Drogenpanik
Feb. 051997
 

Viel Lärm um nichts

Wie harmlose Pflanzen der Justiz zum Opfer Fallen

(iz) “Schon der zehnte Drogentote – Joint steckte noch im Arm!” Die finsteren Zeiten, als weiche Drogen wie Haschisch und Marihuana unwissende Eltern in Panik versetzten, sind überwunden. Tatsächlich? Fortschrittliche Politiker legalisieren den Besitz für Eigenbedarf, Hanfmagazine sind an jeder Tankstelle erhältlich und Faserhanf darf per EU-Beschluß seit 1996 in großem Umfang angebaut werden. Doch gleichzeitig will eine merkwürdige Lobby die zarten Pflanzen tiefer in den Untergrund verbannen, als sie je gewurzelt haben. Jens Habermann, Betreiber des hiesigen Hanf-Hauses, weiß ein Lied davon zu singen. Sein Versuch, die Auslage mit rauschmittelfreiem Faserhanf zu dekorieren, scheiterte.

Habermann hatte nicht als erster Geschäftsmann der Jadestadt die Idee für eine drogenfreie Hanfdekoration. Monate vorher wollte der Wilhelmshavener Naturkostladen “Jonathan” die buschigen Pflanzen zur Zierde seines Geschäfts erheben. THC-freie Hanfsamen gibt es pfundweise im Biohandel zu kaufen. Der nussige Geschmack ist ein Gewinn für Gebäck, Müsli und Salat. Der kulinarische Effekt ist ebenso rauschfrei wie die Pflänzchen, die aus diesen Samen wachsen. So streute man bei Jonathans einige Samen in einen Blumenkübel statt aufs Brot, und von April bis August führten die heranwachsenden Stauden unbehelligt ein glückliches Dasein in der Fußgängerzone. Bis das Auge des Gesetzes ihrer ansichtig wurde! Die Pflanzen wurden verhaftet und sicherheitshalber exekutiert und ihr Eigentümer vorgeladen. Die Analyse ergab einen THC-Gehalt weit unter dem gesetzlichen Grenzwert. Das Verfahren wurde seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt. Das machte die gehäckselten Pflanzen auch nicht mehr lebendig. Seitdem beschränkt sich die Begrünung der Fußgängerzone wieder auf weihnachtlich getötete Fichten.canna
Als Habermann im August sein Hanf-Haus in der Gökerstraße eröffnete, flatterte ihm ein Angebot des bayerischen Hanfbauern Alfredo C. Dupetit auf den Tisch. Dupetit baut in großem Maßstab Faserhanf an und bietet seinige buschigen Zöglinge auch in kleinen Mengen für Dekorationszwecke feil.

Gerade wollte Habermann die Bestellung in das Fax schieben, als er sich an bestimmte Vorkommnisse erinnerte. Der Oldenburger Headshop “Fibra Verde” mußte aus gleichem Anlaß wie “Jonathan” eine Razzia über sich ergehen lassen. Das wollte Habermann seinem frisch renovierten Laden ersparen. Ganz einfach, dachte er: Dupetits Pflanzen unterliegen nicht den Verboten des Betäubungsmittelgesetzes, ihr geringer THC-Gehalt ist bereits nachgewiesen und auf einem Steckschildchen im Blumentopf vermerkt. Wenn man das vorher mit den Behörden abklärt, kann also nichts schiefgehen.
Zunächst mußte der Handel mit Jacken und Hosen, Taschen und Schuhen, Papier und Kosmetik aus Hanffasern und -ölen erst mal ins Laufen kommen – denn das und nichts anderes verkauft Habermann. Seine älteste Kundin ist 85 Jahre und stellt begeistert fest, daß es nun wieder das zu kaufen gibt, was sie aus ihrer Jugendzeit noch kennt. (Hanf wurde vor dem zweiten Weltkrieg zusammen mit Alkohol der Prohibition unterworfen; letzterer hatte offensichtlich eine bessere Lobby, die ihn bis heute zur Volksdroge Nr. 1 gemacht hat). Zwischenzeitlich trennte sich Habermann von seinem Großhändler und firmiert nun unter dem Namen “Grashaus”.
Erst Anfang Januar führte Habermanns Weg in die Amtsstuben der Kripo in der Peterstraße. Dort traf er auf Herrn Rockmann als zuständigen und sehr netten und hilfsbereiten Beamten. Der machte sich für Herrn Habermann in nur 14 Tagen schlau, telefonierte mit Landes- und Bundeskriminalamt und allen zuständigen Instituten. Mit einem für Habermann enttäuschenden Ergebnis: Die Freigabe des Erwerbs, Anbaus, Inverkehrbringens usw. der Pflanzen beschränkt sich auf praktizierende Landwirte. Herr Dupetit z. B. darf die Pflanzen verkaufen, aber Käufer darf es nicht geben, außer andere Landwirte natürlich, die das Zeugs aber selbst zu Tausenden auf den eigenen Feldern stehen haben.
Und noch mehr hat Herr Rockmann erfahren. Demnächst soll der Handel mit den harmlosen Müslisamen verboten werden. Wer sammelt die dann alle aus dem Vogelfutter heraus, mit dem sich die Pflanzen seit Vogelhausgedenken in jeden Kleingarten eingeschlichen haben?
Um sein Gewerbe auf feste Füße zu stellen, hatte Habermann soeben über eine Sortimentserweiterung nachgedacht. Es wird noch dauern, bis viele vom natürlichen Chic haltbarer Hanfjeans überzeugt sind – die eben noch etwas teurer sind, bis der Markt sich aufgebaut hat. Für Liebhaber sollten im “Grashaus” auch spezieller Gärtnereibedarf und Raucherzubehör angeboten werden. Daraus wird wohl nichts: auch Wasserpfeifen und andere Dinge, die nur den Hauch anrüchigen Drogenkonsums in sich bergen, sollen Gerüchten zufolge demnächst per Gesetz aus dem Fachhandel verschwinden.

Hanf: eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt. Angebaut zur Fasergewinnung (Papier, Seile, Kleidung), Einsatz für medizinische Zwecke und Kosmetik; Verwendung als sanftes Rauschmittel. Im Gegensatz zu harten Drogen wie Heroin oder auch Alkohol gibt es keine Belege, daß der Genuß von Hanfpflanzen eine körperliche Suchtabhängigkeit bewirkt. Auch sind Todesfälle durch Konsum von Haschisch (getrocknetes Harz der Hanf- pflanze) oder Marihuana (Gras, getrocknete Pflanzenteile) nicht bekannt. In diesem Sinne ist Haschisch auch keine “Einstiegsdroge”. Solange Besitz und Gebrauch von THC-haltigen Hanfprodukten illegal sind, besteht die Gefahr, daß die Konsumenten in ein entsprechendes Umfeld “abrutschen” und über diese Schiene auf härtere Drogen umsteigen. Dieser Gefahr kann durch Trennung zwischen “weichem” und “hartem” Drogenmarkt vorgebeugt werden, wie das Beispiel Niederlande belegt.


THC: Tetra-Hydro-Cannabinol ist der Hauptwirkstoff, der bei Genuß bestimmter Teile der Hanfpflanze die berauschende und beruhigende Wirkung hervorruft. Bei einem Gehalt von unter 0,3% THC in der Trockenmasse gilt Hanf als THC-frei. Solche Sorten dürfen seit 1996 in großem Maßstab landwirtschaftlich für die Fasergewinnung angebaut werden. Ihre Samen sind als Koch- und Backzutat im Fachhandel frei erhältlich.


Headshop: Spezialhandlung für Raucherzubehör, vermehrt auch Verkauf von Hilfsmitteln zur Pflanzenaufzucht wie Erde, Lampen, Fachliteratur.


Coffeeshops: Cafés, in denen an der Theke Haschisch und Marihuana in kleinen Mengen für den Eigenbedarf verkauft werden. C. gibt es bislang nur in den Niederlanden. Sie wurden eingeführt, um den Konsum weicher Drogen vom Hartdrogenmarkt (Heroin, Kokain u. ä.) und der damit verbundenen Kriminalisierung zu trennen.

Dieser Beitrag ist nicht als Aufforderung zum Konsum jedweder Drogen zu verstehen. Gift ist immer eine Frage der Menge. Ob Haschisch, Marihuana, Alkohol oder Medikamente: jeder Mensch ist selbst verantwortlich für den Umgang mit Genuß- und Rauschmitteln. Dieser Beitrag kann jedoch eine Anregung sein, über die Verharmlosung von Drogen wie Alkohol oder Psychopharmaka nachzudenken, deren Gefahren, unter dem Deckmantel von Medien-, politischen und Justizkampagnen gegen ein nachweislich vergleichbar harmloses Rauschmittel und Therapeutikum, in Vergessenheit geraten können. (red).

 

Kommentar:

Paranoia im Aufwind
Gerade erst hat die Aufklärung über die Bedeutung der Hanfpflanze begonnen. Gerade haben Eltern und Lehrer verstanden, daß man Haschisch nicht spritzt, daß aus den kiffenden Kindern doch ordentliche Menschen geworden sind und was der Unterschied zwischen weichen und harten Drogen ist.
Die Politiker ziehen nach. Der Besitz geringer Mengen berauschender Hanfprodukte für den Eigenbedarf wird in der Regel nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Hanfläden, -messen und Zeitschriften schießen allerorten aus dem Boden wie das Gewächs selbst. Innovationsfreudige Landwirte erhalten über den Anbau von Faserhanf eine neue Existenzgrundlage. Die Nachfrage nach Hanffasern für Papier, Seile, Bau- und Dämmstoffe kann kaum befriedigt werden, solange Werke zum Faseraufschluß fehlen.
Sogar die puritanischen Vereinigten Staaten hatten ein Einsehen. Offiziell geduldet bäckt die Gemeindeschwester “Brownie Mary” hoch THC-dosierte Plätzchen für Krebs- und AIDS-Kranke, die dadurch Appetitmangel und Schmerzen in den Griff kriegen. Und nachdem einige Ärzte Patienten, bei denen keine andere Behandlung anschlug, hinter vorgehaltener Hand auf die Existenz dieser Pflanze aufmerksam machten und nun eindeutige Heilungserfolge verzeichnen, ist in Kalifornien der medizinische Einsatz von Hanf offiziell möglich.
Auch in der Schweiz werden Schmerzpatienten mit THC-Kräutern behandelt. In den Niederlanden ist der Erwerb kleiner Mengen Haschisch oder Marihuana in staatlich tolerierten coffee-shops seit langem selbstverständlich.
Doch unser Thema ist nicht der Hanf, der neben anderen therapeutisch wirksamen Begleitstoffen THC enthält. Unser Thema ist eben das Nicht-THC, sind nahezu wirkstofffreie Pflanzen, die für industrielle Produkte und auch zur Dekoration verwendet werden können. Könnten. Denn parallel zu allen Legalisierungs-, besser Normalisierungsbestrebungen im Umgang mit dieser alten und vielseitigen Kulturpflanze, die jahrzehntelang zu Unrecht verurteilt wurde, entwickelt sich eine Paranoia, die eine starke Lobby hat. Da sie jeder Logik entbehrt, kann man nur raten, aus welcher Ecke sie kommt. Was passiert, wenn Hanf sich breitmacht? Wenn z. B. Millionen Alkoholiker auf Hanf umschwenken? Die Lösung: Offizieller Verkauf mit Einführung einer Steuer auf Haschisch und Marihuana. Dann hat Herr Waigel keine Probleme mehr damit – aber immer noch die Pharmakonzerne. Eine Unzahl chemischer Arzneimittel mit vielen bekannten und unbekannten Nebenwirkungen könnte so vom Markt ver- schwinden und äußerst preiswert ersetzt werden. Aber auch andere Naturheilverfahren werden vom bestehenden Gesundheitssystem ignoriert, weil sie den Profit drastisch vermindern könnten. Und so wird in einem Rundumschlag alles verteufelt und vernichtet, was die bekannten gefingerten Blätter hat – egal, ob es Wirkstoffe enthält oder nicht.
Und was wird nun aus der Schaufensterdekoration? Da gibt es viele interessante Pflanzen, die wir häufig in so manchem Hausgarten finden – Stechapfel zum Beispiel oder Schlafmohn. Schon mal probiert? Nein? Dann aber Beeilung. Vielleicht fährt schon bald der grün-weiße Schredder durch den Garten.

Imke Zwoch

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