Gegenwind-Gespräch: Andreas Koût
Feb 071996
 

Richtungswechsel

Auf leisen Sohlen in das schwarz-grüne Bündnis

(ub) Andreas Koût hat die Partei der Grünen verlassen und sein Ratsmandat zurückgegeben. Mehrere aktive Mitglieder der Grünen sind seinem Schritt gefolgt und haben ihr Parteibuch abgegeben. Unüberbrückbare Differenzen mit dem Kreisvorstand waren der Auslöser. Der GEGENWIND sprach mit Koût über seine Motive und die Hintergründe der Austrittswelle.

Gegenwind: Andreas, du bist bei den Grünen ausgetreten und hast dein Ratsmandat abgegeben. Was sind die Gründe?
Koût: Auslösendes Moment war die Tatsache, daß auf der Weihnachtsfeier der Grünen im Dezember 1995 plötzlich zwei neue Mitglieder vorgestellt wurden. Das Ehepaar Czech, das in der Gökerstraße 109 bekanntlich eine Notunterkunft betreibt. Dieses m.E. in der Weise, daß im Grunde genommen nicht von einer menschenwürdigen Behandlung der dort untergebrachten Personen gesprochen werden kann. Die Zustände bei Czechs sind ja auch im GEGENWIND sehr ausführlich geschildert worden.
Man muß natürlich dazu sagen, daß die Unterbringung in der Gökerstraße 109 auf der Grundlage der bestehenden Gesetze geschieht. Nur, diese Gesetze lassen eben zu, daß bei einer Notunterkunft noch weniger Kriterien hinsichtlich einer menschlichen Behandlung erforderlich sind, als beispielsweise beim Betreiben eines Gefängnisses. Es wurden u.a. Menschen unterschiedlichster ethnischer Gruppen, Ehepaare und fremde Personen zusammen in einem Zimmer untergebracht. Dies alles wurde von den Betreibern ganz locker vertreten. Damit verlassen diese Leute m.E. die allgemein verbindlichen Grundlagen humanistischer und ethischer Einstellungen.

Gegenwind: Diese Einschätzung wird von anderen Parteimitgliedern, die jetzt auch die Partei der Grünen verlassen haben, geteilt. Gab es den Versuch, diese grundlegende Differenz innerparteilich zu klären?
Koût: Unsere Bedenken gegenüber der Parteiaufnahme von Czechs sind lange parteiintern mit den Mitgliedern des Kreisvorstandes diskutiert worden. Ich selbst hatte ein einstündiges Gespräch mit dem Kreisvorsitzenden Werner Biehl noch auf der Weihnachtsfeier, in dem ich meine starken Bedenken gegen eine Parteiaufnahme des Ehepaars Czech deutlich gemacht habe. Es gab dann noch mehrere Gespräche.
Der Kreisvorstand war auch vor Ort in der Gökerstraße 109, hat sich dort sicherlich von den Czechs blenden lassen. Wenngleich man auch sagen muß, daß der Kreisvorsitzende der Grünen, Werner Biehl, der die Betreiber der Notunterkunft sehr lange kennt und dieser Parteiaufnahme jetzt positiv gegenübersteht, selber einmal die Vorgänge in der Gökerstraße 109 als faschistoid tituliert hat. Massive Kritik kam nicht nur von mir, sondern auch von zahlreichen anderen Mitgliedern der Partei. Der Kreisvorstand hat mit der Begründung, daß Czechs nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen und somit kein Grund für die Verweigerung einer Parteiaufnahme vorliegt, am 10.1.95 das Ehepaar Czech einstimmig in die Partei aufgenommen.

Gegenwind: Ihr habt die Verhältnisse bei Czech schon früh öffentlich gemacht.
Koût: Wir haben die Vorgänge in den letzten2 ½ Jahren sehr aufmerksam beobachtet. Wir von den Grünen und auch Vertreter der Bürgerinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit sind dort gewesen. Verschiedene Ausschüsse der Stadt – der Jugendhilfeausschuß, der Sozialausschuß, der Gesundheitsausschuß und der Ausländerbeirat – haben sich immer wieder mit der Thematik beschäftigt. Wir hatten oft Kontakt zu Ausländerinnen und Ausländern, die dort untergebracht waren. Der Gesamteindruck aus diesen 2 ½ Jahren war eben so, daß sich die Verhältnisse dort nur, wenn der Druck von außen besonders stark war, in kleinen Bereichen gebessert haben. Bei einem Satz von 20.- DM pro Tag und Person, also pro Familie beispielsweise 2.400,- DM Monatseinnahme für ein Zimmer, wäre das Ehepaar Czech durchaus in der Lage gewesen, die Unterbringungsmöglichkeiten wesentlich zu verbessern.

Gegenwind: Die gesamte Problematik der Notunterbringung bei Czech war also den Mitgliedern der Grünen und dem Kreisvorstand bestens bekannt?
Koût: Muß ihnen einfach bekannt gewesen sein. Einmal durch die Berichterstattung der Presse und natürlich durch das Engagement einiger Mitglieder der Grünen. Diskutiert wurde während der letzten vier Wochen bis zum 19. Januar im Kreisvorstand insbesondere darüber – und das war dann auch das Absurde – ob das, was in der Gökerstraße 109 abläuft, legal sei. Das ist aber immer unstrittig gewesen. Die gesetzliche Grundlage läßt allerdings eine Unterbringung zu, die, wie ich anfangs bereits sagte, als menschenunwürdig bezeichnet werden muß.

Gegenwind: Welche Motive siehst du bei dem Ehepaar Czech, in die Partei der Grünen einzutreten?
Koût: Da kann man nur spekulieren. Tatsache ist, daß die Quelle des Geschäfts der Czechs langsam versiegt – durch das Asyländerungsgesetz und die beabsichtigte Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge. Es mag sein, daß Czechs sich zur Absicherung ihrer geschäftlichen Grundlagen jetzt auch in politische Strukturen begeben.

Gegenwind: Hat der Kreisvorstand der Grünen seinerseits Interessen an dieser Parteiaufnahme?
Koût: Ich denke, daß es dem Kreisvorstand sehr früh klar war, daß das, was jetzt bei den Grünen gelaufen ist, eine eindeutige Fixierung der parteipolitischen Richtung im Hinblick auf die Kommunalwahl ist. Es gab in der letzten Zeit deutliche Signale, dass eine Hinwendung zur Überlegung hinsichtlich einer Gruppenbildung mit der CDU stattfindet. Da war ein schleichender Prozeß im Gange. Symbolisch dafür steht, daß die Klausurtagung der Grünen im November 95, wo es um den Haushalt für dieses Jahr ging, in einem gemeinsamen Hotel mit der CDU stattgefunden hat.

Gegenwind: Nach der letzten Kommunalwahl gab es den Versuch, zusammen mit der SPD eine Mehrheit im Stadtrat zu bilden. Wie erklärt sich jetzt dieser Richtungswechsel?
Koût: Um ein Mißverständnis gar nicht erst aufkommen zu lassen: Nichts gegen eine punktuelle themenorientierte Zusammenarbeit mit der CDU oder anderen im Rat vertretenen Fraktionen. Dennoch: Es hat wohl zunächst, auch von mir unbemerkt, in den letzten zwei Jahren ein Richtungskampf im Kreisverband der Grünen stattgefunden.
Persönlich habe ich natürlich auch versucht, Leute, die ich aus dem Umfeld der Wilhelmshavener Jugend-, Kultur-, Ausländer- und Sozialarbeit kenne und bei denen ich denke, daß sie von grünen Wählern gewählt werden würden, für die Arbeit bei den Grünen und für die Kommunalwahl zu gewinnen. Diese Leute vertreten gesellschaftlich wichtige Bereiche und kommen aus dem linken Spektrum, dem ich mich auch zugehörig fühle. So wäre der Kreisverband gestärkt worden. Mit diesen Leuten wäre die unterschwellig im Kreisvorstand gewünschte Gruppenbildung mit der CDU wohl nicht möglich gewesen. Die Aufnahme der Czechs – man muß fast prognostizieren: bei Strafe des eigenen Untergangs – war ein Katalysationspunkt, um den Richtungskampf in der Partei endgültig zu entscheiden.

Gegenwind: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Kommentar:

Politischer Selbstmord 
Ein auch über Parteigrenzen anerkanntes und engagiert agierendes Ratsmitglied der Grünen schmeißt das Handtuch. Zwei in der Öffentlichkeit ob ihres Betreibens einer Notunterkunft ebenfalls über alle Parteigrenzen hinaus kritisierte Personen finden ausgerechnet bei den Grünen
ihre politische Heimat. Der Grünen-Ratsherr Gerd Kläne gießt Öl in das Feuer der Diskussion um die angeblichen Kontakte von OB Menzel zu rechtsradikalen Kreisen, indem er eine Zeugin präsentiert. Kleinlaut muß dieser grüne Ratsherr wenige Tage später öffentlich kundtun, dass diese angebliche Zeugin ihm Unsinn erzählt hat. Letzteres wird genüßlich auf Seite eins der Wilhelmshavener Zeitung zum Zwecke der Rehabilitation unseres Oberbürgermeisters, aber wohl auch zur Dokumentation des desolaten Zustands der Partei der Grünen gemeldet. Dies alles wenige Monate vor der Kommunalwahl.
Politischen Selbstmord nennt man so etwas. Dabei böte Wilhelmshaven ein phantastisches Feld zur Profilierung grün-alternativer Basisarbeit: die Trögeler-Affäre, Expo 2000, Bahnhofszentrum, Wohnraumspekulation etc. Stattdessen werden jetzt die Weichen gestellt, um, wie heißt es so schön, „Verantwortung mit zu übernehmen“. Die Grünen im großen (bundespolitisch) wie im kleinen (Kreisverbandsebene) entledigen sich ihrer Essenz: derjenigen, die für die „große Politik“, sprich Teilhabe an der Macht, immer Störfaktor waren, für manche Wählerinnen und Wähler jedoch der Grund, gesellschaftliche Veränderungen durch die Arbeit engagierter Volksvertreter/innen in den Parlamenten zu erhoffen. Außergewöhnlich bei den Grünen bleibt, daß sie das vor der Wahl tun.

Uwe Brams

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