„Die kleinste Weltstadt mit Herz“
Diskussionsveranstaltung mit Michael Diers in der Ruscherei
(iz) Auf Einladung der BASU stellte WTF-Geschäftsführer Michael Diers ein Bündel von Ideen für die Entwicklung des Tourismus in Wilhelmshaven vor. Sein Vortrag löste eine lebhaft geführte mehr als zweistündige Diskussion aus.
Seit vier Jahren ist Michael Diers Geschäftsführer der Wilhelmshaven Touristik und Freizeit GmbH (WTF). In dieser Zeit hat er es geschafft, die WilhelmshavenerInnen zu polarisieren. Die einen halten ihn für genial, hat er es doch geschafft, Großveranstaltungen wie das StreetArt Festival, das Lichtermeer oder die Street Food Karawane in die Stadt zu holen. Andere halten ihn für einen „Spinner“. Seine Initiative, den Weg am Fuß des Südstranddeiches für Spaziergänger zu öffnen, hat die alt eingesessenen Strandkorbmieter gegen ihn aufgebracht, die bis dahin jahrzehntelang einen exklusiv ungestörten Blick auf den Jadebusen hatten.
Man kann ihn also lieben oder hassen, aber eins sollten selbst Kritiker ihm lassen: Diers brennt spürbar für seinen Job und für Wilhelmshaven, für ihn „die kleinste Weltstadt mit Herz“. Wohl deshalb macht es ihn traurig, zu erleben, wenn andere Dienst nach Vorschrift machen und immer nur meinen, dass etwas nicht geht, statt zu schauen, wie es denn gehen könnte. In seinen vier Jahren bei der WTF habe sich zwar schon einiges geändert, sagt er, aber eben noch nicht genug. Als er damals dort anfing, hatte er, bis dahin Rundfunkredakteur, „keine Ahnung von der Sache“, aber dieser Blick von außen sei eher ein Vorteil gewesen.
Was ihm fehlt, ist ein echter Verbund der etwa 20 touristischen Einrichtungen in Wilhelmshaven, „da darf sich keiner isolieren, wie die Kunsthalle es lange getan hat“. So schwebt ihm eine Verbund-Eintrittskarte vor inklusive Busnutzung. Wobei die fehlende Busanbindung an den Südstrand, an dem sich mehrere touristische Ziele ballen, eine weitere Baustelle ist. Mit dem neuen Leiter der Kunsthalle gäbe es hingegen konstruktive Gespräche.
2016 gab es 350.000 Übernachtungen in Wilhelmshaven mit einem Umsatz von 21,2 Mio Euro. 1,2 Mio Tagesgäste bringen weitere 30 Mio Euro ein. Dieses Gesamtpotenzial von über 50 Mio Euro ist ausbaufähig.
Ganz obenan steht für Diers das Weltnaturerbe Wattenmeer. Die direkte und geografisch zentrale Lage an diesem weltweit einzigartigen Naturgebiet ist ein touristisches Alleinstellungsmerkmal.
Das StreetArt Festival ist, so Diers, das größte dieser Art in ganz Europa. In diesem Jahr findet es (am 5. und 6. August) bereits zum 7. Mal statt und es haben sich schon über 100 KünstlerInnen angemeldet. Im Vorfeld ist eine StreetArt-Ausstellung in der Kunsthalle geplant. Vom 22. bis 24. August gibt es (zum 4. Mal) das Lichtermeer am Südstrand (Anm. d. Red.: als Veranstaltung am Weltnaturerbe eine passende Alternative zu Höhenfeuerwerken, die durch Lärm- und Lichteffekte vor allem die Vogelwelt beeinträchtigen und zudem einen Haufen Feinstaub und Müll hinterlassen). Vom 15. bis zum 18 Juni wird es erstmals ein Ballonmeeting im Banter See Park geben – und wohl gleichzeitig zum letzten Mal: ab 2019 soll dort das neue Wattenmeer Partnerzentrum gebaut werden, die Fläche wird bereits ab diesem Sommer für vorbereitende Maßnahmen durch die GGS gesperrt.
Neben weiteren konkreten Events in diesem Jahr wie der NDR Sommertour (Rathausplatz) und dem Pumpwerk Open Air präsentierte Diers eine Reihe von Ideen, die man realisieren oder verwerfen, aber auf jeden Fall vorher diskutieren könnte:
- Kunst-Boxen im öffentlichen Raum, die abends beleuchtet werden
- Hafenbar mit eigener Brauerei im ehemaligen Gebäude der „Lands End Gang“ unter der Kaiser-Wilhelm-Brücke
- Hausboote auf dem Kanalhafen (Leben & Wohnen am Wasser)
- Treppen am Bontekai zum Sitzen und Verweilen (wie z. B. an der Alster)
- Hafentaxi zwischen Bontekai und Südstrand
- Museumshafen an der Wiesbadenbrücke („wir haben als Hafenstadt nicht ein Schiff, auf das wir stolz sein können“, sagte Diers mit Blick auf das Feuerschiff Weser und die „Kapitän Meyer“, die seit Jahren am Bontekai vor sich hinrotten)
- Touristinfo direkt an der Jadeallee (in östlicher Verlängerung des WTF-Gebäudes am Banter Deich; war bereits projektiert, wurde aber nicht umgesetzt)
- Pumpwerk-Arena: Umgestaltung des Platzes an der Jadeallee, mit Treppen-Tribüne, Revitalisierung des Anbaus, Bühne, Beleuchtung
- Aufschüttung eines Sandstrandes am Fliegerdeich
- Monitore mit Stadtinfos an zentralen Stellen (derzeit bereits Umsetzung in öffentlichen Gebäuden, perspektivisch: Installation in jedem Hotel).
Das Ziel sei, so Diers, ein echtes „Hafenstadt-Flair“ zu schaffen und einen Bereich, den man gezielt aufsucht, um sich dort (auch unabhängig von Veranstaltungen) zu treffen.
Bis zur 150-Jahr-Feier der Stadt in zwei Jahren, da waren sich die Diskussionsteilnehmer einig, sollte noch einiges passieren. Diers‘ Vorschläge klingen sehr ambitioniert und kostspielig, das Publikum zeigte sich jedoch aufgeschlossen. Es wurden Beispiele für millionenschwere Projekte genannt, die sich nicht rentiert haben (wie das Gewerbegebiet Antonslust), für den JadeWeserPort wurde sogar mehr als 1 Milliarde aus öffentlichen und privaten Töpfen aufgebracht. Das Geld hätte man besser in touristische Infrastruktur investieren sollen, so die Meinung einiger Teilnehmer. Zudem gäbe es viele Förderprogramme, die von der Stadt nicht ausgeschöpft werden.
Bemängelt wurden verkrustete Entscheidungsstrukturen, der fehlende Mut, neue Wege zu beschreiten, und ein fehlendes „Wir“-Gefühl unter den Wilhelmshavenern. Andernorts, so der Eindruck, würden sich die Einwohner viel stärker mit ihrer Stadt identifizieren. Die einsamen Entscheidungen der Politik hier vor Ort machen es nicht besser, viele Bürger hätten die Lust verloren, sich einzumischen, in der Umsetzung einer (scheinbaren) Bürgerbeteiligung wie „Step plus“ finden sie sich nicht wieder. Es wurde der Wunsch laut, ein Bürgerforum einzurichten, das von diesen selbst gestaltet wird, statt von Politik und Verwaltung dirigiert zu werden.
Visionen und Provokationen
Neue Veranstaltungen wie das StreetArt Festival, das „Lichtermeer“ oder das Ballonmeeting ziehen nicht nur eine Menge Touristen an, auch für Einheimische ist es eine Bereicherung, solche interessanten Angebote direkt vor der Haustür zu haben. Doch, Hand aufs Herz: Deswegen entscheidet sich niemand, nach Wilhelmshaven zu ziehen bzw. hier zu bleiben. Für solche Events pendelt man am Wochenende auch gerne von Bremen oder Oldenburg oder Aurich an den Jadebusen und wieder zurück. Die alltägliche Lebensqualität macht sich an anderen Faktoren fest.
Touristische Attraktionen allein reichen also nicht aus, um auch das Image der Stadt als Wohnort zu steigern und den ungünstigen demografischen Wandel zu stoppen. Trotzdem lassen sich beide Themen – Tourismus- und Einwohnerentwicklung – nicht ganz voneinander trennen, denn den Schwierigkeiten in beiden Bereichen liegen die gleichen Ursachen zugrunde, die in der Diskussion identifiziert wurden: verkrustete Strukturen und ein fehlendes „Wir-Gefühl“. Manche Entscheidungsträger in der Stadt leben immer noch in Denkmustern der 70er Jahre. Um endlich davon wegzukommen, sind provokante Ideen, wie Michael Diers sie in die öffentliche Diskussion trägt, ein Schritt in die richtige Richtung.
Imke Zwoch
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