Traditionspflege
Aug 261987
 

Zum Kotzen

Heß-Traueranzeige in der WZ stößt auf einhellige Ablehnung in der Bevölkerung

(woku) Selten stieß eine WZ-Aktion auf eine so einhellige Ablehnung in der Bevölkerung wie die Veröffentlichung der NPD-„Traueranzeige“ anläßlich des Todes von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß.

 wz„Dazu kann ich keine Auskunft geben,“ war die lapidare Antwort des WZ-Anzeigenleiters Werner Ehlert auf die GEGENWIND-Frage, warum die WZ die Propagandaanzeige für den faschistischen „Friedensflieger“ Heß veröffentlicht habe. Dann hängte der lesernahe WZ’ler ein. Ähnlich Chefredakteur Carl-Friedrich Ehlers,der noch nicht einmal die goldene Brücke akzeptierte, die wir ihm bauen wollten: „Ob es denn wohl eine Panne gewesen sei…?“
Denn früher hatte sich die WZ in der Regel geweigert, „politische“ Traueranzeigen aufzunehmen. So vor Jahren z.B. für den salvadorianischen Erzbischof Oscar A. Romero, der am Altar von rechtsradikalen Killern ermordet worden war.
Daß bei der WZ nicht das Prinzip Regie führt, sondern daß Anzeigenleiter Ehlert sehr wohl zwischen Traueranzeige und Traueranzeige zu unterscheiden weiß, musste dann jedoch der Wilhelmshavener Künstler Hartmut Wiesner erfahren. In einer spontanen Aktion hatten am 19. August Mitarbeiter der Landesbühne für eine eigene Traueranzeige gesammelt. Text: „Wir trauern um die Millionen Opfer des nationalsozialistischen Regimes, für das der am 17. August 1987 in Spandau verstorbene Rudolf Heß mitverantwortlich war!“ Sie sollte ausdrücklich am Tag nach der NPD-Anzeige auf der Seite für Familienanzeigen erscheinen, wurde jedoch von Ehlert zwischen Werbeanzeigen für Pullover, Zwiebeln und kaltflüssigem Dachbelag untergebracht. Auch die grafische Gestaltung ließ sie als Traueranzeige nicht mehr erkennen.redaktion erwin fiege
Wie sehr die WZ mit ihrer NPD-Propaganda-Anzeige quer zum Bewußtsein der Wilhelmshavener liegt, zeigt nicht nur eine von Unbekannten durchgeführte Sprühaktion am WZ-Gebäude unmittelbar nach der Veröffentlichung der Heß-Anzeige – oder der Anruf eines alten Rußland-Kämpfers bei Wiesner: „Das fand ich toll.“ Bezeichnend ist vielmehr, daß Dora Fuhlbohm in weniger als drei Stunden 64 (vierundsechzig) Unterschriften für eine Anzeige zusammenbrachte, die am Samstag, den 22. August erschien. Darunter die Namen von Stadtkämmerer Dr. Norbert Boese, Ratsfrau Beate Latendorf, SPD-Vize Arno Wagner, Künstler Peter Geithe u.s.w. Der Text der nach Prüfung durch den WZ-Anzeigenchef „genehmigten“ Anzeige: „Es gibt noch zu viele Menschen mit der Gesinnung eines Rudolf Heß unter uns. Das Verbrechen an Millionen Menschen muß uns Mahnung sein und darf nie vergessen werden.“
Ablehnung auch bei den Rathausparteien von links bis rechts: Empörung bei Grünen und Frauenliste. CDU-Fraktionschef Dr. Uwe Biester hält die Veröffentlichung der NPD-Anzeige für „überflüssig und schädlich“. SPD-Oberbürgermeister Eberhard Menzel: „Was da gemacht worden ist, ist geistige Umweltverschmutzung. Es ist mir unverständlich, daß das von der WZ veröffentlicht worden ist. Ich finde das zum Kotzen und habe das Ehlers auch schon gesagt.“
P.S. Wie von Jeverschen Redakteuren zu erfahren war, wäre der Abdruck der Heß-Anzeige im „Jeversehen Wochenblatt“ „undenkbar“.

 

Kommentar:

Visier runter
(wk) Daß die WZ in ihrer politischen Berichterstattung zweierlei Maß anlegt, ist nicht neu. Immer deutlicher wurde in der letzten Zeit, wes Geistes Kind die verantwortlichen Lokalredakteure dieser Zeitung sind. Wer sich vom Wechsel des Chefredakteurs vor ca. zwei Jahren mehr Pluralismus erwartet hatte, wurde mehr als enttäuscht. Da wurden neben den rechtskonservativen Ereignissen des Stahlhelm nicht nur zunehmend Berichte über NPD-Parteitage bzw. deren Planung veröffentlicht. Nein, der neue Chef, Carl-Friedrich Ehlers, fühlt sich auch noch ständig bemüßigt, geschichtsklitternd militaristische deutsche Traditionen zu bejubeln und Demokraten zu verunglimpfen. Erst kürzlich wurden so aus den Verteidigern der gewählten republikanischen spanischen Regierung von 1935 „rotspanische“ Verbände. Und sein von Springer dazugestoßener Vize Jürgen Peters reiht verlogen Sozialdemokraten in kommunistische Traditionen ein. Eins muß man WZ-Herausgeber Werner Brune wirklich lassen. In seiner Personalpolitik knüpft er unverdrossen und mit bestechender Kontinuität an die WZ-Tradition der 30ger Jahre an, als deutschnational-reaktionäre Kräfte das Gesicht der Zeitung prägten und den Nazis ihre Spalten öffneten, längst ehe es andernorts soweit war. Doch vierzig Jahre Schamfrist nach dem Krieg genügen offensichtlich.
Jetzt ist dos Visier ganz herunter. Die Taktiererei mit den Traueranzeigen macht deutlich: Die WZ ist nicht einfach nur konservativ. Sie unterstützt vielmehr bewusst alte und neue Faschisten und stößt die, die auf der Seite der Opfer stehen, kalkuliert zurück. Die Beteuerungen einzelner WZ-Redakteure, man sei doch im Vergleich zu anderen Zeitungen noch „relativ offen für alle“, erhalten einen neuen Sinn: Offenheit nach Rechtsaußen, wo man in einer veränderten politischen Wetterlage wieder zu fischen müssen glaubt. Da ist es beruhigend, daß die schmierige Liebedienerei gegenüber der NPD selbst CDU-Leuten zu weit geht. Eberhard Menzel hat recht: „Es ist zum Kotzen.“

Die GEGENWIND-Redaktion

 

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