Angst?
Aug 191991
 

"Die wollen Deutschland reinigen"

Wieder eine Serie von Skinhead-Übergriffen in Wilhelmshaven

(noa) Wie schon einmal im Frühsommer 1990 gab es auch in den letzten Monaten eine Serie von Straftaten, begangen durch Skinheads. Die Taten reichen von Belästigungen über Schußwaffengebrauch bis hin zu schwerer Körperverletzung und versuchter Tötung.

In Wilhelmshaven machte sich Angst breit. Wir wissen von Leuten, die sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr allein auf die Straße trauen, und es gibt eine Reihe von Leuten, die nur noch bewaffnet aus dem Haus gehen. Und nachdem Skinheads einem türkischen Jungen den Kopf kahlgeschoren haben, überlegen in Wilhelmshaven lebende Türken, ob sie sich ihrerseits organisieren und gegen die Skinheads vorgehen sollen.

Schon wieder vorbei?

Nach Aussage von Herrn Buja, dem Leiter der Schutzpolizei, handelt es sich bei den Skinhead-Überfallen um eine Welle, die schon wieder im Abebben begriffen ist. In der Annenstraße, wo eine Wohngemeinschaft von Skins über Monate hinweg die Nachbarn in Angst und Schrecken versetzt hat, sei nach der Zwangsräumung wieder Ruhe eingekehrt, und die Ende Juli erfolgte Verhaftung zweier Täter sowie die Verurteilung eines Skins zu einer dreijährigen Haftstrafe hätten die Wilhelmshavener Skinheads wohl soweit eingeschüchtert, dass sie sich nun zurückhielten. Überdies seien zwei auswärtige „Sympathieträger“, die einen großen Einfluß gehabt hätten, mittlerweile abgereist.
Bei der Kriminalpolizei antwortete man uns auf die Frage, wie viele Skinheads es denn nun in unserer Heimatstadt gebe, sogar: „Gar keine mehr!“ Vier befänden sich in Haft, und das seien schon alle gewesen, von denen schwerere Straftaten wie in den letzten Monaten zu erwarten seien.
Nur: All das hatten wir schon einmal. Nach den Übergriffen im letzten Sommer war auch erst einmal Ruhe eingekehrt, die nur bis zu diesem Frühling anhielt. Und die aus der Annenstraße ausgezogenen Skins halten sich nach Beobachtungen von Banter BürgerInnen immer noch im Viertel auf. Ganz offensichtlich gibt es in Wilhelmshaven eine Anzahl gewaltbereiter junger Männer, die von entsprechenden „Köpfen“ dazu veranlasst werden können, Menschen ohne erkennbaren Grund anzugreifen und krankenhausreif zu schlagen.

Wer macht so etwas?
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GEGENWIND-Umfrage vom 3. August 1991

Was sind das für Leute, die offenbar keine Hemmung verspüren, anderen Menschen unter Umständen sogar das Leben zu nehmen? Werner Biehl, Lehrer und Mitarbeiter der „Querele“, hält „die Skins alle für Masochisten – die nehmen eine so konträre Stellung gegen die Gesellschaft ein, daß sie nur noch Verachtung ernten; und aus dieser Verachtung beziehen sie ihre Stärke und verhalten sich entsprechend sadistisch.“ Ähnlich äußerten sich auch einige der WilhelmshavenerInnen, die wir am 3. August in der Marktstraße befragt haben (siehe Kasten). Da gab es Einschätzungen wie „ich halte diese Leute für psychisch krank“ oder „die brauchen Psychotherapie“. Die beiden Skinheads, die bei den Überfällen in Klein Wangerooge und im Kurpark eine Führungsrolle hatten und die, wie die WZ am 30. Juli meldete, in einer Autobahnraststätte in Süddeutschland verhaftet wurden, waren auf dem Weg zur Fremdenlegion.
Eine Frage, die immer wieder diskutiert wird, ist die, ob die Skins in irgendeiner Weise politisch motiviert sind. Die Wilhelmshavener Kripo verneint diese Frage. Mit dem Zitat eines Kripo-Beamten: „Die meisten wissen nicht einmal, ob man Hitler mit i oder ie schreibt“, wird begründet, daß „von Rechtsradikalen im politischen Sinne (…) keine Rede sein“ könne (WZ vom 3. August). Dass ausgerechnet das 7. Kommissariat (die politische Polizei) mit den Skinhead-Straftaten befaßt ist, erklärte man uns damit, daß die Beamten dieser Abteilung die besten Szenen-Kenntnisse haben. Beamte des K 7 führten uns gegenüber genauer aus: „Das sind Jungen, die aus der untersten sozialen Schicht stammen und überhaupt leine Ahnung von Politik haben. Die haben keinen Schulabschluß und keine Berufsausbildung, und sie finden keine Arbeit. Und die Arbeitsplätze, für die sie noch in Frage kämen, werden eher mit Ausländern besetzt, weil diese zuverlässiger sind. Die erleben die Ausländer dann als Konkurrenten und nehmen ausländerfeindliche Parolen willig auf. Aber eine politische Haltung steckt dahinter nicht.“

Kein politischer Hintergrund?
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GEGENWIND-Umfrage vom 3. August 1991

Da fragt man sich aber doch, was – wenn nicht Äußerungen von Rechtsradikalismus – Hakenkreuzschmierereien, „Sieg Heil“-Rufe, Singen von Nazi-Liedern, das Feiern von Hitlers Geburtstag oder das Aufpflanzen der Reichsflagge sind. Eine Unsicherheit über die korrekte Schreibweise des Namens Hitler ist da kaum ein Hinweis. Es wird ja z.B. auch Wilhelmshavener Christdemokraten geben, die den hiesigen CDU-Vorsitzenden Erich Mars schreiben würden.
Und auch wenn der bekannte Wilhelmshavener Nazi Thorsten de Vries in seinem am 14. August in der WZ abgedruckten Leserbrief die Skins als „sozial gestörte Verrückte“ bezeichnet und sich deutlich von ihnen distanziert, so ändert das doch nichts daran, daß die Skins sich selbst als Rechtsradikale bezeichnen. Zu einer politischen Haltung gehört nicht unbedingt Geschichtsbewusstsein – das haben uns unsere Eltern und Großeltern, die vor knapp 60 Jahren zuließen, daß die Nationalsozialisten an die Macht kamen, vorgeführt.
Bei unserer Umfrageaktion antwortete eine 14jährige Schülerin, die mit Skinheads befreundet ist, auf die Frage nach deren Motivation: „Die wollen Deutschland von den Ausländern reinigen.“ Das erinnert fatal an 1932.
Überdies hat der Nazi de Vries zumindest bis vor wenigen Monaten Kontakt zu Skinheads gehalten und versucht, sie für seine politischen Ziele einzuspannen – ohne Erfolg allerdings, was auf den ersten Blick erstaunt, da das Nazi-Gedankengut bei dieser Gruppe doch auf fruchtbaren Boden fällt; verständlich vielleicht auf der Grundlage, daß die Mitgliedschaft in einer rechtsradikalen Partei eine Disziplin und Zuverlässigkeit erfordert, die diese Jugendlichen nicht aufbringen können oder wollen.
Entwarnung ist also sicher nicht angesagt. Ob nun Masochisten, sozialgestörte Verrückte oder arme Würstchen, die unter Einfluß von Alkohol ihren Frust abreagieren – bei entsprechender Führung werden diese Leute jederzeit wieder losziehen und Unbeteiligte angreifen und verletzen. Die Aktivsten sind jetzt erst einmal aus dem Verkehr gezogen, und die Polizei erhofft sich davon eine abschreckende Wirkung auf die Mitläufer.
Die Bedingungen, unter denen diese Jungen so viel Frust und Wut angesammelt haben, daß sie bereit sind, auch den Tod eines Menschen in Kauf zu nehmen, haben sich aber dadurch nicht geändert.

„Gezielte Sozialarbeit“

Auf unsere Frage, was wegen der Skinhead-Problematik zu tun sei, antworteten uns mehrere GesprächspartnerInnen, man müsse diese Jungen von der Straße holen und ihnen Arbeit geben. Und die Stadt „will der zunehmenden Gewalt mit gezielter Sozialarbeit begegnen. Ab 1.September wird sich nach den Worten von Sozialdezernent Wolf-Dietmar Milger ein ‚Streetworker‘ um jugendliche Alkoholiker, Drogenabhängige und Skinheads kümmern.“ (WZ vom 3. August)
Die Einstellung eines einzigen Streetworkers für diese drei Personengruppen zusammen als „gezielte Sozialarbeit“ zu bezeichnen, ist wohl ein wenig hoch gegriffen. Für den Streetworker kann man da nur hoffen, daß die optimistische Einschätzung der Kripo, es gebe jetzt gar keine Skinheads mehr, zutrifft. Daß diese eine Stelle bei weitem nicht ausreicht, das sieht sogar Herr Milger ein. Er hofft, wie er gegenüber dem GEGENWIND erklärte, darauf, daß die Träger der freien Wohlfahrtspflege einspringen werden, denn die Finanzen der Stadt lassen es nicht zu, mehr als eine Stelle einzurichten. Und hier schließt sich der Kreis: Die immer offensichtlicher werdende Armut in dieser Stadt, die die Entstehung von Frust und Aggression begünstigt, verhindert gleichzeitig ein Vorgehen dagegen.

GEGENWIND-Umfrage am 3. August 1991

  • Welche Empfindungen haben Sie, wenn Sie von den Skinhead-Übergriffen lesen?
  • Was sollte Ihrer Meinung nach dagegen getan werden?
  • Aus welchen Gründen machen Ihrer Ansicht nach die Skinheads so etwas? Steckt eine politische Motivation dahinter?

Diese drei Fragen stellten GEGENWlND-MitarbeiterInnen am Vormittag des 3. August in der Marktstraße 32 zufällig ausgewählten PassantInnen im Alter zwischen 14 und 80 Jahren.
Es ist zu vermuten, daß die Antworten zum Teil beeinflußt waren durch den Artikel, der just an diesem Tag in der „Wilhelmshavener Zeitung“ gestanden hatte. Mehrere Befragte wußten z.B., dass die Schutzpolizei personell und materiell zu schlecht ausgestattet ist, um Belästigungen und Angriffe durch Skins zu verhindern.
Auch die in dem Artikel dargelegte Auffassung der Polizei, die Skinheads hätten keine politische Haltung und seien ahnungslos und dumm, wurde von vielen GesprächspartnerInnen auffällig prompt vertreten.
Beruhigend fanden wir, daß die Straftaten der Skins in Wilhelmshaven die Leute (zumindest bisher noch) nicht auf die Idee gebracht haben, eine Bürgerwehr zu gründen; im Gegenteil: Die meisten Befragten, denen wir dies Stichwort nannten, wiesen den Gedanken entschieden zurück.
Ein Wort noch zur Methodik unserer Umfrage: Streng sozialwissenschaftlichen Vorstellungen würde sie mit Sicherheit nicht genügen. Unsere Fragen waren nicht nach dem Wortlaut genormt, wir hatten sie uns nicht aufgeschrieben und haben sie nicht allen Befragten in der gleichen Reihenfolge gestellt. Zum Teil haben wir auch längere Gespräche mit den Leuten geführt. Vermutlich haben wir auch nicht den berühmten „repräsentativen Querschnitt“ der Bevölkerung erwischt. Trotzdem denken wir, daß wir die Stimmung der Wilhelmshavener Bevölkerung in etwa eingefangen haben.

 

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