Gegenwind-Gespräch: Michael Diers
Feb 071996
 

Radiohören soll wieder Spaß machen!

Gespräch mit Michael Diers, dem ersten Vorsitzenden von Jade-Radio-Lokalfunk e.V.

(hk/ts) In Wilhelmshaven gibt es, wie unseren Lesern bekannt sein dürfte, zwei konkurrierende Initiativen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Raum Wilhelmshaven/ Friesland mit Rundfunksendungen zu versorgen. Auf der einen Seite „Jade-Radio-Lokalfunk e.V.“, der seine Wurzeln bei Radio Überleben hat, auf der anderen Seite die „Interessengemeinschaft Lokalradio Wilhelmshaven-Friesland GmbH“, die vom WZ-Verleger Adrian initiiert wurde. Der GEGENWIND sprach mit Michael Diers, dem Vorsitzenden von Radio Jade, unter anderem über eine mögliche Fusion der beiden Initiativen.

diersGegenwind: Wie steht es nun um Radio Jade, wird es zu einer Fusion der beiden Gruppen kommen? Paßt das denn nicht zusammen: Auf der einen Seite das Lokalradio mit dem nötigen Kleingeld und auf der anderen Seite Radio Jade mit dem Knowhow und den engagierteren Leuten?
Michael Diers: Auf Initiative des Lokalradios kam es Ende letzten Jahres zu einem ersten Treffen der Gruppen. Die hatten durchaus in Erwägung gezogen, mit uns zu fusionieren. Aber eigentlich ging es mehr darum, daß wir bei denen mitmachen sollten. Wir sind ja von der Landesmedienanstalt aufgefordert, untereinander Kontakt aufzunehmen und abzuschätzen, ob es nicht doch zusammen geht.

Gegenwind: Was sagen denn eure Mitglieder dazu?
Michael Diers: Wir können gegenüber unseren Mitgliedern schlecht verkaufen, daß wir mit der anderen Gruppe zusammengehen. Viele von denen sagen klipp und klar, daß sie bei uns mit machen, eben weil wir nicht zur WZ gehören. Wir würden ja auch an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn wir auf der einen Seite sagen, daß wir ein unabhängiges Radio machen wollen und sitzen plötzlich mit der WZ zusammen. Das kann eigentlich auch die Landesmedienanstalt nicht wollen. Schließlich sollen die lokalen Radios die Medienvielfalt wieder herstellen.Radio_Jade Programm 2

Gegenwind: Wie verhalten sich Wilhelmshavens Politiker in dieser Frage?
Michael Diers: Da ist ziemliche Funkstille. Wir haben uns mehrmals an Oberbürgermeister Menzel gewandt, haben aber im Prinzip nie eine konkrete Antwort bekommen – es kam nie eine Reaktion. In einigen SPD-Ortsvereinen, wo wir unsere Sache vorstellten, gab es sicherlich eine positive Tendenz pro Radio Jade; es gab aber nie eine eindeutige Stellungnahme. Vom Oberstadtdirektor kam keine Antwort. Über Umwege haben wir schon gehört, daß es einige gibt, die Radio Jade wollen – aber das wird nicht öffentlich kundgetan.

Gegenwind: Also Wilhelmshavens Politik und Verwaltung äußern sich nicht.
Michael Diers: Das gilt aber auch für Jever. Einzig Schortens hat ein deutliches Wort für uns gesprochen. Wilfrid Adam hat nach einem Treffen zu uns gesagt, daß er uns eigentlich ganz gut findet. Aber das war auch alles.

Gegenwind: Habt ihr schon Räumlichkeiten?
Michael Diers: Die Tendenz geht eindeutig Richtung TCN. Die dort vorhandenen Räumlichkeiten bieten sich mehr an, als die anderen Alternativen, die wir ins Auge gefasst haben. Das TCN liegt zentral, ist stark nach Wilhelmshaven orientiert liegt aber in Friesland. Aber in dieser Sache ist noch nichts entschieden.

Gegenwind: Wer wird bei Radio Jade das Sagen haben?Radio_Jade Programm 1
Michael Diers: Radio Jade wird eine demokratische Struktur bekommen. Die Redakteure werden von der Mitgliederversammlung gewählt und sind den Mitgliedern gegenüber verantwortlich. Dennoch wird die Redaktion autark sein. Um schnell und präzise zu informieren, können wir natürlich nicht jedes mal eine Mitgliederversammlung einberufen.

Radio_Jade Programm 6Gegenwind: Brauchen Wilhelmshaven und Friesland eigentlich ein eigenes Radio? Das Interesse hier ist ja nicht besonders groß.
Michael Diers: Wenn wir in Wilhelmshaven eine Umfrage machen würden – ich glaube da gäbe es schon sehr viele negative Aussagen. Wer weiß denn schon, was hier geplant ist? Die WZ hat ja nun mal nicht dazu beigetragen, unsere Vorstellungen und Ziele bekannt zu machen. Schon das zeigt meiner Meinung nach, daß ein lokales Radio hier Sinn macht. Wann hört man denn im Radio, sei es der NDR oder Radio Bremen, schon mal etwas über Wilhelmshaven, Jever oder Varel? So gut wie nie! Mit einem Lokalsender würde das plötzlich ganz anders aussehen – da wären diese Orte plötzlich die Hauptakteure. Die Bevölkerung würde plötzlich ihre eigene Stimme im Radio hören – und da macht Radio Sinn.

Gegenwind: Wir stellt ihr euch denn die Struktur eures Programms vor?
Michael Diers: Wir haben uns natürlich mit den Hörgewohnheiten auseinandergesetzt. Für die meisten dudelt das Radio so nebenbei. Wir wollen ein anderes Radio. Wir wollen nicht nur die Kurzinfos von zweieinhalb Minuten bringen. Wir wollen hintergründiger informieren und gleichzeitig unterhalten. Die gesamte Medienstruktur wird sich ändern, wenn Radio Jade auf Sendung geht – bis hin zur WZ.

Gegenwind: Habt ihr eine bestimmte Zielgruppe, nach der ihr euer Programm ausrichtet?
Michael Diers: Wir wollen alle Gruppen, alle Bereiche ansprechen. Wir haben ein sehr breites Spektrum über das wir berichten werden, das geht von der Landwirtschaft über Kinder, Frauen, Umweltschutz, Kommunalpolitik hin zur Kultur usw. Das ist natürlich auch eine Frage des Personals. Wir haben ja schon sehr gute Leute, Leute, die schon seit langem Radio machen – in dem Bereich sind wir der anderen Initiative, glaube ich, weit voraus.

Gegenwind: Die hat gerade eine Anzeige veröffentlicht, daß sie Mitarbeiter sucht. Zurück zur Programmstruktur – was soll denn konkret bei Radio Jade ablaufen?
Michael Diers: Wir haben eine Sendestruktur ausgeklügelt, die unser Radio interessant machen soll. Vielfältige Informationen und einen Musikteil, der sich von dem Einheitsgedudel der meisten Sender stark unterscheidet. Wir wollen, daß die Leute wieder Radio hören – sowohl von den redaktionellen Beiträgen als auch von der Musik her. Radio hören soll wieder Spaß machen und nicht nur nebenher laufen.Radio_Jade Programm 5

Gegenwind: Hervorgegangen ist Radio Jade bekanntlich aus Radio Überleben – dem engagierten Piratensender während des Widerstandes gegen die Schließung von AEG Olympia. Hat Radio Jade ein ähnlich geartetes Konzept? Hat sich dieses nach dem Auftauchen der zweiten Radio-Gruppe verändert?
Radio_Jade Programm 4Michael Diers: Teils teils. Wir hatten von Anfang an damit zu kämpfen, daß man uns als Gewerkschafts- und GEGENWIND-Radio ansah. Bestimmte Kreise in dieser Stadt verbreiteten dieses Gerücht vehement. Dagegen mussten wir uns wehren – nicht weil wir uns inhaltlich davon distanzierten. Einfach nur weil es nicht stimmte, und weil unsere Position als unabhängiges Radio darunter litt. Da mag vielleicht mal der Eindruck entstanden sein, daß wir unsere Richtung änderten, was aber nicht der Fall war. Der Ansatz von Radio Überleben steckt, glaube ich, bei uns allen noch drin: Ein Radio für alle zu machen, ein Radio, welches für die Belange der Bürgerinnen und Bürger eintritt. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit zum Widerspruch geben. Durch Radio Jade werden die Stimmen der Leute wieder gehört und sie merken, daß sie ernstgenommen werden.

 

Kommentar:

Rund ums Lokalradio
Da gibt es nun in Wilhelmshaven zwei Initiativen, die gern den Bürgerinnen und Bürgern dieses Gebietes etwas Neues bieten wollen: Einen örtlichen Rundfunksender.
Da ist einmal der Verein „Jade-Radio-Lokalfunk e.V.“, der sich bereits seit über zwei Jahren, als das entsprechende Gesetz zur Schaffung eines nicht kommerziellen Lokalfunks noch gar nicht verabschiedet war, mit dem Projekt beschäftigte. Eine kleine Gruppe zuerst, die sich mit den Bausteinen für einen Ortssender befaßte, doch bald stießen weitere interessierte Bürgerinnen und Bürger dazu: Aus der Interessengemeinschaft wurde ein eingetragener Verein.
Die zweite Gruppe, die sich erst jüngst organisierte, nennt sich „Interessengemeinschaft Lokalradio Wilhelmshaven-Friesland GmbH“. Soviel ist bekannt. Hatte man sich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit bislang eher bedeckt gehalten, so warf man mit einer Anzeige am 21.1.96 in der WZ den Hut in den Ring. Da wurden Redakteurinnen/Redakteure
gesucht „da man gute Aussichten hätte, die Lizenz zu erhalten“.
Die Unterschiede
Anders als bei einem Verein, der Mitgliedsbeiträge einzieht, läuft es bei einer GmbH. Hier müssen die Gesellschafter einen Festbetrag (mindestens 500.-) einbringen. Die GmbH muß eine Gesamtsumme von 50.000 DM nachweisen können. Im Verein hat bei Abstimmungen jedes Mitglied eine Stimme, bei der GmbH geht es nach der Einlagenhöhe. So hat jeder Gesellschafter pro 100 Mark-Einlage eine Stimme. Wer viel Geld hat bestimmt den Kurs
Als Gesellschafter gehören zur Zeit u.a. die Kaufleute Leffers und Rech als Vertreter der „Bürger Wilhelmshavens“, die Hafenwirtschaftsvereinigung und die Jade-Medien GmbH (eine Tochter der Firma Brune-Mettcker-Druck) der Interessengemeinschaft an. Zu den weiteren Geldeinlegern gehören dem Vernehmen nach der Stadtsportbund, die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz und sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche.
Wenn der Stadtsportbund von der finanziell arg gebeutelten Stadt trotzig Zuschüsse einfordert, wenn das Rote Kreuz in Straßen- und Haussammlungen die Bürger um Spenden angeht, wenn die Arbeiterwohlfahrt um milde Gaben und Mitglieder wirbt, dann aber trotz angeblicher Kassenleere in die Tausende gehende Gesellschafteranteile erworben werden, dann stimmt doch etwas nicht. Diese Gesellschafter werden ihr Tun ihren Mitgliedern und Anhängern wohl eingehend erklären müssen.
Und die Parteien?
Die SPD-Ratsspitze, allen voran der Oberbürgermeister, der keine Versammlung eines Kleintierzüchtervereins ausläßt, hat sich bislang nicht die Mühe gemacht, beim Radio-Verein einmal vorbeizuschauen. Der SPD-Unterbezirksvorsitzende hat ein vor Monaten an ihn gerichtetes Schreiben einfach noch nicht beantwortet.
Daß die CDU mit Radio Jade keinen Kontakt sucht, erklärt sich schon daraus, daß in der GmbH Christdemokraten wie der ehemalige Staatssekretär Gottschalk fleißig mitmischen.
Und die Bündnis-Grünen? Schließlich sind sie es auf Landesebene gewesen, die maßgeblich am Mediengesetz mitgestrickt haben. Doch hier in der Provinz schert man sich nicht darum – man hat bekanntlich andere Sorgen.

Redaktion

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