Schwarze Listen
Jan 261994
 

Neonazis veröffentlichen eine Liste ihrer politischen Gegner – Manfred Klöpper, Kreisvorsitzender des DGB, wird erneut zur Zielscheibe der rechtsradikalen Szene

(ub) Mit der Herausgabe der „nationalistischen Widerstandszeitschrift gegen Rotfront- und Anarchoterror DER EINBLICK“ ist es den faschistischen Kräften in der BRD gelungen, ein bundesweites Medienspektakel auszulösen. „DER EINBLICK“ veröffentlicht die Namen, Adressen und Telefonnummern von ca. 250 AntifaschistInnen und fordert ihre braune Leserschaft zur „Ausschaltung aller destruktiven, antideutschen und antinationalen Kräften“ auf.

Als Anfang Dezember 1993 „DER EINBLICK“ in der rechtsradikalen Szene kursiert, stürzen sich private und öffentlichrechtliche Fernsehsender, Wochenzeitschriften und Tageszeitungen auf dieses braune Pamphlet und berichten ausführlich über die „neue Dimension des Psychoterrors der Neonazis gegen die antifaschistische Bewegung“, so Axel Rott, der stellvertretende Leiter der Kriminalpolizei im Regierungsbezirk Weser-Ems (WZ vom 6.12.93). Dieselben Medienvertreter, die beispielsweise den Hamburger Christian Worch, einen der Führer des militanten rechtsradikalen Spektrums, in sogenannten „Dokumentationen“ in seinem von high-tech-Kommunikationsmitteln bestückten Büro zeigten, sind plötzlich entsetzt, dass die Naziszene ihre schon lange bestehenden schwarzen Listen nicht mehr nur über Computermailboxen vertreibt, sondern jetzt auch in konspirativ verbreiteten Zeitschriften publiziert.

gw119_nazisDie Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt wegen Verdachtes der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen „unbekannte Täter“. Unbekannte Täter? Bereits Monate vor Erscheinen des „EINBLICK“ haben dessen Initiatoren aus dem Spektrum der sogenannten Anti-Antifa über bei der Post legal eingerichtete „Nationale Infotelefone“ ihre braune Anhängerschaft aufgefordert, Namen, Adressen, Telefonnummern, Kfz-Kennzeichen sowie Lebensgewohnheiten ihnen bekannter Antifaschisten zwecks Verbreitung zu übermitteln.

Die Oldenburger „ALHAMBRA-Zeitung“ weist darauf hin, daß es „sogenannte schwarze Listen nach 1945 immer wieder gegeben“ hat und erinnert an die Praktiken des Bund Deutscher Jugend (BDJ), wo „KommunistInnen und SozialdemokratInnen an erster Stelle solcher Pamphlete auftauchten. Nichts Neues also. Aber auch kein Grund zur Besorgnis?
Der GEGENWIND sprach mit Manfred Klöpper, einem der Betroffenen der Naziaktion. Eines der wesentlichen Ziele des „EINBLICK“, so Klöpper, „dürfte darin liegen, aktive Antifaschisten einzuschüchtern“. Er warnt davor, derartige Veröffentlichungen zu verharmlosen. „Wenn sich jedoch Nazigegner jetzt aus der antifaschistischen Arbeit zurückziehen, wäre ein wesentliches Ziel der EINBLICK-Macher schnell und leicht erreicht. Die Rechten dürfen mit derart simplen Methoden keinen Erfolg haben“ (Klöpper).
Manfred Klöpper berichtet über Telefonterror gegen sich und seine Familie. Eine auf seinen Namen bestellte Büchersendung – eine dreibändige „Enzyklopädie des Holocaust“ – wird ihm zugesandt. Makabrer Höhepunkt der Einschüchterungsversuche: in Mafiamanier wird ein Umschlag mit einer Patronenhülse im DGB-Haus abgegeben.
Aber auch bundesweite Solidaritätsbekundungen, Anrufe und Schreiben, die Manfred Klöpper in seiner antifaschistischen Arbeit bestärken und ihm Mut machen wollen, jetzt nicht klein beizugeben. Bestärkung auch vom Landesverband des DGB, der eine Solidaritätsunterschriftenliste startet.

Die Liste der im EINBLICK veröffentlichten Nazigegner ist sicherlich teilweise zufällig und willkürlich. Die Adressen von Infoläden, antifaschistischen Kommunikationszentren etc. sind aus“ Antifa-Kalendern und Alternativzeitungen abgeschrieben“ (ALHAMBRA-Zeitung). Die regionale Präsenz ist zudem abhängig von der jeweiligen örtlichen Aktivität der braunen Datensammler. Besonders aktiv waren sie offensichtlich im Auricher Raum. Der EINBLICK zählt 49 zumeist aus dem autonomen Spektrum bekannte Antifaschisten auf.
Und dennoch, ganz offensichtlich nicht ohne Grund konzentriert sich der Haß der alten und neuen Faschisten auf den Wilhelmshavener Kreisvorsitzenden des DGB. „Unser Augenmerk richtet sich gerade … auf die geistigen Brandstifter und (Ver)führer der verhetzten Jugend im schwarzen Block“ gegen die „Verbrecher in den Universitätssälen und gegen die Denker der linken Kommerzmafia“, heißt es, die Zielgruppe der Faschisten benennend, in dem Vorwort des „EINBLICK“.
Antifaschismus ist (wieder) verstärkt Thema gewerkschaftlicher Arbeit geworden. Der Kreis der antifaschistischen Aktivisten vergrößert sich. Berührungsängste zwischen den verschiedensten linken und demokratischen Organisationen und Bewegungen verkleinern sich. Scheinbar unüberbrückbare politische Differenzen treten zurück in der gemeinsamen Aktion gegen faschistische Gruppierungen. Der DGB-Funktionär Klöpper hatte in der Vergangenheit keinen geringen Anteil an dieser Entwicklung in Wilhelmshaven. Wenn sich dieser Prozeß fortsetzen läßt, ist es nicht schlecht bestellt um die antifaschistische Bewegung. Das wissen auch die Nazis.

 

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