Sinkende Besucherzahlen
Nov 021992
 

Schwarzes Theater

Wo liegen die Ursachen für sinkende Besucherzahlen im Stadttheater?

(iz) „Kein Grund zum Feiern“ bescheinigte die WZ dem Wilhelmshavener Stadttheater anläßlich seines 40. Geburtstages. Sinkende Besucherzahlen werden als Beweis für eine verfehlte Programmpolitik des derzeitigen. Intendanten Georg Immelmann angeführt. Der GEGENWIND überprüfte die Stichhaltigkeit dieser Vorwürfe.

„Die Kompromißfähigkeit der Intendanz, einen Konsens herstellen zu können zwischen dem Auftrag des Theaters, gesellschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen (Seismograph der Gesellschaft) und dem ‚Unterhaltungsbedürfnis‘ des traditionellen Theaterpublikums, ist wesentlich für den Gesamterfolg des Theaters.“
Zu diesem Ergebnis kommt eine statistische Auswertung der Besucherzahlen des Stadttheaters von 1958 bis 1991, die vom Kulturamt der Stadt vorgelegt wurde. Diese These wurde gleichzeitig in einer Podiumsdiskussion erörtert, zu der im Rahmen der Geburtstagsfeierlichkeiten am 18. Oktober Intendanten und Kulturdezernenten aus 40 Jahren Wilhelmshavener Theatergeschichte eingeladen worden waren.
Podiumsgäste waren die Intendanten Stromberg (1958-1973), Krüger (1973-79) und Immelmann (1979-1994) und die Kulturdezernenten und jeweiligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Landesbühne Niedersachsen-Nord Beutz, Meyer-Abich und (jetzt amtierend) Frank.
Leider können weder die Auswertung des Kulturamtes noch die Ergebnisse der Diskussion endgültigen Aufschluß über die derzeitige Theatermüdigkeit des Wilhelmshavener Publikums bieten. Im Mittelpunkt standen Fragen der Finanzierung und Programmgestaltung, während die Betrachtung des soziokulturellen gesellschaftlichen Wandels außen vor blieb.
Diskutiert wurde u. a. die Frage, inwiefern der Absprung von Mitgliedern des Zweckverbandes Landesbühne und Kürzungen bzw. andere Prioritäten im Haushalt der Stadt zur „Austrocknung“ des Theaters führen. Interessant in diesem Zusammenhang der Bericht von Herrn Beutz, daß die Bürger/innen der in Trümmern liegenden Jadestadt Anfang der 50er Jahre trotz wirtschaftlicher und sozialer Probleme (die heute auch wieder anstehen) bereit waren, „ihr“ Theater mitzutragen, den Umbau des ehemaligen Marineintendanzgebäudes zu finanzieren und durch Spenden die Bestuhlung ermöglichten.
Aufgabe der genannten Studie war es, die Ursachen für den derzeitigen Besucherrückgang des Stadttheaters zu untersuchen. Grundsätzlich ist es lobenswert, daß das Kulturamt den Aufwand einer statistischen Auswertung der BesucherInnenzahlen betrieben hat. Doch hängt die tatsächliche Aussage einer Statistik auch von den Einflußfaktoren ab, die zur Bewertung herangezogen wurden. Wenn im gleichen Zeitraum die Zahl der Klapperstörche und die Anzahl der Geburten steigt, so muß hier keine Korrelation, d.h. kein direkter Zusammenhang vorliegen. Indirekt kann natürlich ein dritter, nicht genannter Faktor – zum Beispiel die allgemeine Verbesserung der Umweltsituation – einen indirekten Zusammenhang herstellen.

Wenig aussagekräftig ist der Vergleich der Besucherzahlen des Stadttheaters, wenn dabei nicht andere Faktoren mit einbezogen werden: bundesweit vergleichbare Daten (Etablierung des Fernsehens, Verkabelung der Haushalte) und regionale/ örtliche Begebenheiten besonders im kulturellen Bereich (Eröffnung des Pumpwerks, des Jungen Theaters, der Stadthalle ... ) müssen in einer ernsthaften Betrachtung ihren Platz haben

Wenig aussagekräftig ist der Vergleich der Besucherzahlen des Stadttheaters, wenn dabei nicht andere Faktoren mit einbezogen werden: bundesweit vergleichbare Daten (Etablierung des Fernsehens, Verkabelung der Haushalte) und regionale/ örtliche Begebenheiten besonders im kulturellen Bereich (Eröffnung des Pumpwerks, des Jungen Theaters, der Stadthalle … ) müssen in einer ernsthaften Betrachtung ihren Platz haben

In der methodischen Beschreibung zur Theaterstatistik werden die Faktoren, die bewußt weggelassen wurden, auch aufgeführt. Dies ist z. B. das neben dem Theater bestehende Kulturangebot. So sinken die Besucherzahlen im Zeitraum der Eröffnung des Pumpwerks Ende der 70er Jahre (s. Grafik). Später kamen dazu u.a. die Perspektive oder das Junge Theater (wie sieht hier die Auslastung aus?), überörtlich z.B. das Bürgerhaus Schortens. Insgesamt hat sich das kulturelle Angebot im hiesigen Raum seit Mitte der siebziger Jahre verbessert und verbreitert.
Auch das überregionale Angebot tritt als Konkurrenz zum klassischen Musentempel Theater auf. Gegen Ende der achtziger Jahre wurde das Kabelfernsehen in Wilhelmshaven eingeführt – Unterhaltung billiger und bequemer (wenn auch nicht unbedingt besser) als ein Theaterbesuch.
Ebenfalls nicht berücksichtigt wurde die soziale Entwicklung im hiesigen Raum. Die Bevölkerung ist innerhalb des statistischen Zeitraumes um über 10% gesunken, sinkende Familieneinkommen setzen andere Prioritäten in der Höhe des Freizeitbudgets.
Große Resonanz, so räumt auch die Statistik ein, fand Immelmanns Programmgestaltung bei einer der schwächsten Gruppen unserer Gesellschaft, nämlich bei den Jugendlichen, die mittlerweile ihren Raum im Jungen Theater finden.
Der Vergleich mit anderen Städten hinkt ein wenig. Kommt die Untersuchung zunächst zu der Aussage, daß kein einheitlicher Trend zu verzeichnen ist, daß es sowohl andere Theater mit schlechteren als auch mit besseren Statistiken gibt, und dass von dort keine Aussagen über Spielplangestaltungen u. ä. vorliegen, so wird letztlich nur am Parallelbeispiel der Stadt Heidelberg „belegt“, daß „Spielplanangebot und Inszenierung maßgeblich sind für die Frequentierung des Theaters“. Dabei wurde der Faktor „Inszenierung“ eingangs als Bewertungskriterium für Wilhelmshaven ausgeklammert.
Nicht berücksichtigt wurde auch der Zeitraum der Intendanz. 14 Jahre (Stromberg) bzw. 11 Jahre (Immelmann) sind ungewöhnlich lange Fahrtzeiten auf dem Intendantenkarussell, das sich sonst mit der Regelmäßigkeit des Wechsels von Fußballtrainern dreht. Ein Vergleich der „Amtszeiten“ der drei Intendanten zeigt, wenn auch auf unterschiedlichem Gesamtniveau, Parallelen von Höhen und Tiefen zwischen Stromberg und Immelmann und selbst Krüger, der aufgehört hat, ‚kurz nachdem es am schönsten war sah sich gegen Ende seiner Ära mit sinkenden Besucherzahlen konfrontiert.

Eine noch weitergehende Auseinandersetzung mit der vorliegenden Untersuchung ist kaum erforderlich, um zu zeigen, dass hiermit wohl kaum die eingangs zitierte Aussage über die Kompromißfähigkeit des Intendanten belegt werden kann.
Last not least wurde in der Auswertung allerdings ein maßgeblicher Faktor ausgeklammert, nämlich die Presseberichterstattung. Die einzige Wilhelmshavener Tageszeitung, namentlich Frau Barbara Schwarz mit ihrem Kritikerinnenmonopol (der GEGENWIND berichtete mehrfach hierüber) scheint mit Methode Herrn Immelmann fertig machen zu wollen. Abgesehen von den Kritiken, die sich eindeutig einteilen lassen in „gut“ für Klassiker die klassisch inszeniert werden, und „schlecht“ für zeitgenössische Stücke, zumal wenn sie mit nackten Menschen und Kraftausdrücken garniert sind, fällt auf, daß es keine Vorankündigungen gibt. Die GEGENWIND-Kulturredaktion kann bestätigen, daß seitens der Landesbühne ausgezeichnete Vorankündigungen rechtzeitig verschickt werden, die ja schließlich Appetit machen sollen, ohne daß eine subjektive, vorbelastende Kritik vorliegt. Es fällt wirklich auf, daß jeder Liederabend der Heimatvereine mehr Chancen auf eine Vorankündigung in der WZ hat als die aufwendigste Inszenierung der Landesbühne.
Stellvertretend für alle, denen an einer Vielfalt der Kulturen und Geschmäcker gelegen ist, hat jedenfalls das Aktionsbündnis „Viele Kulturen – eine Zukunft“ dem Stadttheater zum 40. Geburtstag Mut zum Weitermachen gewünscht.

 

Aktuelle Inszenierungen der Landesbühne
Anläßlich der Feierlichkeiten zum 40.Geburtstag hat die Landesbühne an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Stücke präsentiert, welche das Spektrum ihrer Möglichkeiten widerspiegeln.

  • Da gab es zunächst „LOVE LETTERS“. Ein Paar, welches schicksalhaft nie zusammenfindet, lebt seine Beziehung über mehrere Jahrzehnte in Briefen aus. Zwei Stühle, das ist fast das ganze Bühnenbild; zwei Akteure, das ist die Besetzung; zwei Stunden, das ist der Zeitraum der Aufführung, während der ich mich zu keiner Zeit gelangweilt habe. Soviel Feinsinn steckte zwischen den Zeilen der Briefe, in den Gesichtsausdrücken, der Sprache, den Handbewegungen der beiden Schauspieler, daß noch im nachhinein so manches Aha-Erlebnis kam und ich mich mit anderen Zuschauern lange darüber unterhalten konnte. Zuschauer aus Oldenburg, nach ihrer Einschätzung befragt, waren total begeistert und bedauerten, daß solche Stücke am Staatstheater nicht auf dem Spielplan stehen.
    WZ-Kritik: vernichtend.
  • Am nächsten Abend die UFA-Revue. Diese fand wiederum nicht meine ungeteilte Begeisterung, was einfach eine Frage des Geschmacks ist. Dessen ungeachtet‘ finde ich es sagenhaft, dass Wilhelmshavener KünstlerInnen (stellvertretend Rainer Bielfeldt und Horst Busch) sowas selbst auf die Beine stellen können, statt nur auf Vorlagen Dritter zurückzugreifen. Und Experimente wagen wie die Einbeziehung junger Künstler aus der heimischen Musikszene (Martin Lignau) oder das Altentheater „Die Wellenbrecher“.
    Kritik in der WZ: maßlos begeistert, da bunt und unterhaltsam.

Alle, die das Gebaren von Frau Schwarz und ihrer überwiegend älteren, konservativen und oftmals intoleranten Anhängerschaft mit Spannung beobachten, freuen sich nun auf den 14.11. Am kommenden Samstag um 20 Uhr ist nämlich Premiere von Arthur Schnitzlers REIGEN, der schon von der Vorlage her (10 Paare vor und nach dem … igitt …) höchst unmoralisch ist, egal, wie die Inszenierung ausfällt. Und auf die können wir einfach gespannt sein!!!
(Es werden noch Wetten entgegengenommen, was die WZ dazu meint).

Imke Zwoch

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