Wendepunkt
Aug 011997
 

Soziale Arbeit auf hohem Niveau

Wir stellen vor: „Wendepunkt e.V. Verein für ambulante Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz“

(noa) In dieser Ausgabe setzen wir nach längerer Pause die Reihe von Berichten über Initiativen und Vereine in Wilhelmshaven und Umgebung fort. Aktionen „von unten“ sollen nicht nur anläßlich ihrer Gründung, sondern auch nach einer Zeit ihres Bestehens dargestellt werden.

Der „Wendepunkt e.V.“ blickt auf ein Dreivierteljahr in eigenen Räumlichkeiten zurück. 1995 gründeten die Honorarkräfte, die im Auftrag des Jugendamtes ambulante Familienhilfe leisteten, diesen „Verein für ambulante Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz.“
Das KJHG löste 1991 das bis dahin bestehende Jugendwohlfahrtsgesetz ab. Dieses sehr restriktive Eingriffsgesetz war die Grundlage für die Entfernung zahlloser Kinder aus ihren Familien, und immer noch denken viele Menschen bei dem Wort „Jugendamt“ an die unfreundliche Außendienstmitarbeiterin, die nach Anzeige durch Nachbarn oder andere Mitmenschen ins Haus kam, um zu kontrollieren, ob die Kinder „ordentlich gehalten“ wurden.
Heute ist es nicht mehr so, daß die einem „die Kinder wegnehmen“.
Im Gegenteil ist das erklärte Ziel von „Wendepunkt“ „die Stabilisierung der Erziehungssituation in der Familie“, ausgehend von der „Grundannahme, daß durch die Weckung der Selbstheilungskräfte der Familien stationäre Maßnahmen verhindert werden können.“ (aus der Konzeption der Sozialpädagogischen Familienhilfe)
Um in diesem Sinn zum Schutz von Kindern arbeiten zu können, müssen die in der Sozialpädagogischen Familienhilfe tätigen Kräfte nicht nur über eine fundierte Ausbildung – als PsychologIn, (Sozial-)PädagogIn, ErzieherIn, KinderpflegerIn – verfügen, sondern auch ihre Arbeit regelmäßig reflektieren. Unter den Bedingungen, die die „Wendepunkt“-MitarbeiterInnen vor der Vereinsgründung hatten, als sie alle einzeln bei der Stadt ein Honorararbeitsverhältnis hatten, war das nicht gut möglich. Der Zusammenschluß in einem Verein hat insofern die Ausgangsvoraussetzungen für eine gute Arbeit verbessert. Einzel- und Gruppensupervision und kollegiale Fallbesprechungen sowie regelmäßige Fortbildungen sind in der Konzeption festgeschrieben und garantieren eine Arbeit auf hohem Niveau.

Zum 1.6. zog der „Wendepunkt“ eine Zwischenbilanz: 150 Kinder sind bis zu diesem Zeitpunkt betreut worden. 18 „Fälle“ (sprich: Familienhilfemaßnahmen) wurden abgeschlossen, wobei drei sich durch Wegzug erledigten und einer durch die betreute Familie abgebrochen wurde. Bei zehn Familien war die Arbeit erfolgreich im Sinne des Ziels, die Familien dazu zu befähigen, allein klarzukommen. In vier Fällen endete die Unterstützung damit, daß die Kinder doch aus der Familie genommen werden mußten, und obwohl dies dem erklärten Ziel der Familienhilfe nicht gerecht wird, wertet das „Wendepunkt“-Team auch dies als einen Erfolg im Sinne des KJHG. Dieses bestimmt nämlich in § 1 Abs. 1: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Wenn irgend möglich, so der Ansatz des Vereins, soll das in der eigenen Familie stattfinden, doch wenn sich herausstellt, daß die Familie nicht befähigt werden kann, das zu leisten, dann dient man den Kindern am besten, wenn man sie anderweitig unterbringt.
„In solchen Fällen fühlen sich die FamilienhelferInnen natürlich schlecht“, so Geschäftsführerin Dorthea Langer und 1. Vorsitzende Heidi Langlotz. Und in den betreffenden Familien sind sie danach nicht mehr gern gesehen. „Verständlich, wenn man bedenkt, daß wir ihnen dann klarmachen müssen, daß sie wirklich nicht in der Lage sind, ihre Kinder angemessen zu erziehen – selber sehen sie das natürlich nicht.“

250 Wochenstunden stehen dem Verein zur Verfügung. 240 Stunden gehen in die Familien in Form von Sozialpädagogischer Familienhilfe nach § 31 KJHG oder Erziehungsbeistandschaft nach § 30 KJHG. Beide Angebote müssen von den Familien beim Jugendamt beantragt werden. Es besteht eine Warteliste, d.h. daß der Verein auch mehr arbeiten könnte, wenn die Stadt die Mittel bereitstellen würde.
Zehn Wochenstunden sind der Gruppenarbeit gewidmet. Die regelmäßigen Teilnehmerinnen an der Müttergruppe sind Frauen, die ansonsten nirgends eingebunden sind und die Gruppe auch nur deshalb besuchen können, weil sie ihre Kinder währenddessen in guten Händen wissen – die spielen in den Räumen des Vereinsdomizils, während ihre Mütter tagen. Gut laufen auch der Miniclub und die Jungengruppe, während die Väter sich offenbar schwertun, so daß eine Vätergruppe noch nicht eingerichtet werden konnte.
Über die fest bewilligten 250 Stunden hinaus gibt es neuerdings ein weiteres Angebot. Familien in zugespitzten Krisensituationen, die keinen Ausweg mehr sehen, können auf wenige Wochen befristet intensiv begleitet werden.

Daß die Sozialpädagogische Familienhilfe, wie der „Wendepunkt“ sie durchführt, wesentlich preisgünstiger ist als die Fremdunterbringung von Kindern, ist für die Stadt erfreulich. Bei der Einweihung der Vereinsräume in der Rheinstraße 168 im Oktober vergangenen Jahres betonte Jugendamtsleiter Klaus Jürjens denn auch, daß die Kosten, die der Stadt durch die Heimunterbringung von Kindern entstanden sind, sich seit der Zusammenarbeit mit dem „Wendepunkt“ weiter reduziert haben, obwohl die Zahl der betreuten Kinder gleich geblieben sei. Die „Wendepunkt“-MitarbeiterInnen wollen nicht gerne damit werben. „Wir machen diese Arbeit, weil wir davon überzeugt sind, daß sie richtig ist. Das Kostenargument soll die Stadt anführen.“
Die spart gleich zweimal. Ist die Familienhilfe schon erheblich preisgünstiger als die Fremdunterbringung von Kindern, so reichen auch die dem Verein bewilligten Mittel nicht aus, um den FamilienherlferInnen „richtige“ Arbeitsverträge zu geben. Die Beschäftigten arbeiten immer noch, wie damals für die Stadt, im Honorarverhältnis. Doch der Verein hat diesen Punkt nicht aus den Augen verloren. Die Konzeption endet mit den Worten: „Für die Zukunft besteht die Forderung nach festen Arbeitsplätzen für das multiprofessionelle Team.“

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