Kunstmarkt
Dez 131994
 

Zwischen Tradition und Innovation

4. Wilhelmshavener Kunstmarkt läßt noch Raum für Entwicklung

(ub/iz) Nach vier Jahren ist der Kunstmarkt, der alljährlich kurz vor Weihnachten in der Stadthalle abgehalten wird, aus dem lokalen Kulturgeschehen nicht mehr wegzudenken. Interessierte BesucherInnen, die sich durch regelmäßige Besuche einen Blick in den Spiegel der hiesigen Kunstszene erhoffen, sind auf Dauer allerdings etwas unterfordert: die richtige Dynamik mag sich nicht einstellen. Und auch die AusstellerInnen sind nicht durchweg zufrieden.

Vorweg: Die Veranstaltung soll hier alles andere als chronisch zernörgelt werden. Kunsthallenleiter Bernd Küster und Co-Veranstalter Jürgen Fromm von der Freizeit GmbH ist nach wie vor für ihre Idee und ihr Engagement zu danken. Unser Beitrag sei als konstruktive und motivierende statt frustrierende Kritik verstanden, als Feedback geneigter Außenstehender. Der GEGENWIND-Artikel zum ersten Kunstmarkt (der damals in einer schwindelerregend kurzen Zeit als Idee des Newcomers Küster auf die Beine gestellt wurde) wurde auch richtig aufgefaßt und diente später als Diskussionsplattform für das Vorbereitungsteam des nächsten Marktes.

Seitdem hat sich einiges deutlich verbessert, z.B. die Qualität der Ausstellungsflächen. Die KunsthandwerkerInnen sind räumlich abgetrennt, wodurch sie nicht als die „schlechteren“ oder banaleren KünstlerInnen (ein leider gängiges Vorurteil) ghettoisiert werden sollen, sondern sich innerhalb ihrer Sparte wirksamer präsentieren können.

Zwei Besonderheiten bot der diesjährige Markt. Erstens die Einführung der Wilhelmshavener „Kulturaktie“: Ein/e Künstler/in stellt gegen einmalige Abfindung ein Werk zur Verfügung; aus den Verkaufseinnahmen der limitierten Auflage werden andere kulturelle Veranstaltungen finanziert. Lobenswert: Solidarität unter Kulturschaffenden. Mit Vorsicht zu genießen: dies darf keine Rechtfertigung für das groß angelegte Streichprogramm im städtischen Kulturhaushalt sein nach dem Motto: es geht ja auch über Drittmittelfinanzierung.

Zweitens: die „Freizeit“ präsentierte zu ihrem 25. Geburtstag ein Kulturspektakel besonderer Art, die „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky live in der Stadthalle.

Unästhetisch

sind nach wie vor Teppichboden und Beleuchtung (und die Frikadellen an der Theke), die der Veranstaltung keinen passenden Rahmen bieten. Das i-Tüpfelchen ist das musikalische Hintergrundgedudel mit dem Charme einer Flughafen-Schalterhalle oder eines Supermarktes.

Vor allem fehlen aber Lebendigkeit und Dynamik. Der Markt sollte mehr als eine reine Verkaufsveranstaltung sein; Ausstellerlnnen, die sich das erhoffen, gehen nach zwei Tagen Beine-in-den-Bauch-stehen frustriert nach Hause. Zu verkaufen ist vor allem eine Idee, die Liebe, das Engagement, die Philosophie und das handwerkliche Können als Verbindung zwischen Kunstschaffenden und ihrer Arbeit – und zum Publikum.

Einblicke

Es wäre spannend, wenn mehr KünstlerInnen einen konkreten Einblick in ihre Arbeit gestatten würden, Staffelei, Stechbeitel, Druckpresse mitbringen würden. Das Publikum verliert die Distanz zum fertigen und steril ausgestellten Produkt; das Interesse an der eigenen Kreativität kann geweckt werden: Gegenwehr zum reinen Konsum. Auf der anderen Seite werden Qualitätsstandards sichtbar und die Grenze zwischen Hobby und Profikunst deutliche!. Kunst als solche wird an Wertschätzung gewinnen.

Querverbindungen

Experimentell sollten andere Kunstformen den Markt bereichern. Auf vergangenen Märkten gab es zum Beispiel „unplugged“ Beiträge junger Musiker, aus denen sich dann eine richtige Session entwickeln konnte – da griffen auch bildende Künstler mal zur Gitarre, und die spontane Verbindung zwischen verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen brachte wirklich Leben in die Bude.

Transparenz gefragt

Als Betrug empfand es ein Bewerber, daß er bei der Teilnehmerauswahl ausjuriert worden war. Nicht jede/r kann teilnehmen; verständlich die Enttäuschung. Doch nicht nur seine polemische Reaktion sollte dazu anregen, die Kriterien für die Auswahl des TeilnehmerInnenfeldes zu überdenken. „In behutsamer Weise“, so Küster, werden „die Maßstäbc für die Teilnahme heraufgesetzt.“ Wohin? Zählt nur das Optimum an handwerklichem Können, wird Qualität daran festgemacht, daß jemand sich bereits einen Namen erworben hat? Welchen Stellenwert hat die Motivation und Förderung von Nachwuchs-Artisten und last not least, der innovative Wert der ausgestellten Arbeiten, Dynamik und Entwicklung Einzelner und der gesamten Kunstszene.

Tatsächlich überwog Altbekanntes, nach dem Motto: eine Machart hat sich bewährt, also Finger weg von Experimenten. Ein Stil wird leicht zur Masche, vor allem, wenn die Bereitschaft fehlt. sich aufeinander einzulassen: durch krampfhafte Abgrenzung zielsicher in die künstlerische Sackgasse.

Befruchtung (er)zeugt Leben

Drei junge Künstler – Dirk-Agge Bothe, Mikael Seifert und Torsten Schütt – bewiesen, daß gegenseitige künstlerische Befruchtung sich lohnt. Als Gruppe, die sich mehr durch innerliche Verbundenheit als durch Outfit als solche der Öffentlichkeit präsentiert, haben sie sich einem Ensemble von spannenden, witzigen, aufwendigen Objekten gewidmet. Patentrezept: formale Einheit bei künstlerischer Vielfalt. Einer begann mit einem Objekt und reichte es dann zur Bearbeitung an den nächsten weiter, der es anschließend vom Dritten fertigstellen ließ. Die Endnote erteilte der beginnende Künstler. Das erfordert gleichwohl Vertrauen und Solidarität, Offenheit für Kritik und gemeinsame Entwicklung – Eigenschaften, die manchen auf der Jagd nach Profilierung verlorengegangen sind. Jedes Objekt spiegelt diesen Prozeß in seiner Lebendigkeit wieder und erzählt jedem Betrachter (mindestens) eine Geschichte.

Eine Bereicherung für den Markt sind auswärtige KünstlerInnen, die im Wettbewerb mit lokalen Teilnehmerinnen die hiesige Szene inhaltlich wie qualitativ beleben können. Und da sind eben auch „Highlights“, die den Erlebniswert des Marktes steigern: z.B. der Holländer Piet Gutter. ein handwerklicher Perfektionist, der mit Akribie die fotorealistische Malerei fast schon persifliert, oder die Oldenburger Werner Schieleit und Barbara Ottersbach, die mit handwerklich wie ästhetisch herausragenden Farbradierungen die Blicke der Besucher magnetisch anzogen.

Fazit: Entwicklungschancen

  • ästhetische wie technische Überarbeitung des Standortes einschließlich der Möglichkeit eines Standortwechsels (Perspektive, Pumpwerk, Kunsthalle?)
  • Überarbeitung der Auswahlkriterien für das Teilnehmerlnnenfeld mit Blick auf Vielfalt, Dynamik, Entwicklung und Innovation einzelner sowie der gesamten lokalen Kunstszene; ein Mindestkontingent an Neuzugängen im Austausch zu Dauergästen (Chancengleichheit!); eine Auswahl überregionaler TeilnehmerInnen (Belebung!); Förderung gruppenorientierter künstlerischer Arbeit (Anknüpfen an innovative Traditionen!)
  • spartenübergreifende Zusatzangebote (Livemusik statt Konserve, Theater, Performance, Film)
  • Präsentation künstlerischer Entstehungsprozesse.

Wir sind zuversichtlich: Der Kunstmarkt wächst mit seinen Aufgaben!

 

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