Grundgesetz
Sep 141992
 

Frauenrechte in die Verfassung

Wilhelmshavener Frauen formulieren Forderungen an die Verfassungskommission

(noa) Am 4. und 5. September fand in der Evangelischen Familienbildungsstätte ein Seminar zum Thema „Frauenrechte in die Verfassung“ statt. Dreizehn Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen erarbeiteten Formulierungen für Grundrechte, die die Gleichstellung der Frauen garantieren sollen.

Einige Teilnehmerinnen waren enttäuscht über die geringe Beteiligung. „Ich hatte damit gerechnet, daß es brechend voll sein würde“, sagte eine der Frauen. Doch das war wohl nicht zu erwarten: Sowohl die aufgrund des Einigungsvertrages eingerichtete gemeinsame Verfassungskommission des Bundestages und Bundesrates als auch die seither im ganzen Bundesgebiet veranstalteten Frauenversammlungen zur Formulierung von Forderungen an diese Kommission werden von den Massenmedien weitgehend ignoriert.
Seit dem 3. Oktober 1990 gilt das Grundgesetz auch in der ehemaligen DDR, und einen verbindlichen Auftrag zur Verabschiedung einer gemeinsamen Verfassung enthält es nicht. Wenn Frauen Grundrechte haben wollen, die ihnen das Grundgesetz vorenthält, dann müssen sie die Verfassungskommission massiv auffordern. Dass das Sinn hat und Erfolg verspricht, zeigt die Geschichte des Grundgesetzes: Nachdem der Parlamentarische Rat die Forderung nach Verankerung der Gleichberechtigung der Frau zweimal abgelehnt hatte, wurde er durch körbeweise Einzelproteste und Verbandsproteste aus dem ganzen Bundesgebiet zur Verabschiedung des Artikels 3 Absatz 2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ gezwungen.
Daß auch heute Waschkörbe voller Briefe erforderlich sein werden, um eine Verfassungsänderung zu erreichen, darüber waren die Seminarteilnehmerinnen sich schnell einig. Und so werden sie nicht nur selber an die Verfassungskommission schreiben, sondern auch überall, wo sie mit anderen Frauen (und Männern) zusammenkommen, dafür werben, die Kommission mit Post einzudecken. Die Adresse lautet: Gemeinsame Verfassungskommission des Deutschen Bundestages und Bundesrates, Bundeshaus, 5300 Bonn 1.

Nach einer Einführung .in das Verfassungsrecht diskutierten die Frauen in drei Gruppen die Artikel 3 (Gleichstellung von Mann und Frau), 6 (Ehe und Familie) und 20 des Grundgesetzes.

Die Arbeitsergebnisse des Seminars

Nachdem zunächst für den öffentlichen Dienst und dann auch für andere Arbeitsbereiche Frauenförderpläne entwickelt wurden, die die bevorzugte Einstellung von Frauen in den Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, vorsehen, klagen Männer zunehmend gegen ihre Nichteinstellung. Sie berufen sich dabei auf Art. 3 (2) GG – und bekommen von den Gerichten auch noch recht! Die Frauenförderpläne, zur Durchsetzung der Gleichberechtigung gedacht, werden von (männlichen!) Richtern umgedeutet als gegen die Gleichberechtigung verstoßend. Die erste Arbeitsgruppe formulierte ihn deshalb wie folgt neu:

  • (2) Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat hat die Bedingungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft zu schaffen. Zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung von Frauen zulässig.

Der Abschnitt (3) („Niemand darf wegen seiner…, seiner…, … benachteiligt oder bevorzugt werden“) klingt mit seiner Häufung des Wortes „seiner“ sehr männlich geprägt und berücksichtigt überdies einige gesellschaftlich benachteiligte Gruppen nicht mit. Die Neufassung der Frauen lautet:

  • (3) Keine Person darf wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer sozialen Stellung, ihres Alters, ihrer Behinderung, ihrer religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung benachteiligt werden.

Der Artikel 6 (Ehe und Familie) erlaubt die Benachteiligung von unverheiratet Zusammenlebenden und verhindert die Anerkennung von Lebensgemeinschaften gleichgeschlechtlicher PartnerInnen – während z.B. das Bundessozialhilfegesetz diesen für den Fall der Arbeitslosigkeit und Bedürftigkeit dieselben Einschränkungen auferlegt wie den steuerlich begünstigten Ehepaaren.

Er begünstigt außerdem die Benachteiligung von Frauen, indem er in Absatz (4) implizit festschreibt, daß die Mütter in der Hauptsache die Versorgung der Kinder leisten.

Die zweite Arbeitsgruppe hat den Artikel 6 wie folgt neugefaßt:

  • (1) Lebensgemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind, sind zu fördern.
  • (2) Frauen und Männer, die Kinder aufziehen oder für Hilfsbedürftige sorgen, stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. Kindererziehung und die Versorgung von Hilfsbedürftigen ist Recht und Pflicht von Frauen und Männern und darf keine Nachteile bringen.
  • (3) Kindern ist durch Gesetz eine Rechtsstellung einzuräumen, die ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit durch die Anerkennung zunehmender Selbständigkeit gerecht wird.
  • (4) Kinder genießen staatlichen Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Mißhandlung. Kinderarbeit ist verboten.

Die dritte Arbeitsgruppe befaßte sich mit den Bereichen Arbeit und Soziales. Sie veränderte Artikel 14 (2) GG:

  • „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch muß dem Wohle der Allgemeinheit dienen“

und erarbeitete als Artikel 20:

  • Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer, sozialer und ökologischer Rechts- und Bundesstaat. Er ist der Wahrung des Friedens verpflichtet.

Artikel 20 a

  • Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates.
  • Der Staat gewährleistet Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen und angemessenem Wohnraum.
  • Der Staat gewährleistet ein System der sozialen Sicherheit. Er sorgt insbesondere für eine Grundsicherung im Alter und bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Obdach- und Mittellosigkeit.
  • Der Staat ist verpflichtet, zum Schutz und zur Förderung der körperlichen und seelischen Gesundheit beizutragen.

Artikel 20 b

  • Durch Volksbegehren oder/und Volksentscheid kann der Bundestag mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung befaßt werden.

Artikel 20 c

  • Der Staat achtet und fördert die Rechte nationaler und kultureller Minderheiten.

Vordrucke mit den Grundrechtsformulieren können angefordert werden bei:
– Doris Steinhauer,
– Petra Meyer,
– Dr. Jutta Niedersen-Marchal
– Ursula Aljets,

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