stilllegung 1993 steht die Südzentrale, “stark gealtert und allein gelassen, vergessen, ungewollt und ungeliebt für viele nur noch als Schandfleck da … Während unsere K-W-Brücke nach wie vor als Wahrzeichen der Stadt fungiert: Sie wird renoviert und restauriert. Und ihr Ansehen hat sich bis heute nicht geschmälert.” Dabei stellen Brücke und Kraftwerk seit 1908 ein architektonisches Ensemble dar.

Südzentrale Kran GegenlichtSeit 18 Jahren träumte die Südzentrale wie Dornröschen in einem ungestört wachsenden Biotop vor sich hin. Dass vor einigen Wochen die Bäume und Sträucher radikal gerodet wurden, war ein Hinweis auf konkrete Abrisspläne. Die Südzentrale tut neubaugierigen Investoren nicht den Gefallen, einfach in sich zusammenzufallen. Das Eisenfachwerk, “wie in der Weltausstellung in Paris”, ist schier unkaputtbar. “Die charmante alte Dame der Architektur behält ihren Stolz. Genau dieser Stolz ist es wohl, der ihr verbietet, einfach zu sterben. Dafür war sie immer zu wichtig für die Stadt und für die Werft. Für die Menschen, die sie ernährt und versorgt hat … Das letzte architektonische Wunderwerk aus der Kinderstube unserer Stadt.”

Musikalische Metaphern

Frank Morgenstern ist ein moderner Pastor, der geschickt Religion und Weltliches miteinander verknüpft, um seine Kirche im Gespräch und seine Schäfchen beisammenzuhalten. So war auch der für die Andacht gewählte Liedvers passend gewählt: “… die Welt nimmt schlimmen Lauf, Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf. Das Unrecht geht im Schwange, wer stark ist, der gewinnt …” diese Zeilen können auch kämpferische Atheisten schmerzfrei mitsummen.

Weltliche Popsongs zum Thema Liebe und Abschied steuerten Conny Joswig (Gesang) und Olli Kuhnt (Keyboard) bei. Die Titel konnte man durchaus auf die Südzentrale projizieren: “Nothing compares 2 U” – ein einzigartiges Baudenkmal; oder noch besser “My heart will go on” aus Cameron’s “Titanic”-Verfilmung: schließlich stammte der 1912 fertiggestellte (und gesunkene) Ozeanriese aus der gleichen Epoche wie das Kraftwerk, als die Architektur Funktionalität und Ästhetik miteinander zu verbinden verstand.

Corinna Nickel zitierte zum Abschluss ihrer Ansprache aus dem Song “Hoffnung” von Jan Delay: “Und dass die Hoffnung als Allerletztes stirbt …” Ganz aufgegeben hat sie noch nicht. Zu Recht. Trotzdem konnte einem, mit Blick über die Trauergemeinde vor dem Holzkreuz über den Zaun und die plattgemachten Gehölze hinweg zur Südzentrale, auch ein anderer Delay-Song in den Sinn kommen:

Alles ist im Arsch und alles ist am Ende / Und alles was du noch sagst ist: ‘Hätte, würde, könnte’ … jetzt ist alles kaputt und alles defekt / Nur noch Asche und Schutt und Galle und Dreck / Alles ist futsch und alles ist weg … / Alles ist im Arsch und alles ist am Ende / Und alles was du noch sagst ist: „Hätte, würde, könnte“ / Erst war’s egal, weil es immer irgendwie geht / Man hat nie etwas getan, aber jetzt ist es zu spät …

Rückeroberung

Nach Ende der Andacht setzte eine zielstrebige Bewegung Richtung Zaun ein. Durch das legendäre Loch zu schlüpfen, war wohl verwegener und symbolischer, als das an diesem Tag geöffnete Tor zum Gelände zu benutzen. Einige nahmen trotz Warnschild auch das Gebäude von innen in Augenschein. Was die Statik betrifft, hat man nach wie vor das Urvertrauen, dass einem nicht gerade in diesem Moment ein 20 Meter hoher Stahlträger auf den großen Zeh fällt. (Vermutlich hätte die Südzentrale auch die Kollision mit einem Eisberg überstanden, zwei Weltkriege hat sie immerhin überlebt.) Allen, die drin waren, schien es das Risiko wert, das zu empfinden, was Corinna Nickel zum Ausdruck brachte; “Jeder, der sich nur einmal in die Hallen der Südzentrale wagte, ist fasziniert von der Gewaltigkeit und der Monumentalität … Zu sehen und zu spüren, welche Wichtigkeit dieses Kraftwerk gehabt haben muss, entgeht hier niemandem … Man hört noch immer irgendwie das Rauschen und Rattern der Anlage. Und man sieht den großen Laufkran und meint, er würde sich jeden Moment in Bewegung setzen können … Nur mit einer neuen Nutzung kann dieses Gebäude überleben. So wie wir, eine Zukunft haben.”

Schaut auf diese Stadt!

Nach wie vor genießt die Südzentrale überregional Aufmerksamkeit, wie zuletzt der lesenswerte Beitrag “Niedergang eines Monuments“ in der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. April 2011 belegte: “Die Architektur des Berliner Baumeisters Fritz Rieckert geriet zu einem Tempel des 20. Jahrhunderts – mit leisen Anklängen an den Jugendstil. MonumeSüdzentrale Front von linksntalität und Leichtigkeit vereinen sich im 20 Meter hohen Giebel des Maschinenhauses. Zusammen mit der Drehbrücke bildet das Kraftwerk der Kaiserlichen Werft ein Ensemble, das einst den wirtschaftlichen und militärischen Anspruch des Reiches belegte – so wie der Reichstag in Berlin den politischen Anspruch dokumentierte. Der Kaiser persönlich kümmerte sich um die Pläne des Kraftwerks und diktierte dem Architekten sogar Änderungen. Das Bauwerk repräsentierte das Deutsche Reich – unter dieser Vorgabe wurde es entworfen … Geradezu programmatisch vereint so das Denkmal-Ensemble am Südhafen technisch-industrielle Größe (Drehbrücke), architektonische Monumentalität (Hauptgebäude des Marinekraftwerks) und bürgerliche Behaglichkeit (Nebengebäude). In der Vergangenheit wurde dieses Ensemble deshalb sogar zur Aufnahme in die Liste des Unesco-Weltkulturerbe vorgeschlagen.”

Schade, dass es mit dem Welterbe nicht geklappt hat. Das hätte, wie beim Wattenmeer, internationales Renommée gebracht und nebenbei interessante finanzielle Fördertöpfe geöffnet. Vielleicht wäre die Südzentrale, hätte die Stadt sich bemüht, heute ein Ankerpunkt der europäischen Route für Industriekultur, so wie die Zeche Zollverein, die Nordwolle in Delmenhorst, das Erzbergwerk Rammelsberg in Goslar oder die Meyer Werft in Papenburg, und damit auch eine Touristenattraktion par excellence.

Hätte, würde, könnte. Kaiser Wilhelm hat sich, aus linkspolitischer Sicht, nicht mit Ruhm bekleckert. Aber hier hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt, das es verdient hätte, erhalten zu werden. Die belanglose Bronzestatue des Despoten gegenüber der Garnisonkirche könnte man getrost für die Sanierung der Südzentrale in Zahlung geben.

Am 18. Juni 2011 werden im Marinemuseum noch einmal bundesweit renommierte Fachleute aus Architektur und Denkmalpflege zu einem Symposium in Wilhelmshaven zusammenkommen, um die Bedeutung der Südzentrale, auf einer Stufe mit bundes-, europa- und weltweit bekannten Denkmalsbauten, zu beleuchten und zu diskutieren.

Vielleicht gibt es noch eine Chance. Um in der Symbolik der Passionszeit zu bleiben: Schließlich ist Jesus auch wieder auferstanden.

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