Leserbrief
Aug 101992
 

Leserbrief zur Kommentierung und Berichterstattung über den 23.5.92 in GW 108

Die Berichterstattung mit vielen Fotos erinnert stark an die Vermarktung eines „wichtigen Ereignisses“. Begleitet von einer stark mit Textbausteinen (Worthülsen) (re)agierenden Kommentierung formt sich der Gesamteindruck, daß Kommentatorin und Kommentator hier einen Aktionismus mit Hilfe von Worten und Bildern betreiben. Umrahmt wird die „story“ von einigen Einschätzungen, worin zumindest von Kommentator und Kommentatorin zum Ausdruck kommt, von wem vor dem 23.5. (mal wieder) „derlei Spalterei“ betrieben wurde.Sie übersehen dabei die vielfältigen gegenseitigen Vorbehalte (Spaltung in vielen Köpfen), die latent bei den Bündnis-Treffen immer vorhanden war; und die auch durch die von der Kommentierung betriebene plakative und überhöhende Darstellung gewisser Vertretungs-Institutionen nicht wegzudiskutieren ist. Auch durch ein Hervorkramen „alter historischer Tatsachen“ bei passender Gelegenheit – ein nicht untypisches Geschichts- und Politikverständnis (vgl. GW S.4) lassen sich unterschiedliche und z. T. unausgesprochene Einschätzungen und Interessen nicht wegdiskutieren.
Nur wie ist mit einer unausgesprochenen Einschätzung umzugehen, die besagt: wir halten auf jeden Fall am Roffhausen-Treff für die Antifa fest; denn es ist für uns nützlicher, weil wir uns so die Option offenhalten, kurzfristig auf uns möglicherweise unliebsame Ereignisse durch ein (selbstgerechtes) Maß an Distanz zu reagieren.
Dieser „über den Dingen schwebende“ Ansatz wurde vor allem von einigen besorgten, männlichen Kulturexperten zum Gegenstand des eigenen Politikbegriffs gemacht (taktisch: wenn einige „wichtige“ Personen sagen, so und so ist es am besten, dann schließen wir uns einfach ohne Konturen an) Ein Rückzug von Wilhelmshavener Autonomen aus der „Spaltung in vielen Köpfen“ von dem von „47 Gruppen unterstützten“ Bündnis hat somit höchstens quasi-proportional und „über den Dingen schwebend“ stattgefunden.
Es stellt sich daher die Frage, welchen Sinn Bündnisse haben, die keine sind. Und darüber hinaus, welche Wünsche und Projektionen und, ach ja, politischen Ansätze für „breit“ mobilisierende und gleichzeitig „aufklärerische“ Aktionen geeignet sind. Denn was nützt es, „sich wieder mal zu treffen“ und selbstgefällige Einschätzungen über „die Bevölkerung“ auszutauschen. So bleibt zu wünschen, daß alle „23.5.92-Antifa“ ihren Spaß mit dem Groß-Ereignis hatten.
In Sachen Spaß noch zum Abschluß: wenn die Inhaber und Mitarbeiterinnen des Naturkostladens von einem „bösen Schnitzer“ getroffen wurden, so ist dazu u.a. zu sagen, daß so etwas wie Alltäglicher Faschismus und Rechtsextremismus jenseits von erlebnisreichen Veranstaltungen geschieht. Die BetreiberInnen haben sicher das „richtige antifaschistische Bewußtsein“, aber wann und wo haben sie mal zu ihrer Situation zusammenhängend Stellung bezogen. Sie haben quasi das „Pech“ gehabt, daß ihre Widersprüchlichkeit irgendwie bekannt wurde; ein „Seperatismus im Denken“ (Christina T.-Rohr), mit dem alle zu tun haben, die (leichtfertig) zu den guten Menschen gehören wollen.

Reiner Dunker


Um was „geht“ es eigentlich? Der Setzer

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