Heldendenkmäler
Sep 271994
 

(iz) Seit einem Jahr setzten sich hellwache Wilhelmshavener BürgerInnen – ernsthaft oder satirisch, jedenfalls kritisch – mit dem ollen Wilhelm auseinander. Der Schriftsteller Peter O. Chotjewitz sieht die neuerwachte Liebe zum Bronzekaiser eher als nationales Psychodrama, zu dem er sich in einem gar köstlichen Essay geäußert hat. Es liest sich wie ein Gastbeitrag für die Lokalredaktion. Aus therapeutischer Sicht können wir den Wilhelmshavener Kaisergeschädigten einen auszugsweisen Abdruck nicht vorenthalten.

Die Rückkehr der Bronze- und Steinzeit

Über die Bedeutung von Heldendenkmalen für die Zubereitung von Bratwürsten und patriotischer Gesinnung

Der olle Bismarck übertraf sie alle: Luther, Dürer und die Klassiker, Feldherren, Könige und Kaiser, sogar Frösche und Enten. Der Zweitplazierte, Wilhelm I. von Preußen, brachte es nur auf etwa vierhundert Sockel.
Es empfiehlt sich also, im kommenden Herbst Helmut Kohl zu wählen, sonst steht er im Jahr 2014 vor jedem Rathaus, a1s heiliger Georg, der einen Drachen erlegt Sockelinschrift: „Dr. Kohl jagt Roter Oktober.“
Woher kommt diese Unsitte? Warum erträgt der Mensch leere Plätze so schlecht, daß er sie mit Trödel vollstellen  muß und warum ausgerechnet mit Figuren in Posen ohne Hemd und ohne Hosen, aber mit Helm aufm Kopf, wie Arno Schmidt (nicht zu verwechseln mit Arno Schreiber – Anmerkung der Redaktion) trefflich bemerkt hat?
Uradlige, hochdekorierte Schlachtermeister, zu denen einem nichts einfallt außer Blutwurst ist Rache …
Ein Wort des Trostes an alle BürgerInnen der ehemaligen DDR, die trauern, weil man ihnen jüngst ein paar Megatonnen Monumentalkitsch weggeschweißt, abgeklopft und hingeschmissen hat. Es lautet: Nur was im Kopf lebt, hat im Leben einen Sinn, und nur runtergeholt vom Altar des Vaterlandes, kann, was tot war, wieder zu leben beginnen …

Trotzdem: Was wäre eine schöne Revolution ohne Denkmäler, die umgestürzt und in die Luft gesprengt werden?

So betrachtet, sind Denkmäler nützliche Objekte … Was ich meine, erklärt uns die meterlange „Italienische Enzyklopädie“, die ich unserem Brockhaus vorziehe: „Monumento“ lesen wir da, auf deutsch „Denkmal“, auf englisch „memorial“, kommt von lateinisch „monire“, „mahnen“, und dient dazu, die Erinnerung an Personen und Ereignisse der Vergangenheit wachzuhalten.
Aber es kommt noch schlimmer: „Im Lexikon der lateinischen Inschriften bedeutet ‚Monument‘ schlichtweg ‚Grabmal‘.“ Was das Denkmal uns sagen will, ist in aller Kürze also nur dieses: „Hier liegt der Hund begraben!“ ..
Also: Nicht stürzen, was wir nicht leiden können, sondern rauf auf den Sockel, den Sockel, Nicht: Macht kaputt, sondern meißelt in Stein oder schneidet in Styropor, was euch kaputtmacht! …
Auch das gehört dazu, wenn· ich sage: Denk mal. Erstaunlich, wie wenig Denkmäler nichts mit Seuchen und Katastrophen, Hinrichtungen und Massakern, Abstürzen und Abschlachten zu tun haben.

Die Personen oben drauf sind meist die übelsten Schlächter …

Ein Exkurs über den Sockel darf nicht fehlen … an schönen Sommerabenden sitzen die Leute am Fuß des Sockels, lutschen Eis, knutschen und schauen den Tauben zu, die den Arbeiter der Stirn oder des Schlacht-Feldes und den Landesvater bekoten: Solange wir uns kennen, will ich dich Arschloch nennen!. ..
Das Denkmal, … als Orientierungsmarke in einer unübersichtlichen Landschaft, als i-Punkt mit reichlich Abfallcontainern für verwelkte Blumen und Pappteller, so versuchte mein Oberbürgermeister erst kürzlich sein jüngstes Dukatengrab zu preisen.

Gibt’s Anzeichen für eine baldige Rückkehr der Bronze- und Steinzeit?

Einige: der vorerwähnte Hohenzoller steht seit 1990 wieder auf dem Kölner Heumarkt, Koblenz hat seit 1993 seinen Kartätschenprinz zurück, der die Revolution 1848 niederschlug, und andere sollen/ werden folgen.
Wilhelmshaven will wieder einen Wilhelm haben, im süddeutschen Grenzgebiet gibt es Pläne, einen Preußen zu klonen und in Emden, auch so eine Grenzmark, hat man sich daran erinnert, daß irgendwo im Depot noch ein großer Kurfürst rumlag …
Ein glückliches Gemeinwesen ist Koblenz, wo ein betrunkener Yankee den Wilhelm vom Sockel ballerte, so daß nur der Kopf übrig blieb. Der Sergeant verwahrte ihn in seiner Armeekiste, bis er ihn nach der Wiedervereinigung, von Reue geplagt, nach Bonn ans Haus der Geschichte schickte, wo er jetzt am Steuer eines Trabbi sitzt, an dem eine Reichskriegflagge hängt …

Es sind meist betuchte Bürgerinitiativen, konservative Geldsäcke, die ihren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben wollen,

wie einst, als die Dinger aufgestellt wurden. Sie wissen, es setzt Zeichen und ist wieder erlaubt …
Was England recht ist mit seinem Bomber Harris, den USA mit Mickey Mouse überlebensgroß … kann uns nur billig sein.
Die Überführung des alten Fritz nach Potsdam war da nicht ohne Hintersinn.

Das Verschieben von Kadavern war stets eine hochpolitische Angelegenheit, egal ob en gros oder en détail ….

Das Gelände ist vermint, auf dem sich die Denkmalpfleger bewegen, das weiß sogar der Koblenzer Oberbürgermeister. „Wer nur herkommt, um sich darüber zu ärgern, dem können wir auch nicht helfen“, sagte er in seiner Wiedereinweihungsrede und lobte die Bereicherung der Silhouette. Er kennt die Bedeutung von Kriegerdenkmalen für die Zubereitung von Bratwürsten mit geistlichem Zuspruch und vierzig Umdrehungen oder alkoholarm.
Doch: „Landauf, landab erleben wir eine staatlich geförderte Renaissance sinnentleerten Preußentums“ , widerspricht ihm der lokale Bundestagsabgeordnete … und geht ins Bierzelt.
Die Mäzene und Verbündeten, lokale Zeitungsverleger, Rotarier und Rothaarige, verlegen sich deshalb lieber auf Nebenerwägungen: Das Denkmal als städtebaulicher Akzent, als „kulturpolitisches Zeitdokument ohne politische Wertung“, das Hunderttausende anlocken werde. Helfen wird’s ihnen nicht, wenn das Vaterland tatsächlich nach rechts abdriften sollte.

Die Trennung von Ästhetik und Inhalt hat noch nie funktioniert,

da sei Otto Normalverbraucher vor. Er vermutet ganz richtig: Wo Kitsch draufsteht, ist auch Kitsch drin, und Westerwald reimt sich auf Wind so kalt. Den mag er …
Wenn es irgendwo in diesem Freizeitpark ein Büschel Haare von Heinrich Himmler gäbe, würden sie es auch denkmalen. Es hat keinen Zweck, sich zu wehren. Das Ende der Geschichte ist längst über uns hereingebrochen. Kein Mensch weiß mehr, wo es langgeht, aber dafür sind wir schneller dort. Die nach uns kommen, werden erst mal eine Menge vergessen müssen.


Peter O. Chotjewitz, 1934 in Berlin geboren, studierte Jura, Publizistik, Geschichte und Philosophie. Lebt als freier Schriftsteller in Köln.

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