Klärschlammverbrennungsanlage
Dez 011995
 

Gemeinderat im Funkenregen

In Sande schwelt der Unmut wegen einer von der Gemeinde beschlossenen Klärschlammverbrennungsanlage.

(jm) Mehrere hundert Menschen versammelten sich am 10. November bei Einbruch der Dunkelheit auf dem Rathausplatz in Sande, um gegen eine von ihrer Gemeinde geplante Klärschlammverbrennungsanlage (KVA) zu protestieren. Gefolgt waren sie dem Aufruf einer frisch aus der Taufe gehobenen Initiative zur Verhinderung der geplanten thermischen Klärschlammverbrennungsanlage in Sande (IVK).

Der Werdegang der IVK nahm seinen Anfang in Cäciliengroden, als man dort in letzter Minute Wind davon bekam, daß die Firma Spitz – Rohstoffe und Recycling GmbH (Firmensitz Wilhelmshaven) den Bauantrag für eine KVA im benachbarten Gewerbegebiet Sande gestellt hatte. Diese Nachricht muß sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben, denn noch vor Ablauf der Einspruchsfrist meldeten sich nach Schätzung der IVK ca. 600 Bürgerinnen und Bürger bei der zuständigen Genehmigungsbehörde (Bezirksregierung Weser-Ems) als Einwender.
Der in Cäciliengroden entzündete Funke ist mittlerweile auf Sande übergesprungen und brennt bereits dem Bürgermeister Dieter Günther und dem Gemeindedirektor Hermann Pichert auf den Nägeln. Die Beiden mußten nämlich mit ansehen, wie sich der Rathausplatz am verdämmernden Sünner Martensdag immer mehr mit Demonstranten bevölkerte.
Schlag sechs ertönten dann – wie bestellt – die Kirchenglocken und läuteten die Kundgebung ein. Kurz darauf hagelte es von einer aufgebauten Rednertribüne aus schwere Vorwürfe gegen den Sander Rat und die Gemeindeverwaltung, welche für die geplante Maßnahme politisch verantwortlich sind.
Hennann Grote erklärte als einer der Redner der IVK das ‚Experiment Pilotanlage zur thermischen Entsorgung von Klärschlämmen‘ unter anhaltendem Beifall zu einer Zumutung für die Bürger. Dann wies er die Gemeinde auf ihre Informationspflicht hin, der sie bis heute nicht nachgekommen sei.
Den von der Gemeinde kommenden Vorwurf der Panikmache parierte er mit der Feststellung, daß diese „… ihre Schularbeiten intensiv zu machen und dafür zu sorgen (habe), daß derartige Unruhen in der Bevölkerung erst gar nicht aufkommen.“ Zum Schluß empfahl er den Mitgliedern des Gemeinderats (der den Klärschlammofen mehrheitlich befürwortet) sich schon mal Gedanken über ihre Wiederwahl bei den vor der Tür stehenden Kommunalwahlen zu machen.
Als sich anschließend Bürgermeister Günther gegen die Vorwürfe verwahrte und sich vor seinen Gemeinderat stellte, wurde dies mit einem erbosten Pfeifkonzert quittiert.Chemie
Auch der Gemeindedirektor blieb von der immer wieder auflodernden Empörung nicht verschont; fand aber schließlich doch Gehör, als er sich den bohrenden Fragen der Kundgebungsteilnehmer stellte …
Aus der Konfrontation auf dem Sander Rathausplatz läßt sich herausschälen, daß die IVK und ihre Unterstützer

• tiefes Mißtrauen gegen das Projekt aus Umwelt- und Gesundheitsgründen hegen
• die Zuverlässigkeit der Angaben über die Gifthaltigkeit der angelieferten Klärschlämme, der Verbrennungsrückstände und der Emissionen bzw. Immissionen anzweifeln
• fehlerhafte Betriebsabläufe und Störfalle in dieser dann erstmalig betriebenen Pilotanlage befürchten, darüber hinaus
• den Verdacht haben, daß man ihren Lebensraum schrittweise zu einem Abfallklo für einen Einzugsbereich ausbauen wird, der sich weit über die Kreisgrenzen von Friesland hinaus erstreckt und zudem
• davon überzeugt sind, daß es genügend Alternativen zur Klärschlammverbrennung (z.B. durch Vermischung mit Schredderholz und anschließender Behandlung in Biogasreaktoren) gibt.

Der Gemeinde wird zudem vorgeworfen, daß sie das Angebot der Stadt Wilhelmshaven, den Sander Klärschlamm in ihren Faultürmen (Betriebsbeginn kommendes Frühjahr) zu behandeln, nicht wahrgenommen hat.
Auf der anderen Seite behaupteten der Bürgermeister und der Gemeindedirektor auf der Kundgebung, daß man sorgfaltig alle Möglichkeiten überprüft habe aber leider zur Zeit keine andere Möglichkeit sehe, als den Klärschlamm zu verbrennen. Den Sorgen der Bürger um die Umwelt und ihre bedrohte Lebensqualität suchen sie mit dem Hinweis zu begegnen, daß das Bauantragsverfahren nach Recht und Gesetz verlaufe und die Bundesrepublik das schärfste Immissionsschutzgesetz auf der Welt habe.
Am 29.11. ab 10 Uhr wird der Bauantrag unter Beteiligung der Einwender, der Firma Spitz, der Gemeinde Sande und der Bezirksregierung im Bürgerhaus Sande erörtert.
Einen Tag später, am 30.11. kommt das Fernsehen (N3, ‚Niedersachsen vor Ort‘) nach Sande, Ab 19.30 Uhr wird der Streit zwischen den Konfliktparteien dann life aus dem dortigen Kirchengemeindesaal auf die Mattscheiben übertragen.

 

Kommentar:

Fehlentwicklungen
Die Gemeinde Sande ordnet sich – neben hausgemachter Kirchturmpolitik – der gemeinsamen kurzatmigen Abfallpolitik mehrerer Landkreise unter: Mit dem Bau einer Klärschlammverbrennungsanlage meinen diese, ‚der im Jahre 2005 in Kraft tretenden Technischen Anleitung Abfall (TA-Abfall) Rechnung tragen zu müssen. Diese verbietet die Deponierung von organischen Stoffen. Das bedeutet, daß alles, was nicht wiederverwertet werden kann, verbrannt werden muß.
Die Wiederverwertung in der Landwirtschaft stößt angeblich aus Imagegründen auf die kategorische Ablehnung durch Bauern bzw. ihre Auftraggeber (Bio- und Babykostverarbeiter), Klärschlamm auf ihrem Land aufzubringen. Dazu kommt wohl noch, daß in der Landwirtschaft ein Überschuß an Düngemitteln (Gülle) vorhanden ist.
Wohl hauptsächlich deshalb haben sich die Landkreise für die zwar teure, aber bequeme Option Verbrennung entschieden. Aber abgesehen von den Schadstoffen, die durch den Schornstein über das Land ausgebreitet werden: Was geschieht bei der thermischen Verwertung eigentlich sonst noch?
Die jährlich zu verbrennenden 10.000 t Klärschlamm bestehen zu 80% aus Wasser, die bei der Verbrennung verdampft und durch den Schornstein geblasen werden.
Von den restlichen 2.000 t Trockenmasse bleiben nach der Verbrennung 1.200 t Asche und 300 t Filterstäube übrig. Verbrannt werden demnach ca. 500 t – also 5% des angefahrenen Klärschlammes. Eine magere Ausbeute, bei der auch noch ca. 200.000 m3 Erdgas verheizt werden müssen.
Die Herstellungskosten für die Asche – als Produkt I bezeichnet – sind nicht bekannt. Aber beim ‚Verkauf‘ des Produktes wird mit Sicherheit nochmals erheblich draufgezahlt werden müssen, denn dieses Produkt I muß – um es verwertbar zu machen – einer neunfachen Menge Sand beigemengt werden. Solcherart versteckt, soll es dann als Pflastersand vermarktet werden. Daß eine Aschebeimengung für die Pflasterung erforderlich ist oder das Produkt Pflastersand dadurch in der Herstellung billiger wird, hat allerdings noch keiner behauptet. Sogar unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das barer Unsinn, der nur über die Erhöhung der Abwassergebühren zu finanzieren ist.
Für die Filterstäube hat man zwar wegen der zu erwartenden Schwermetallbelastung noch keine Verwendung, aber man deklariert sie im Antrag trotzdem schon mal als ‚Produkt II‘. Man kann nur hoffen, daß Produkt II nicht irgendwo als Wirtschaftsgut bei der Müllmafia landet, sondern wenigstens ordnungsgemäß dahin verbracht wird, wo es lt. Recht und Gesetz hingehört: in eine Giftmülldeponie.
Finanzieren müssen das – wie schon gesagt – die Bürger und viele sind’s zufrieden: Die Müllofenindustrie hat einen neuen Auftrag, die Banken zehren jahrelang von der Vorfinanzierung, der Betreiber Spitz hat seine Pfründe, die EWE kann mehr Strom und Erdgas verkaufen, drei Leute haben einen neuen Arbeitsplatz, und die Gemeinde hat ihre Ruh‘.
Aber ist das wirklich die richtige Entscheidung der Gemeindevertreter angesichts des sich ankündigenden globalen Umbruchs hin zu einer nachhaltigen (umwelt- und ressourcenschonenden) Wirtschaft, die – wenn sie sich durchsetzen soll – von ganz unten aufwachsen resp. sich ausbreiten muß? Welche Strategie müßten die Gemeinden unter diesem – mit jeder Umweltkatastrophe an Gewicht zunehmenden – Aspekt verfolgen?
Angewandt auf das Klärschlammproblem stellt sich die Aufgabe,

  • die Abwässer so weit wie irgend möglich zu entgiften,
  • dezentrale biologische Klär-/Energiegewinnungs-/Kompostierkombinationen zu fördern,
  • Klärschlamm und Grünabfälle als Grundstoff für die Gewinnungvon Biogas und die Veredelung zu schadstofffreiem Kompost zusammenführen.

Das Problem des Düngemittelüberschusses kann momentan deshalb nicht gelöst werden, weil der Viehbestand in unserer Region zu hoch ist. Neben Fleisch-, Butterbergen und Milchseen gibt es das berüchtigte Gülleproblem.
Die verhängnisvolle Massentierhaltung (also nicht nur die Reisfelder in Asien) fördert mit ihren beträchtlichen Methangasausdünstungen außerdem noch zusätzlich den Klimakollaps. Auch diese Fehlentwicklung läßt sich nur noch durchhalten, bis kein Weg mehr an scharfen internationalen Klimaschutzkonventionen vorbeiführt.
Man kann nicht früh genug damit beginnen, auf kommunaler Ebene Archen für die Zukunft zu bauen. Und in diesen Archen hat auch die Massentierhaltung keinen Platz, weil die Menschen wieder entdecken, daß man ‚auch mit weniger Fleisch lecker essen kann. Aber da sind wir schon beim nächsten Thema …

Jochen Martin

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