Wasserwerk Horsten
Feb 051997
 

Gefahr für Leib und Leben

Die Verseuchung des Gebietes um das Wasserwerk Horsten wird von allen Seiten heruntergespielt

(hw) Die Stadtwerke Wilhelmshaven fördern in ihrem Wasserwerk Kleinhorsten jährlich etwa 2,2 Millionen Liter Trinkwasser, obwohl die Belastung dieses Wasser mit sprengstofftypischen Verbindungen als gesichert angesehen wird. Dieses Wasserwerk versorgt Teile von Horsten, Jever und Wilhelmshaven mit Trinkwasser.

Trinkwasser, Karikatur: Erwin Fiege Geht man in dem Gebiet rund um das Wasserwerk spazieren, so wird einem kundgetan, daß ein Betreten “Gefahr für Leib und Leben“ bedeuten kann. Ein wohlgemeinter Hinweis, denn es handelt sich um ein explosives Gebiet. Betrachtet man sich die Geschichte dieses ehemaligen Militärflugplatzes, so ist erstaunlich, daß erst Anfang der 90er Jahre Recherchen zu möglichen Altlasten begannen. Noch erstaunlicher freilich, daß ausgerechnet auf diesem Gelände in den 60er Jahren ein Wasserwerk errichtet wurde.
Bereits 1914 wurde hier mit dem Aufbau eines Flugplatzes begonnen. 1940 ar- beiteten bis zu 5800 Menschen auf dem Standort. Hier befanden sich u.a. drei betonierte Startbahnen, unterirdische Tankanla- gen und Munitionslager. Nach Kriegsende geriet der Flugplatz Marx nahezu unbeschädigt in die Hände der Alliierten, die hier bis in die 50er Jahre hinein Munition durch Sprengungen vernichteten. Ein bereits verstorbener Dorfschullehrer schreibt in seiner Dorfchronik, daß mehr als zweieinhalb Jahre lang täglich, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen, tonnenweise Munition gesprengt und in verschiedene Wasserflächen verbracht wurde. Zeitzeugen berichten, daß noch lange Zeit danach Munition und Munitionsteile zu finden waren.
Die Warntafeln sind deshalb durchaus angebracht und verständlich; ob sie auch fürsorglich gemeint sind, muß allerdings angezweifelt werden. Im Boden lauern Stoffe, die dort nicht hingehören: Sprengstoffe, wie Trinitrotoluol, besser bekannt unter dem Na-men TNT, Hexogen, Nitropenta, um nur einige zu nennen. Dazu kommen organische Schadstoffe wie Mineralölkohlenwasserstoffe, polychlorierte Biphenyle (PCB) u.a. (siehe Kasten auf der nächsten Seite) Diese Stoffe sickern nach und nach ins Grundwasser, aus dem unser Trinkwasser gewonnen wird. Laut “Gutachten zur Erfassung und Erkundung der Rüstungsaltlast im Bereich des ehemaligen Militärflugplatzes Marx“ (IMS-Gutach- ten), das im August 1995 vom Niedersächsischen Umweltministerium in Auftrag gegeben wurde, soll sich der am intensivsten genutzte Bereich für Sprengungen auf dem Gelände des heutigen Rückspülbeckens der Wasserwerke Horsten befunden haben.
Bei Untersuchungen des Rein- und Rohwassers durch den TÜV, das Niedersächsische Landesamt für Ökologie und das Fraunhofer-Institut ergab sich ein uneinheitliches Bild. Mal konnten sprengstofftypische Verbindungen nachgewiesen werden und mal nicht. In der Folge wurde einer von 8 Brunnen im November 1995 stillgelegt.
Das IMS-Gutachten empfiehlt ein Bündel von Maßnahmen, um die Gefahren genau- er abschätzen zu können, u.a. Wasseruntersuchungen in zweimonatlichem Abstand sowie die Einrichtung von Vormeßstellen.
Die Stadtwerke als Betreiber, Gemeinde- und Kreisverwaltung sahen in den zurückliegenden Jahren keine Veranlassung zum sofortigen Handeln. Erst durch den Druck der ortsansässigen Grünen, besonders hervorzuheben der Einsatz des grünen Ratsmitglieds aus Friedeburg, Hans-Otto Rasche, kam Bewegung in die Angelegenheit. Das Gesundheitsamt schritt ein. Mittlerweile sind auch die Verantwortlichen tätig geworden und beeilen sich, die Bevölkerung zu beruhigen.
So erklärten der Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Wilhelmshaven, Wilfrid Adam, und der Geschäftsführer Günter Reiche im Oktober 1995 noch, daß sie bei ihrer Forderung nach Munitionsräumung bleiben und die „ohnehin schon scharfe Überwachung“ weiter verstärken werden; doch inzwischen ist man auch in Wilhelmshaven zur Tagesordnung übergegangen, da die Messungen der Wasserversorgung keine sprengstofftypischen Verbindungen oberhalb der Nachweisgrenze ergeben haben.
Eine direkte Gefährdung kann schwer nachgewiesen werden. Sollte von offizieller Seite hier eine Warnung ausgesprochen werden, wäre dies ein Schuldanerkenntnis. Man beschränkt sich lieber auf Warnungen, die den Sinn haben sollen, Haftungen für Schäden auszuschließen.

Wirkungen der verschiedenen Schadstoffe auf den Menschen
Die meisten der in der Umgebung des Horstener Wasserwerkes im Boden und Grundwasser befindlichen Schadstoffe haben, bei entsprechender Dosierung, schwere bis tödliche Auswirkungen auf den menschlichen Organismus.
So bewirkt z.B. Trinitrotoluol bei oraler Aufnahme Durchfall und Erbrechen. Wird es durch die Haut aufgenommen kommt es zu Kopfschmerzen, Schwindel, Dunkelfärbung des Blutes, Zyanose, Atemstörungen und in besonders schweren Fällen zu Schädigungen des zentralen Nervensystems mit Bewußtlosigkeit, Krämpfen, Delirium oder Herzbeschwerden. Als Langzeitwirkung treten Anämie, Leber- und Nierenschäden auf.
Hexogen führt zu Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Erstarrungszuständen und in schweren Vergiftungsfällen zur Schädigung des zentralen Nervensystems, was zu Bewußtlosigkeit, Amnesie, Krämpfen und Koma führen kann.
Eine Vergiftung mit Nitropenta löst Übelkeit, Erbrechen, Blutdruckabfall, evtl. Krämpfe, und Bewußtlosigkeit aus. Der Tod kann durch Kreislaufkollaps oder Ersticken eintreten.
Die Wirkungen der übrigen Schadstoffe unterscheiden sich nicht gravierend von denen der vorgenannten. Zwar liegen die bisher im Roh- und Reinwasser gemessenen Konzentrationen dieser Schadstoffe unterhalb der Grenzwerte und damit natürlich auch unter den bekannten Letaldosen; die Gewißheit, daß gesundheitliche Schäden ausgeschlossen sind, hat man damit aber noch lange nicht. Eine Einnahme dieser Stoffe, auch in geringsten Do- sen, kann über längeren Zeitraum möglicherweise zu Gesundheitsschäden oder Spätfolgen wie Krebs führen. Da es jedoch schwierig bis unmöglich ist bei Langzeitfolgen im Nachhinein bestimmte Schadstoffe als Verursacher nachzuweisen gelten eventuelle Spätfolgen geringer Dosisaufnahmen als nicht bewiesen. Somit braucht man sich nicht um Schadenersatzforderungen in späteren Zeiten sorgen und spart Kosten für die Beseitigung der Altlasten. Die momentan nachgewiesenen Werte schließen eine direkt auftretende Gesundheitsschädigung nahezu aus.

 

Kommentar:

Unglaublich! Mehr als 50 Jahre lang schlummern Altlasten in einem Gebiet, das zur Trinkwassergewinnung genutzt wird. In der Region wissen das alle und verdrängen. Es wird schon nichts passieren. Zu viele finanzielle Interessen stehen auf dem Spiel. Auf Stadt, Land und Bund kommen Kosten zu, die noch keiner abwägen kann. Auch wenn sich die festgestellten Gifte unterhalb der Grenzwerte befanden, so weiß doch jeder, daß Grenzwerte willkürlich gezogen werden.
Zu dem, was wir sowieso an Giftstoffen täglich in uns hineinschaufeln, kommt vielleicht noch ein bißchen mehr: etwas TNT, etwas Dinitrobenzol, was soll‘s. Augen zu und durch!
Zweimal pro Monat wird eine Wasserprobe untersucht, das erinnert an das Zufallsprinzip. Wir sind täglich auf das Wasser aus der Leitung angewiesen. Erst durch den Druck der GRÜNEN und dann durch Veranlassung des Gesundheitsamtes wurden überhaupt Proben genommen.
Die Grünen fordern eine befristete Schließung dieses Wasserwerkes, um jegliche mögliche Gefährdung der Bevölkerung auszuschließen und Zeit für einen risikolosen Beprobungszeitraum zu bekommen. Dem können wir uns nur anschließen.

Hilde Wessendorf

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