Frauenbeauftragte
Sep 271996
 

Große Ziele - kleine Schritte

Ein Portrait der Wilhelmshavener Frauenbeauftragten Dr. Jutta Niedersen-Marchal

(noa) Reichlich Furore – jedenfalls bei Frauen – machte jüngst Hanna Weber. Die hauptamtliche Frauenbeauftragte der Stadt Wildeshausen bezeichnete sich selbst als überflüssig. Eine nebenamtliche Fauenbeauftragte reiche aus, schließt Frau Weber aus der Tatsache, daß nur wenige Hilfesuchende sich an sie wenden.

Nicht nur die nach diesen seltsamen Äußerungen flugs gegründete Interessengemeinschaft Wildeshauser Frauen hat dazu die Meinung vertreten, daß Hanna Weber ihren “Job” ganz offensichtlich falsch versteht. Auch die Frauenbeauftragten aus Wilhelmshaven, Dr. Jutta Niedersen-Marchal, aus Schortens, Dora Fuhlbohm, und des Kreises Friesland, Dagmar Krüger, nahmen in einem Leserinnenbrief dazu Stellung und wiesen darauf hin, daß eine Frau in dieser Position von sich aus tätig werden muß, um die Benachteiligung von Frauen in Gremien, Verwaltung und Öffentlichkeit aufzudecken, Veranstaltungen auszurichten, Netzwerke zu initiieren, Beratungsarbeit aufzubauen etc.
Der gemeinsame Leserinnenbrief der drei Frauenbeauftragten ist ein typisches Beispiel für die Zusammenarbeit von Frauen in solchen Positionen (Männer achten im allgemeinen mehr darauf, sich zu profilieren, als darauf, sich für die gemeinsamen Interessen zusammenzuschließen). Und als Jutta Niedersen- Marchal 1990 ihre Arbeit in Wilhelmshaven aufnahm, war es für sie naheliegend, sich zuerst nach Frauen umzusehen, die aktiv für Frauenrechte eintraten. Damals war sie die einzige Frauenbeauftragte im näheren Umkreis, aber nach und nach kamen zahlreiche Kolleginnen in Nachbarkommunen, in Behörden, an der Fachhochschule, beim Arbeitsamt usw. dazu.

Vernetzung in der Region

Die Zusammenarbeit mit diesen Kolleginnen ist Frau Niedersen-Marchal wichtig; gemeinsame Veranstaltungen bringen mehr BesucherInnen und senken Kosten – angesichts eines geringen Etats ein wichtiger Gesichtspunkt. Die mittlerweile schon obligatorischen Veranstaltungen alljährlich zum 8. März sind ein Beispiel für die Zusammenarbeit mehrerer Frauenbeauftragter; die Vernetzung ist Jutta Niedersen-Marchal offenbar eine solche Selbstverständlichkeit geworden, daß sie auf die Frage, welche Veranstaltungen denn in ihrem Kopf allein entstanden sind, erst einmal nachdenken muß. 1994 die Ausstellung “Wilhelmina” über Frauenleben in Wilhelmshaven um die Jahrhundertwende, die Infobörsen, Frauenfeste und Frauenkulturtage – aber beim Thema Männergewalt ist sie schon wieder bei der Zusammenarbeit mit Kolleginnen: “Als ich in Wilhelmshaven anfing, war Dora Fuhlbohm ja noch Leiterin des Frauenhauses und auch in dieser Eigenschaft sehr aktiv, und zum Thema Männergewalt mußte ich mir nichts alleine ausdenken, das war ja schon besetzt.”
Die Veranstaltungsreihe zu diesem Thema im Herbst 1992 (der Gegenwind berichtete darüber, siehe Nummer 111) war eine gemeinsame Aktion, und der Arbeitskreis “Zurück in den Beruf” ist in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt entstanden, aber “damals das Seminar zur Verfassungsänderung” (vgl. Gegenwind Nummer 110) war, wenn sie sich richtig erinnert, Juttas Idee, wie auch die Veranstaltungsreihe “Frauen leben länger – fragt sich nur wovon” im letzten Herbst in ihrem Kopf entstanden ist.
Warum sie so bescheiden ist und wenig über ihre eigenen Ideen spricht? “Als kommunale Frauenbeauftragte kann man nicht so viel selber machen, muß mehr anregen und initiieren. Es gibt Kommunen mit einem Frauenbüro, wo dann außer der Frauenbeauftragten weitere Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Die können natürlich sehr viel mehr machen.”

Vernetzung landes- und bundesweit

Über die Arbeit ihrer ca. 1500 Kolleginnen im ganzen Bundesgebiet hat Frau Niedersen-Marchal einen recht guten Überblick. Als eine von zwölf Sprecherinnen der “Bundesgemeinschaft kommunaler Frauenbeauftrag- ter” gehört es zu ihrem Aufgabenfeld, die frauenpolitische Arbeit auf Bundesebene zu vernetzen. “Wir haben eine Vernetzungsstelle in Hannover. Da sammeln und archivieren wir Materialien, die einzelne Kolleginnen erarbeitet haben. Wenn eine Kollegin zu irgendeinem Thema Unterlagen braucht, kann sie dort nachfragen und so von der Arbeit der anderen profitieren.” Als Bundessprecherin obliegt es ihr weiter, die Frauenpolitik auf Bundesebene zu vertreten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft unterhält Kontakt zu den Parteien, den Ministerien und den Gewerkschaften. Wenn diese Gegenwind-Ausgabe erscheint, ist Jutta Niedersen-Marchal in Bonn und vertritt im Bundestagsausschuß Arbeit und Soziales die Forderungen der Frauen zur Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes.

Beratungsangebot

Im Unterschied zu den Frauenbeauftragten in Ämtern und Behörden, deren Arbeitsfeld sich jeweils auf ihr Amt bzw. ihre Behörde beschränkt und die infolgedessen schwerpunktmäßig ein Beratungsangebot vorhalten, ist der Tätigkeitsbereich der kommunalen Frauenbeauftragten breiter gefächert. Selbstverständlich arbeitet sie aber auch verwaltungsintern und steht Kolleginnen aus der Verwaltung beratend zur Seite, wenn diese in Fragen der Besoldung, Eingruppierung und Arbeitszeit benachteiligt werden. Dieses Beratungsangebot steht allerdings nicht nur städtischen Beschäftigten, sondern allen Frauen offen, und es wird durchaus genutzt. Würde Dr. Niedersen-Marchal allerdings nur immer in ihrem Büro darauf warten, daß Frauen zu ihr kommen und Probleme vortragen (wie die Wildeshauser Kollegin ihre Arbeit zu sehen scheint), wäre sie wohl nicht ausgelastet – etwa ein Fünftel ihrer Arbeitszeit ist diesem Bereich gewidmet.

Überzeugungsarbeit

Zur Zeit ist Jutta Niedersen-Marchal ein Thema besonders wichtig: Darauf zu achten, daß im Rahmen der Verwaltungsreform die Frauen nicht noch stärker benachteiligt werden, als es ohnehin schon der Fall ist. Sie nimmt an möglichst vielen Gruppensitzungen teil. “Was dabei rauskommt, sind manchmal nur ein paar Sätze in einem Papier. Man sieht nicht, wieviel Überzeugungsarbeit notwendig ist, um innerhalb der Verwaltung frauenspezifische Belan- ge deutlich zu machen.” Dasselbe trifft auf die (ja immer noch männlich dominierte) Politik zu. Anzunehmen, ein Referat in einem Ratsausschuß zu neuen wissenschaftlichen Ansätzen zum Problemkreis “Mädchenarbeit” etwa würde ausreichen, um das Denken von Politikern nachhaltig zu verändern, ist – klar! – illusorisch; auch hier gilt, daß steter Tropfen vonnöten ist, um den Stein zu höhlen.
Im Leserinnenbrief der drei Frauenbeauftragten hieß es: “Daß es in … Wildeshausen … (keinen) Handlungsbedarf gibt, ist geradezu grotesk, es sei denn, dort finden wir die Ausnahmekommune, wo 50% der Führungspositionen im öffentlichen Dienst und in der freien Wirtschaft mit Frauen besetzt sind, wo es üblich ist, daß auch viele Väter in den Erziehungsurlaub gehen und danach wegen der Familie auf Teilzeitbasis arbeiten wollen, wo es keine Männergewalt in Familien und Beziehungen gibt, wo Frauen existenzsichernde Arbeitsplätze haben, wo genügend Kindergartenplätze – natürlich mit flexiblen Öffnungszeiten – zur Verfügung stehen usw.” Die Frage danach, ob dies die Ziele der Frauenbeauftragten sind, beantwortet Dr. Niedersen- Marchal ohne Zögern mit “ja”, die Frage, ob sie glaubt, das noch zu erleben, ebenso prompt mit “nein”.

Bückeburger Urteil
Frau Webers Anlaß, ihre eigene Stelle in Frage zu stellen, war das “Bückeburger Urteil”. Was hat es damit auf sich? In der Neuordnung der Niedersächsischen Gemeindeordnung 1993 wurde festgelegt, daß alle Kommunen ab 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern eine hauptberufliche Frauenbeauftragte haben müssen. Dagegen klagten zahlreiche Kommunen beim Staatsgerichtshof in Bückeburg. Die klagenden Gemeinden beriefen sich auf die Niedersächsische Verfassung und machten geltend, daß diese Bestimmung u.a. in ihre Finanzhoheit und Organisationshoheit eingreife. Keineswegs satirisch war die Einlassung der klagenden Kommunen, ihre Personalhoheit würde durch die Festlegung beschnitten, daß die Frauenbeauftragte eine Frau sein muß. Im März 1996 bestätigte der Staatsgerichtshof dann die neugeordnete Gemeindeordnung, setzte allerdings die EinwohnerInnenzahl, ab der eine Frauenbeauftragte eingestellt werden muß, auf 20.000 fest. Wilhelmshavens Frauenbeauftragte ist dadurch also nicht gefährdet.

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